Auf den ersten Blick haben die Aktienbullen an der Wall Street die Geschichte auf ihrer Seite, wenn sich die aggressive Straffungskampagne der Federal Reserve wirklich dem Ende zuneigt. In acht vorangegangenen geldpolitischen Straffungszyklen stieg der S&P 500 pro Jahr nach der letzten Zinserhöhung um durchschnittlich 13 Prozent, so Strategas Securities.

Im bisherigen Jahresverlauf zeigt sich der amerikanische Verbraucher weitgehend gesund und konsumiert munter weiter. Die Unternehmensgewinne des ersten Quartals beleben Big Tech und die Lieferengpässe lösen sich. All dies erhöht die Möglichkeit eines neuen Bullenzyklus ähnlich wie Mitte der 90er Jahre.

Trotz guter Zahlen und Vorlagen springen die Vermögensverwalter vorerst nicht auf den Zug auf - weitere 2,7 Milliarden US-Dollar wurden laut EPFR Global in der Woche bis zum 26. April aus US-Aktienfonds abgezogen wurden. Die Befürchtung ist, dass höhere Kreditkosten weitere Turbulenzen im Bankensektor schüren und gleichzeitig die Kreditvergabe in entscheidenden Bereichen der US-Wirtschaft eingeschränkt wird.

Die Geschichte liefert aber auch warnende Episoden. In den 1970er Jahren und erneut während der Dotcom-Blase schadete unter anderem die Geldpolitik der Wirtschaft. Aus diesem Grund ist die geldpolitische Entscheidung der Fed am Mittwoch, wenn eine weitere Zinserhöhung erwartet wird, ein kritischer Moment im Tauziehen zwischen Bullen und Bären – und könnte Markt-Timern in der Zukunft neue Fallen stellen.

"Das Timing des Marktes ist riskant“, sagte Tony Roth von Wilmington Trust Investment Advisors, der prognostiziert, dass der S&P 500 für den Rest des Jahres an eine Spanne gebunden sein wird und der Index gar bis auf 3'600 fallen könnte, wenn sich die Wirtschaftsbedingungen verschlechtern. "Sobald wir die Inflation durchschauen können, bis die Fed beginnt, die Zinsen zu senken, befinden wir uns im nächsten Zyklus und Aktien werden florieren können“, sagte er. "Aber das wird nach unserer Einschätzung erst im nächsten Jahr passieren.“

Die Geschichte hat gezeigt, dass sich der Kauf von Aktien am Ende eines Zinserhöhungszyklus in Umgebungen mit relativ niedriger Inflation wie in den 1990er Jahren als erfolgreiche Strategie erwiesen hat. Aber im Zuge des Inflationsdrucks in den 1970er Jahren und danach fielen die Aktien laut der Bank of America (BofA) in den drei Monaten nach jeder letzten Erhöhung.

Das ist einer der Gründe, warum Michael Hartnett, Anlagestratege der BofA, die Anleger aufgefordert hat, "das Letzte zu verkaufen Zinserhöhung." Er erwartet, dass die Rallye des S&P 500 durch sinkende Gewinne und wachsende Rezessionsgefahr ausgebremst wird. Inzwischen gibt es keine Garantie dafür, dass marktfreundliche Zinssenkungen bald kommen, auch wenn Swap-Händler massenhaft eine lockerere Geldpolitik einpreisen. Schliesslich hat die Fed die Kreditkosten noch nie gesenkt, wenn die Arbeitslosenquote – derzeit fast ein halbes Jahrhunderttief von 3,5 Prozent – so günstig aussah.

Angesichts gemischter Signale für den bevorstehenden Wirtschaftsverlauf sitzen viele Anleger an der Seitenlinie. "Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird, bis sich die Wirtschaft wirklich bis zum Punkt einer Rezession verlangsamt“, sagte Shaniel Ramjee, Senior Investment Manager bei Pictet Asset Management. Was Ramjee in letzter Zeit davon abhält, sich der Aktienrallye anzuschliessen: Besorgnis über das Finanzsystem nach dem Zusammenbruch mehrerer Banken im letzten Monat.

Wirtschaftlicher Schwund lässt nach

Der Conference Board Leading Economic Index war 12 Monate in Folge negativ. In den vergangenen 50 Jahren gab es nur drei Fälle, in denen dies geschah – 1974, 1980 und 2008 – und jedes Mal befand sich die US-Wirtschaft bereits in einer Rezession, so Michael Sheldon, Chief Investment Officer bei der RDM Financial Group.

Von Bloomberg befragte Prognostiker gehen davon aus, dass die Wirtschaft im dritten und vierten Quartal schrumpfen wird. Ramjee von Pictet glaubt aber, dass die Wirtschaft einen Abschwung länger umgehen könnte. Das US-Sparpolster zum Beispiel sieht mit 5,1 Prozent im März gesund aus, dem höchsten Stand seit Dezember 2021. "Statt einer Rezession wird die Wirtschaft eher auf mehrere Quartale mit niedrigem Wachstum zusteuern“, fügte Ramjee hinzu. "Es ist möglich, dass die Aktien bis Ende des Jahres noch steigen könnten. Es ist gefährlich für Anleger, zu früh – oder zu lange – zu defensiv zu werden.“

(Bloomberg)