Zunächst einmal sind die Bewertungen bereits hoch, und die Gruppe der Aktien mit den grössten Kursgewinnen ist relativ klein – ein an sich schon riskantes Szenario. Vieles hängt davon ab, ob die Gewinner im Bereich der künstlichen Intelligenz beweisen können, dass sie keine Blase bilden, sondern noch weiteres Aufwärtspotenzial haben.
«KI wird Branchen und Investitionsmöglichkeiten verändern, birgt aber auch die Gefahr von Übereifer», sagte Kristin Lemkau, Vorstandsvorsitzende von JPMorgan Wealth Management. Ein Grossteil des Optimismus beruht darauf, dass die Wirtschaft ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Resilienz, aber ohne Übertreibung beibehält, damit Inflation oder Zinsschocks ausbleiben.
Zudem hoffen die Anleger auf eine ausreichende geopolitische Ruhe, um Störungen der Lieferketten zu vermeiden. «Die Fragmentierung, bei der sich die globale Ordnung in konkurrierende Blöcke und Lieferketten aufspaltet, bedeutet, dass Widerstandsfähigkeit und Sicherheit wichtiger denn je sind», sagte Lemkau.
Die lange Liste möglicher Risiken deutet darauf hin, dass Kurskorrekturen und Volatilitätsspitzen im Jahr 2026 wahrscheinlich sind, insbesondere angesichts einer Anlegerbasis, die so entschlossen ist, den Markt weiter nach oben zu treiben. Im Folgenden betrachten wir die Herausforderungen für die optimistischen Aussichten genauer.
KI-Erwartungen
Die KI-Revolution ist weiterhin das dominierende Narrativ, das dem Vertrauen in US-amerikanische und globale Aktien zugrunde liegt. Die Risiken betreffen den Ablauf und Ertrag der enormen Investitionen. Sollte sich die KI-Einführung langsamer als erwartet gestalten oder die Preissetzungsmacht der Technologieführer angesichts des zunehmenden Wettbewerbs enttäuschen, könnten die Gewinnprognosen deutlich nach unten korrigiert werden.
Die Märkte könnten zudem hinterfragen, ob die Investitionsausgaben ihren Höhepunkt erreicht haben, ohne dass entsprechende Resultate erzielt wurden. Angesichts der hohen Gewichtung von KI-bezogenen Aktien in den wichtigsten Indizes könnte selbst eine teilweise Neubewertung dieses Themas weitreichende Folgen haben.
Und die Bedrohungen für die KI Wertschöpfungskette könnten sich 2026 verschärfen. Es gibt zahlreiche potenzielle Sorgenfalten, von der Nachfrage und dem Angebot an Chips bis hin zu technologischen Umbrüchen, wie die jüngste Diskussion um TPUs gegen GPUs gezeigt hat. Die Bereitstellung der benötigten Ausrüstung und die Stromversorgung für Rechenzentren bietet enorme Chancen, bergen aber auch potenzielle Fallstricke, die den KI-Hype dämpfen könnten. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt noch weitgehend ungewiss sind, sollte sich die Nutzung in Unternehmen deutlich verstärken.
Bewertung und Konzentration
US-Aktien sind auf nahezu perfekte Performance eingepreist. Der S&P 500 notiert deutlich über seinen langfristigen Bewertungsdurchschnitten, während die Marktführerschaft zunehmend auf eine kleine Gruppe von Mega-Cap-Technologieaktien konzentriert ist. Diese Dynamik hat die Wertentwicklung zwar gesteigert – erhöht aber auch die Abwärtsrisiken.
Sollte sich das Gewinnwachstum auch nur geringfügig verlangsamen oder sollten die Margen durch Lohn- oder Finanzierungskosten unter Druck geraten, könnte die Verringerung der Gewinnmultiplikatoren rasch erfolgen.
Inflation und Leitzins
Die Märkte gehen weiterhin davon aus, dass die Inflation nachlässt und die Leitzinsen sinken werden. Doch die Inflation könnte sich anders entwickeln, da hoher Preisdruck durch hohe KI Ausgaben oder anhaltende Zolleffekte entstehen könnte. Die Folge wäre, dass die Fed die Zinsen länger hochhält oder sogar die Finanzbedingungen verschärft. Die Anleiherenditen würden voraussichtlich steigen, was die Aktien-Diskontsätze erhöhen und die Risikotoleranz der Anleger gegenüber hohen Bewertungen auf die Probe stellen würde.
Volatilität am Anleihemarkt birgt an sich ein Risiko: Abrupte Anpassungen im kurzfristigen Bereich der Zinskurve wirken sich tendenziell auf Aktien aus, insbesondere auf Wachstumswerte. Für Anleger, die auf ein günstiges Zinsumfeld setzen, ist die Asymmetrie deutlich – Überraschungen haben überwiegend negative Auswirkungen.
Geopolitik und Handel
Geopolitische Risiken stellen eine latente, aber ernstzunehmende Bedrohung für Aktien dar. Spannungen zwischen den USA und China, Konflikte mit Auswirkungen auf die Energiemärkte oder Störungen kritischer Lieferketten – darunter Halbleiter und Seltene Erden – könnten abrupte Risikoaversionen auslösen.
Die Handelspolitik ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor, insbesondere wenn Zölle wieder in den Fokus der Politik rücken. Für die Märkte geht es weniger um Prognosen als vielmehr um die Einpreisung von Unsicherheit. Die Geschichte zeigt, dass geopolitische Schocks häufig zu plötzlichen Volatilitätsanstiegen, einer Stärkung des Dollars und Kursverlusten an den Aktienmärkten führen, selbst wenn sich die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen als beherrschbar erweisen. In einem Markt, der auf Stabilität ausgelegt ist, haben solche Ereignisse überproportionale Auswirkungen.
Makroökonomische Verlangsamung
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich die US- Wirtschaft als robust erweisen wird, während die Hoffnungen für Europa auf einem Ausgabenrausch der Regierungen beruhen. Jegliche Schwächen dieser Annahme werden jedoch genau beobachtet werden.
Im Mittelpunkt stehen Fragen dazu, wie Verbraucher mit dem steigenden Lebenshaltungskostendruck umgehen und wie Banken ihre Kreditrisiken abwägen. Eine erzwungene Verlangsamung der Staatsausgaben oder ein Rückgang der Neueinstellungen bei Unternehmen könnten schnell zu schwächeren Gewinnen führen, insbesondere ausserhalb der grossen Technologiekonzerne. Da die Erwartungen für das Gewinnwachstum weiterhin optimistisch sind, könnten Abwärtskorrekturen eine breitere Risikoreduzierung auslösen.
«Was mir nachts etwas den Schlaf raubt, ist die makroökonomische Abschwächung» , sagt Helen Jewell, International Chief Investment Officer für die fundamentale Aktienanlage bei BlackRock. «Meine Befürchtung ist, dass wir am Ende in einer K-förmigen Wirtschaftslage landen und dies negative Auswirkungen auf die Verbraucher hat.»
Die Nebenschauplätze
Eine sich verschlechternde Liquidität während Rücksetzern, konzentrierte Positionierung, sowie erhöhte Handelsumsätze von gehebelten ETFs, systematischen Anlegern und passiven Anlagestrategien sind an sich vielleicht keine Auslöser, aber sie machen Aktien unter Stress wesentlich reaktiver.
Das Tempo, mit dem Volatilitätsspitzen abgeklungen sind, hat den Märkten geholfen, Stressphasen zu überwinden. Dies stellt jedoch eine Herausforderung für Hedging und Markt-Timing dar. Es kann Anleger potenziell zu überstürztem Handeln verleiten und so zu Episoden führen, in denen man erst verkauft und dann fragt.
Aktienrückkäufe der Unternehmen haben sich als wichtige Stütze des Marktes erwiesen, könnten aber bei einer Konjunkturschwäche wegfallen. Hinzu kommt die zunehmende Sensibilität der Märkte gegenüber staatlichen Ausgaben und Haushaltsdefiziten. Gleiches gilt für regulatorische und rechtliche Schocks, die im Hinblick auf 2026 berücksichtigt werden sollten, da es im KI nach wie vor an klaren Regeln mangelt.
Und schliesslich gibt es das Konsensrisiko. Wenn die meisten Anleger übereinstimmen, warum die Märkte steigen – KI Produktivität, Konjunkturaussichten und Zinssenkungen –, besteht das Risiko nicht darin, letztendlich falsch zu liegen, sondern gemeinsam falsch zu liegen. Die Schwachstelle könnte in der Marktstruktur selbst liegen – wo Positionierung, Liquidität und Anlegerstimmung so eng zusammenwirken, dass kleine Auslöser grosse Bewegungen hervorrufen.
(Bloomberg)
