Segel setzen und die Flotte hart am Wind zurück in die Zukunft steuern? Der kürzlich vom US-Konzern Cargill erstmals live erprobte Rohstoff-Frachter «Pyxis Ocean» wurde mit klappbaren Segeln aus Stahl und Glasfaser nachgerüstet, die den Motor unterstützen sollen - ein eher ungewöhnlicher Ansatz im Ringen um eine klimafreundlichere Schifffahrt. Doch der Druck auf die Reedereien wächst, sich von ihren CO2-Schleudern auf See zu verabschieden. Zwar wird schon mit Alternativen zu den herkömmlichen Treibstoffen Schweröl und Marine-Diesel experimentiert. Vor allem Flüssigerdgas (LNG) und Methanol, aber auch Ammoniak sind im Gespräch. Mit voller Kraft voraus in Richtung grüne Schifffahrt geht es damit aber noch lange nicht.

Den Wandel bremst vielmehr ausgerechnet die Ungewissheit, welcher Öko-Treibstoff in ferner Zukunft einmal als Standard gelten und in ausreichender Menge überall vorhanden sein wird. Schliesslich wollten die Reeder nicht auf den falschen Antrieb setzen für Schiffe, die üblicherweise eine wirtschaftliche Lebensdauer von etwa 25 Jahren haben, erklärt Schifffahrts-Analyst Christian Cohrs von Warburg Research. Die Dekarbonisierung der Branche sei also alles andere als trivial. «Die Schifffahrt steht vor einer Herkulesaufgabe.»

Der Verkehr auf den Weltmeeren ist laut Umweltbundesamt für etwa 2,6 Prozent der ⁠CO2-Emissionen verantwortlich. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) verschärfte diesen Sommer ihre Ziele, nach denen der Seeverkehr nun «um das Jahr 2050 herum» klimaneutral werden soll. Auch wenn es vage klingt, zuvor war bis 2050 lediglich eine Halbierung des CO2-Ausstosses im Vergleich zu 2008 angepeilt worden. Doch die Zeit drängt - und längst sind es nicht mehr nur Umweltschützer oder Politiker, die die Reedereien zum Handeln auffordern. Auch deren Kunden unterliegen zunehmend Klimazielen und müssen ihre Waren von der Fabrik bis zum Verbraucher sauber befördern.

Hapag-Lloyd: Sehen uns diverse alternative Treibstoffe an

Deutschlands grösste Container-Reederei Hapag-Lloyd will bereits 2045 klimaneutral werden und experimentiert auch mit Segeln - allerdings vorerst nur als Konzeptstudie, mit Computersimulationen und Zweifeln, ob die Technik massentauglich wird. Längst werden Hapag-Lloyd-Schiffe aber mit neuen Bugen und Propellern auf mehr Effizienz getrimmt. Auch Tempolimits fürs Energiesparen auf See sind eine Option - wenn die Konkurrenz denn mitzieht. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) sieht das langsamere Fahren zwar als wirksame Massnahme. VDR-Präsidentin Gaby Bornheim schränkt jedoch ein: «Aber der Welthandel muss natürlich weiter fliessen, denn wir tragen als Schifffahrt eine grosse Verantwortung für die Versorgung der Welt».

Doch Schiffs-Tuning und Entschleunigung reichen nach Einschätzung von Hapag-Lloyd ohnehin nicht, um die Ladung der weltweit fünftgrössten Reederei bis 2045 tatsächlich komplett grün zu verschiffen. Dies sei nur mit alternative Treibstoffen möglich, betont Flottenchef Richard von Berlepsch. Der Traditionskonzern sehe sich Gas, Methanol und auch Ammoniak an. Keiner dieser Treibstoffe sei aber ideal, sagt der Kapitän, der als Manager für die mehr als 260 Container-Schiffe in der Konzernzentrale an der Hamburger Binnenalster das Kommando führt.

Maersk setzt auf Methanol - Treibstoff-Produktion in China

Nicht weit davon entfernt im Hamburger Hafen taufte First Lady Elke Büdenbender im Herbst die «Berlin Express» - das erste von zwölf Grosscontainerschiffen, die Hapag-Lloyd bis 2025 in den Dienst stellen will und die mit Dual-Fuel-Technik ausgerüstet sind. Sie können auch mit nicht-fossilen Brennstoffen und so nahezu ohne CO2-Emissionen betrieben werden. Vorerst wird allerdings LNG verwendet, das laut Hapag-Lloyd den CO2-Ausstoss um bis zu 25 Prozent reduzieren kann. Der weltweite Branchenprimus MSC will seine Flotte von derzeit fast 800 Schiffen mit 100 Dual-Fuel-Schiffen erneuern.

Der Branchenzweite Maersk setzt schon jetzt vor allem auf Methanol. Der dänische Konzern, der noch fünf Jahre vor Hapag-Lloyd CO2-neutral werden will, hat sich kürzlich den Treibstoff mit einem Grossauftrag in China gesichert. Dort soll das Unternehmen Goldwind ab 2026 für Maersk so viel Methanol umweltfreundlich produzieren, dass die Hälfte der kürzlich von Maersk speziell für den Methanol-Antrieb bestellten 24 Container-Grossfrachter damit fahren können.

Mit der Entscheidung für den Industriealkohol Methanol repräsentiert Maersk einer internationalen Umfrage zufolge den aktuellen Trend: Während 2021 erst 13 Prozent der Reeder den Treibstoff für künftige Investitionen favorisierten, waren es dieses Jahr 46 Prozent. Die Befragung wurde von den Organisatoren der Schifffahrts-Leitmesse SSM («Shipbuilding, Machinery and Marine Technology») in Auftrag gegeben, bei der im September in Hamburg alternative Treibstoffe eine wichtige Rolle spielen dürften. Bei der Umfrage verlor Flüssigerdgas mit 25 Prozent Zustimmung (2021: 35 Prozent) an Boden, während Ammoniak leicht auf 18 Prozent von 14 Prozent zulegen konnte.

Ammoniak ist zwar giftig, und kommerziell einsetzbare Motoren dürften noch Jahre auf sich warten lassen. Die Stickstoffverbindung ist aber CO2-frei und vergleichsweise kostengünstig. Einigen in der Schifffahrtsbranche gilt der Stoff deshalb als eine Art Joker, den es noch genauer zu untersuchen gilt. Wasserstoff kommt nur auf kurzen Seewegen infrage. Die Aussicht auf Container-Schiffe mit Atomantrieb gilt in der Branche als Hype aus China. Doch zumindest in Deutschland würde dies angesichts des Atomausstiegs an Land wirken wie eine Fahrt zurück in die Zukunft. 

(Reuters)