Es war ein kurzes Aufbäumen, als die Rieter-Aktien zu Jahresbeginn innert zweier Wochen um 13 Prozent auf ein Jahreshoch von 119,40 Franken hochgeschossen waren. Seither geht es mit den Valoren des altehrwürdigen Industrieunternehmens aus Winterthur trotz zwischenzeitlichen Konsolidierungen fast ausschliesslich bergab. Derzeit stehen die Aktien auf dem Stand von November 2022. Das überrascht kaum, senken doch die Analysten die Kursziele gleich en masse.
Jüngst hat nach Stifel und UBS auch die Credit Suisse nachgezogen und senkte am Dienstag das Kursziel für Rieter gleich um 14 Franken von 104 auf 90 Franken. Die Aktie fällt am Dienstag fast 4 Prozent. Die Einstufung lautet weiterhin "Neutral". Die Halbjahreszahlen des Textilmaschinen-Konzerns seien auf EBIT-Ebene unter den Erwartungen ausgefallen, schreibt Analyst Patrick Laager. Angesichts seines vorsichtigen Ausblicks nahm er erhebliche Anpassungen an seinem Modell vor. Insgesamt reduzierte er seine EBIT-Schätzungen für 2023 bis 2025 um 14 Prozent.
"Rieter leidet unter der sehr geringen Nachfrage nach Textilmaschinen und der Unfähigkeit, die Profitabilität mittelfristig nachhaltig zu verbessern", so Laager. Obwohl der Bestellungseingang im ersten Halbjahr in etwa seiner Schätzung entsprach, spiegle dieses Niveau die Investitionszurückhaltung der Spinnereien in fast allen Regionen wider. In der Tat habe sich der Auftragsbestand seit Ende des ersten Semesters 2022 auf 1,1 Milliarden Franken fast halbiert, was seiner Meinung nach zu niedrig ist, um in den nächsten ein bis zwei Jahren einen ausreichend hohen Umsatz zu erzielen, der es Rieter erlauben würde, die Betriebskosten zu absorbieren.
Bereits Ende Juli senkte die UBS das Kursziel für Rieter auf 94 von 98 Franken. Die Einstufung lautet weiterhin "Neutral". Auch die UBS senkte die Prognosen für den Spinnereimaschinen-Hersteller, um der schwachen Dynamik beim Auftragseingang Rechnung zu tragen. Unter dem Strich senkte die Bank die Prognosen für den bereinigten Gewinn je Reiter-Aktie für 2023 bis 2025 um 15, 17 und 15 Prozent.
Im Vergleich zur Credit Suisse und UBS ist Stifel etwas optimistischer, aber auch die amerikanische Investmentbank senkte bereits Ende Juni das Kursziel für Rieter auf 110 von 135 Franken. Die Einstufung lautet auch dort weiterhin "Hold". Der neue CEO Thomas Oetterli und der neue Finanzchef Oliver Streuli hätten grosse Herausforderungen vor sich, schreibt Analyst Christian Arnold.
Es gelte den grossen Auftragseingang abzuarbeiten, aber auch mit dem Abwärtszyklus der Textilindustrie umzugehen und die Integration der Saurer-Aktivitäten über die Bühne zu bringen. Längerfristig sieht er zwar Aufwärtspotenzial für die Aktien. Angesichts der derzeit hohen Unsicherheiten bleibe er aber bei seinem Hold-Rating.
Betrachtet man die Entwicklung der Rieter-Aktie über einen längeren Zeitrahmen, so fällt das Fazit ernüchternd aus. Seit dem Allzeithoch am 22. Januar 2007 vor der Finanzkrise haben die Titel 87 Prozent an Wert verloren und notieren noch knapp 20 Prozent über dem Allzeittief von 73 Franken am 26. Oktober 2020.
Aktuell beträgt das Kurs-/Gewinnverhältnis (KGV) 7,9. Dies macht auf den ersten Blick den Eindruck, dass die Aktie günstig bewertet ist. Bei diesem durchzogenen Ausblick weiss aber auch ein tiefes KGV nicht überzeugen, zumal die Dividendenrendite nur 1,6 Prozent beträgt. Dabei gilt es ferner zu berücksichtigen, dass das Dividendenwachstum über die letzten fünf Jahre mit minus 8,27 Prozent rückläufig war.
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie lange Geduld die Grossaktionäre mit Rieter haben. Peter Spuhler und seine PCS Holding halten 33 Prozent der Aktien. Spuhler hatte erst im Frühjahr dem früheren Rieter-Verwaltungsrat Luc Tack ein Paket Rieter-Aktien abgekauft, zu einem Kurs von 122 Franken je Aktie. Amag-Eigentümer Martin Haefner hält laut Bloomberg 8 Prozent n Rieter. Spuhler und Haefner sind auch beim schlingernden Stahlhersteller Swiss Steel engagiert.
(cash/AWP)