Die positive Kursentwicklung an den Börsen im bisherigen Jahresverlauf hat in Europa das Geschäft mit den Börsengängen richtiggehend befeuert. Zwischen Januar und Juli wurden doppelt so viele Initial Public Offerings (IPO) lanciert wie im Vorjahr, und der deutsche IPO-Markt ist gar auf dem Weg zu einem Zehnjahres-Rekord.

Von solchen Zahlen kann die Schweizer Börse nur träumen. Das erste Semester beschied ihr bei Börsengängen eine klassische Nullnummer. Nicht ein einziges Unternehmen hat es bislang gewagt, sich den Publikumsaktionären zu öffnen. 2012 waren wenigstens noch vier Firmen an die Börse gegangen: DKSH, EFG Financial Products (heute unter dem Namen Leonteq gehandelt), Swiss Finance & Property Investments und Zug Estates, die sich von der Muttergesellschaft Metall Zug abgespaltet haben.

Abzocker-Initiative als mit entscheidender Faktor

Für den Chef der Schweizer Börse ist klar, weshalb die Schweiz bei Börsengängen den übrigen europäischen Ländern hinterherhinkt: Das Ja der Schweizer Stimmbevölkerung zur Abzocker-Initiative im letzten März. "Dies ist ein mit entscheidender Faktor, dass Firmen von Börsengängen absehen", sagte Christian Katz im Gespräch mit cash. "Davor warnten wir bereits Anfang Jahr, und nun zeigt es sich ganz klar", so Katz weiter.

Im Januar hatte Katz in einem Interview mit der Aargauer Zeitung erklärt, wieso die Abzocker-Initiative der Schweizer Börse schadet. "Unternehmen würden abgeschreckt, sich in der Schweiz kotieren zu lassen, viele Firmen würden abwandern oder sich von der Schweizer Börse dekotieren lassen", sagte Katz damals. Zwei Monate später wurde die Initiative mit einem Ja-Anteil von 67,9 Prozent angenommen.

IPO-Experten sehen andere Gründe

Unverständnis an Katz‘ jüngstem Seitenhieb zeigt Co-Initiant Claudio Kuster, der zusammen mit Thomas Minder die Abzocker-Initiative zum Erfolg gebracht hatte. "Es ist etwas gar einfach, uns den Schwarzen Peter zuzuschieben", sagt Kuster auf Anfrage von cash. "Fakt ist, dass seit längerer Zeit mit Ausnahme von DKSH kein grösserer Börsengang mehr stattgefunden hat. Und damals war die Abzocker-Initiative noch nicht mal ein Thema gewesen", so Kuster.

IPO-Experten sehen  andere Gründe für die Zurückhaltung der Unternehmen bei Börsengängen. "In der Schweiz herrschen rigorose Kotierungsauflagen", sagt Hanspeter Gehrer, Leiter Corporate Finance bei der Bank Vontobel. Zudem sei in den letzten Monaten das makroökonomische Umfeld schwierig gewesen, die für ein IPO notwendige Visibilität habe gefehlt. "Einige Emittenten haben erst kürzlich mit den Vorbereitungen für einen Börsengang begonnen", sagt Gehrer.

Auch andere Stimmen im Markt bescheinigen, dass für das erste Halbjahr kein Kandidat für ein IPO bereit gewesen wäre. Vielmehr hätten verschiedene Unternehmen die tiefen Zinsen dazu genutzt, sich über den Anleihenmarkt zu finanzieren. Das sei derzeit deutlich günstiger als den kostenintensiven Gang an die Börse zu forcieren.

Zweites Halbjahr wird kaum besser

Deshalb wird von Bankenseite auch für das zweite Semester eine IPO-Flaute in der Schweiz erwartet. "Auch in der zweiten Jahreshälfte wird eine grosse Zurückhaltung herrschen", sagt Gehrer. Es gäbe nur wenige schwache Anzeichen, dass gewisse Emittenten noch in diesem Jahr an die Börse gehen könnten. Eine Aussage, die von anderen grossen Playern im Schweizer IPO-Markt bestätigt wird.

Auch Börsenchef Katz gibt sich für den Rest des Jahres "zurückhaltend, obschon es potenzielle Kandidaten gibt." Namen will er indes keine nennen. Offiziell bekannt ist bis dato lediglich die Thurgauer Kantonalbank, die frühestens Ende 2013 ihre Partizipationsscheine an die Börse bringen will. Und der auf Präzisionsteile und Befestigungstechnik spezialisierte SFS-Konzern aus dem St. Galler Rheintal hatte im April bekanntgegeben, in den kommenden zwölf bis 24 Monaten den Schritt an die Börse zu wagen.