2024 exportierte die Schweiz Güter im Wert von 394 Milliarden Franken. Das entspricht knapp der Hälfte der Wirtschaftsleistung - womit sich der Spruch bestätigt, die Schweiz verdiene jeden zweiten Franken im Ausland.
Wegen dieser Bedeutung des Exportsektors wird es kaum erstaunen, dass er oft Gegenstand der öffentlichen und wirtschaftspolitischen Diskussion ist. In dieser taucht auch eine Institution immer wieder auf: Die Schweizerische Nationalbank (SNB). Sie sei gefordert, die «dramatische» Aufwertung des Frankens gefährde die - stark exportorientierte - Tech-Industrie, schrieb der Branchenverband Swissmem im Dezember 2023. Damals hatten der Euro und der Dollar gegenüber dem Franken deutlich nachgegeben.
Jene Situation erinnert an die Lage heute: Der Franken ist stark, Euro und Dollar sind historisch schwach. Zudem verteuern 10-prozentige Basiszölle die Ausfuhren in die Vereinigten Staaten. Diese Packung werde für die hiesigen Exportunternehmen «zunehmend zur grossen Belastung», sagt Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik von Swissmem.
Soweit es mit dem Mandat der Nationalbank - Sicherung der Preisstabilität - vereinbar sei, «sollte die SNB abrupte Aufwertungen des Frankens abschwächen», sagt Kohl.
Anders sind die Vereinigten Staaten in die Diskussion eingestiegen, indem sie die Schweiz wegen mutmasslicher Währungsmanipulation und unfairer Handelspraktiken unter genauere Beobachtung gestellt haben. Die beiden Länder sind wirtschaftlich verfochten. Die USA sind nach der Europäischen Union der zweitwichtigste Markt für die Schweiz; und diese zählt zu den bedeutendsten Handelspartnern der USA.
Zwei Faktoren bestimmen den Aussenhandel
Der Aussenhandel hängt - im Unterschied zur Binnenwirtschaft - stark vom internationalen Umfeld ab. Zwei Faktoren sind dabei zentral: Die Konjunktur in den Zielmärkten und die Wechselkurse. Je besser (schlechter) die Wirtschaft des Auslandes läuft, desto höher (tiefer) die Nachfrage nach Schweizer Produkten; und je schwächer (stärker) der Franken, desto günstiger (teurer) sind Güter aus der Schweiz für Personen in europäischen Nachbarländern oder in Übersee.
Doch welcher Faktor überwiegt - die Konjunktur oder der Wechselkurs? Dieser Frage sind die Ökonomen Johannes von Mandach und Klaus Wellershoff des Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners nachgegangen. Sie haben dazu die Exportwirtschaft aufgegliedert in den breiten Exportsektor und die Pharmabranche. Damit tragen sie, wie sie schreiben, dem erheblichen Gewicht und der «weitgehend eigenständigen wirtschaftlichen Logik» der Pharmaindustrie Rechnung.
Für den breiten Exportsektor fanden die Ökonomen, dass die wirtschaftliche Lage des Auslandes und die Wechselkurse «einen beachtlichen Teil der Exportdynamik» erklären, «wobei die Konjunktur der klar dominierende Treiber bleibt». In der Pharmaindustrie haben Konjunktur und Wechselkurse einen geringeren, aber durchaus feststellbaren Effekt.
«Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Entwicklung der Schweizer Exporte primär durch externe Faktoren bestimmt wird, die sich vom Inland aus kaum beeinflussen lassen», so die Ökonomen.
Dass die Wirkung des in der öffentlichen Diskussion häufig genannten Wechselkurses eher gering sei, lasse sich erklären: So sichern viele Schweizer Unternehmen ihre Fremdwährungsumsätze ab. Manche haben Preissetzungsspielräume und können ihre Margen anpassen. Ausserdem beziehen exportorientierte Firmen nicht selten einen Teil ihrer Vorleistungen aus dem Ausland - dabei profitieren sie von einem starken Franken und erhalten so einen gewissen Spielraum.
Warum sich die SNB rechtfertigt
Im Gefüge von Wechselkursen, Konjunktur und Exporten spielt die SNB eine Rolle. Ihre oberste Leitlinie ist zwar, die Inflationsrate zwischen 0 und 2 Prozent zu halten. Durch ihre Geldpolitik nimmt sie aber Einfluss auf die Wechselkurse. Speziell Devisenmarkteingriffe haben einen direkten Effekt.
Bemerkenswert: Das amerikanische Finanzministerium qualifizierte die Devisenmarktinterventionen des Jahres 2024 als «minimal», wie es im Anfang Juni erschienen Report heisst. Die kumulierten Devisenkäufe der SNB hätten sich auf eine Milliarde US-Dollar belaufen, was 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmache.
Die USA räumen zudem ein, der Schweizer Franken sei ein sicherer Hafen: «In Zeiten erhöhter Risiken können Zuflüsse in sichere Häfen einen erheblichen Aufwertungsdruck auf den Franken ausüben.»
Im Nachgang zum US-Bericht teilte die Nationalbank mit: «Die SNB betreibt keinerlei Manipulationen des Schweizer Frankens. Sie versucht weder, Anpassungen der Handelsbilanz zu verhindern, noch unfaire Wettbewerbsvorteile für die Schweizer Wirtschaft zu erlangen.»
Weshalb nun aber verteidigt sich die SNB gegen einen Vorwurf, den die USA nicht eigentlich gegen sie erhoben haben? Die Nationalbank kommentiert diese Frage auf Anfrage von cash.ch nicht.
«Die SNB rechtfertigt sich, da sie respektive die Schweiz unter Beobachtung steht und wohl auch vorausschauend für den Fall, dass sie in Zukunft am Devisenmarkt eingreifen und sich noch stärker verteidigen müsste», sagt Alexandra Janssen, Ökonomin und CEO von ECOFIN Portfolio Solutions.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt Klaus Wellershoff. «Nach unserer Auffassung wollte die SNB dem Markt, der Öffentlichkeit und sicherlich auch den Amerikanern erklären, wann sie Wechselkurspolitik als unabdingbar befindet. Sicherlich wollte sie beruhigen, dass ihre Motivation nicht in der Beeinflussung der Leistungsbilanz liegt.»
An ihrer Sitzung von Mitte Juni hat die Nationalbank ihr Mandat betont, die Inflationsrate mittelfristig im Bereich der Preisstabilität zu halten. Übersetzt heisst dies: Die Teuerungsrate soll zwischen 0 und 2 Prozent bleiben. Zugleich haben sich die Geldpolitiker die Option, am Devisenmarkt aktiv zu sein, explizit offen gehalten. Daraus erschliesst sich, dass Deviseneingriffe ein Werkzeug zur Sicherung eines stabilen Preisniveaus sind, nicht Mittel zur Währungsmanipulation oder Exportförderung.
Allerdings: Da die SNB ihr Mandat der Preisstabilität strikt als eine Veränderung des Preisniveaus zwischen 0 und 2 Prozent auslege, werde «der Wechselkurs und Devisenmarktinterventionen - aus meiner Sicht unnötigerweise - zu einem sehr gewichtigen Faktor für die Geldpolitik», sagt Janssen.
Der Wechselkurs ist relevant für die importierte Inflation respektive die importierte Deflation. Ein stärker werdender Franken verbilligt Güter aus dem Ausland, wodurch die Inflation gedämpft wird. Das ist grundsätzlich kaum ein Problem und in mancher Hinsicht sogar vorteilhaft. Denn Konsumenten bezahlten weniger für Einkäufe im Ausland und auch Produzenten, die Vorleistungen aus dem Ausland einführen, profitieren. Dennoch interveniert die SNB, eigentlich ohne Not, jedoch da sie ihr Mandat strikt verfolgt.
Dass sie letztlich aber durch ihre Geldpolitik die Handelsbeziehungen stärker prägt als die Konjunktur des Auslands, insbesondere der USA, steht aufgrund des Befundes der Ökonomen von Wellershoff & Partners jedenfalls infrage.