Der sogenannte «Buffett-Indicator» für die US-Börsen und auch für die globalen Märkte sind extrem hoch – die Kennzahl setzt alle börsenkotierten Aktien eines Landes ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt. Sind diese Höchststände Grund zur Sorge – hat sich an den Börsen eine Blase gebildet?
Gerald Moser: Wir sind nicht der Meinung, dass es an den Aktienmärkten eine Blase gibt. Der Hauptgrund dafür, dass der "Buffet-Indikator" so hoch ist, ist die Politik der Zentralbanken.
Da Billionen an zusätzlicher Liquidität eine Möglichkeit suchen, um investiert zu werden, spiegeln die hohen Aktienkurse dieses Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot an Aktien wider.
Dieses erhöhte Ungleichgewicht dürfte mindestens in den nächsten paar Jahren Bestand haben, da wir nicht erwarten, dass die Zentralbanken ihre Unterstützung in absehbarer Zeit zurückziehen werden. Aber es gibt Teile des Marktes, insbesondere in Bereichen, in denen die Anlagemöglichkeiten an den öffentlichen Märkten begrenzt sind, wo zu viel Geld zu wenigen Möglichkeiten hinterherjagt.
Bitcoin und Ethereum werden derzeit zu Höchstpreisen gehandelt. Taugen Kryptowährungen als Anlage für normale Investorinnen?
Kryptowährungen sind digitale Vermögenswerte, die nicht mit realen Vermögenswerten unterlegt sind und kein Einkommen liefern. Als solche entwickeln sie sich am ehesten positiv, wenn die Realzinsen niedrig oder negativ sind, wie es im Moment der Fall ist.
Und das ist auch der Grund, warum sie oft als gute Inflationsabsicherung erwähnt werden, da sie dezentralisiert sind und eine hohe Inflation wahrscheinlich zu negativen Realzinsen führen würde.
Aber Kryptowährungen sind sehr volatil und daher eine Anlageklasse, die ein hohes Risiko birgt. Sie könnten sich in Zukunft als stabiles Investment neben etablierten Anlageklassen entwickeln, sollten aber wie Risikokapital betrachtet werden: potenziell hohe Renditen, aber mit vielen Risiken verbunden.
Die meisten Anleger investieren sowohl in Aktien wie auch in Sachwerte, beispielsweise Gold und Immobilien. Welches Gewicht sollten die einzelnen Kategorien im Portfolio haben?
Während Finanzanlagen grösstenteils von der quantitativen Politik der Zentralbanken in den letzten 10 Jahren profitiert haben, hatten Sachanlagen zu kämpfen, da die Inflation gedämpft blieb.
Aus Sicht der Vermögensallokation schneiden Sachwerte tendenziell am besten ab, wenn die Inflation höher ist als das aktuelle Niveau.
Die Frage nach der Gewichtung in einem Portfolio wird daher in der Regel durch die eigene Einschätzung der Inflation und dem potenziellen Absicherungsbedarf entschieden.
Aber in diesem Fall besteht die Wahl eher zwischen festverzinslichen Anlagen, die einen Nominalwert darstellen, und Sachwerten wie Gold und Immobilien. Da festverzinsliche Anlagen weniger Diversifikation und Einkommen bieten, als es in der Vergangenheit der Fall war, müssen Anleger überlegen, ob Gold und Immobilien sowie private Anlagen ein grösseres Gewicht in einem Portfolio haben sollten, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Immer mehr Anlegerinnen und Anleger investieren passiv an den Börsen über Exchange Traded Funds. Sehen Sie Vorteile darin, weiter auf aktiv geführte Fonds und Einzeltitel zu setzen?
In den vergangenen Jahren haben wir beim passiven Anlegen ein starkes Wachstum gesehen. Aber wir sehen in den nächsten Jahren weniger Möglichkeiten für passives Investieren.
Seit 2009 hat der Trend zu niedrigeren Anleiherenditen dazu geführt, dass die Bewertungen an den Aktienmärkten gestiegen sind. Dies war in den vergangenen 10 Jahren der Haupttreiber für die Aktienrenditen, während das Wachstum nur geringfügig dazu beigetragen hat.
Für die Zukunft ist es unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken ihre quantitative Lockerung weiter ausweiten und/oder die Zinssätze senken werden. Daher dürften Aktienrenditen eher aus der Einzeltitelauswahl resultieren, weil die Renditen auf Indexebene im Vergleich zum historischen Durchschnitt gedämpft sein werden.
Blicken wir auf das allgemeine Geschehen an den Börsen: Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Die Corona-Krise ist eine sehr ungewöhnliche Krise. Bei einer typischen Wirtschaftskrise geht es um die Anpassung grosser Ungleichgewichte in bestimmten Teilen der Wirtschaft.
Aber die Corona-Krise ist eine Cash-Flow-Krise, bei der die Verlangsamung nicht allmählich, sondern sehr plötzlich erfolgt. Da die Ungleichgewichte anfänglich nicht gross waren, haben Regierungen und Zentralbanken stark reagiert, um den Volkswirtschaften zu helfen, diesen Cash-Flow-Schock zu überwinden. Die Auswirkung auf die Finanzmärkte liegt vor allem in der Fülle an Liquidität, die die Zentralbanken in die Wirtschaft pumpen.
Das bedeutet, dass mehr Geld auf der Jagd nach Finanzanlagen ist, was zu einer geringeren Entschädigung für jede Anlageklasse führt. Die erwarteten Renditen für die nächsten Jahre sollten auf breiter Front niedriger sein.
Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Asset Allocation zu überprüfen, wobei Privatmärkte und Hedgefonds eine immer grössere Rolle in einem Portfolio spielen.
Ausserdem ist es wichtig, beim Investieren einen aktiven Ansatz zu verfolgen und unterhalb des Index nach Wachstumschancen zu suchen. Schliesslich wirft diese Krise auch ein Licht auf die zukünftigen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, und Nachhaltigkeit ist ein Trend, der nicht ignoriert, sondern angenommen werden sollte.
Gerald Moser ist seit 2019 als Chief Market Strategist für Barclays Private Bank tätig. In dieser Position ist er für den Investitionsausblick von Barclays Private Bank verantwortlich. Vor seinem Engagement bei Barclays war Gerald Moser mehrere Jahre für die Credit Suisse in der Division Wealth Management tätig. Davor arbeitete er während fast zehn Jahren bei Goldman Sachs.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Handelszeitung unter dem Titel «Wir sind nicht der Meinung, dass es an den Aktienmärkten eine Blase gibt».