Ein Jahr war Ruhe, doch nun mehren sich wieder die Rufe nach einer Aufspaltung deutscher Grosskonzerne wie Bayer, Fresenius oder Brenntag. Vorstände und Aufsichtsräte sehen sich immer öfter mit Briefen oder Anrufen aktivistischer Investoren konfrontiert.

Die kommen meist aus den USA und argumentieren, die Einzelteile eines Konglomerats seien mehr wert als das Unternehmen als Ganzes. "Ich erwarte, dass die Aktivität in diesem Jahr auch in Deutschland weiter zunehmen wird", sagt Ingo Speich, der sich für die Fondsgesellschaft Deka um gute Unternehmensführung und Nachhaltigkeit kümmert. "Immer wenn es an den Börsen ruckeliger wird, wird deutlich, welche Unternehmen in einem schwierigen Umfeld besser oder schlechter performen."

Aktivistische Kampagnen seien gerade in schwierigen Zeiten ein relativ einfacher Weg für Investoren, verborgene Werte an der Börse zu heben, sagt Lawrence Elbaum von der Anwaltskanzlei Vinson & Elkins, der sich auf solche Investoren spezialisiert hat. Meistens halten sie nur ein paar Prozent am Unternehmen, setzen also nicht viel Kapital ein, sind aber dafür umso lauter und ziehen so Mitstreiter an, die sich der Kampagne anschliessen. Aufspaltungen seien operativ zwar aufwendig, aber auch dann möglich, wenn die Kapitalmärkte nicht mitspielen, sagt Elbaum.

Erst seit knapp einem Jahrzehnt blasen Aktivisten auch in Deutschland zum Angriff auf börsennotierte Unternehmen. Den US-Kapitalmarkt hätten sie längst systematisch durchforstet, sagt Deka-Manager Speich, nun suchten sie andere Angriffsziele. "2020 gab es in Deutschland etwa 60 Attacken, in den USA waren es über 500." Im vergangenen Jahr zählte die Investmentbank Lazard in Deutschland nur halb so viele Kampagnen wie im Vorjahr - die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg verunsicherten auch die Aktivisten. Das hat sich geändert.

Zum Beispiel Bayer: Der Leverkusener Konzern ist diesen Investoren seit der Übernahme des US-Rivalen Monsanto ein Dorn im Auge. Er ist an der Börse heute nur noch so viel wert, wie er einst für den umstrittenen Saatguthersteller zahlte - lange war es sogar weniger. Nach Kritik der Aktivisten und anderer Investoren nimmt Vorstandschef Werner Baumann nun früher als geplant seinen Hut.

Mit dem Nachfolger verbinden sie die Hoffnung, dass er das Agrar- vom Pharmageschäft trennt. Auch der Gesundheitskonzern Fresenius ist ihnen mit seinen vier Bereichen von der schwächelnden Dialysetochter FMC über die Helios-Kliniken bis zur Medikamentensparte Kabi zu unübersichtlich.

Siemens kam den aktivistischen Investoren zuvor

Joe Kaeser wollte nicht warten, bis aktivistische Investoren auch Siemens angreifen würden. Er hat den Münchner Industriekonzern in seinen acht Jahren als Vorstandschef selbst zerlegt: Zu Beginn wurde die Lichttochter Osram an die eigenen Aktionäre verschenkt, danach folgte der Börsengang der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers, und schliesslich spaltete Kaeser die Energietechnik-Sparte als Siemens Energy ab.

Nur mit der Fusion der Zug-Sparte mit dem französischen Rivalen Alstom scheiterte er am Widerstand der EU-Kartellwächter. Der US-Rivale GE folgt gerade Kaesers Beispiel und spaltet sich nach dem Muster von Siemens in drei Unternehmen auf.

Der Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht Siemens als Vorbild: In 20 Jahren habe kein deutscher Konzern so viel Wert für seine Aktionäre geschaffen: 126 Milliarden Euro in Form von Dividenden, Aktienrückkäufen und Kursgewinnen.

Kaeser, heute Aufsichtsratschef von Siemens Energy, kann die Forderungen der Aktivisten verstehen: "Sie treten dort in Erscheinung, wo sie materiellen Mehrwert sehen, dass sich ein Unternehmen strukturell neu aufstellt oder entschlackt", sagt er der Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn Unternehmen in ihrer Profitabilität und ihrer Wertschaffung für Aktionäre ihren Wettbewerbern hinterher hinken, bieten sie eine Angriffsfläche."

Umstritten ist aber, ob eine Aufspaltung dabei der Weisheit letzter Schluss ist. Konglomerats-Strukturen machen Unternehmen in schwierigen Zeiten weniger anfällig. "Einfache Strukturen sind überall gut", argumentiert dagegen Kaeser. "Sie schaffen Transparenz und sind Voraussetzung für Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit" - was in einer multilateralen Welt immer wichtiger werde. Speich argumentiert, wenn Mischkonzerne unterbewertet seien, liege das in der Regel am Vorstand und nicht an der Aufstellung.

"Es ist also letztlich ein Management-Abschlag." Freilich habe sich bei deutschen Konzernen aufgrund ihrer langen Geschichte "an einigen Stellen ein gewisser Wildwuchs gebildet, was die Struktur anbelangt".

US-Aktivisten hielten sich in Deutschland lange zurück

Was die Aktivisten aus dem angelsächsischen Raum lange Zeit abschreckte, war die deutsche Unternehmensverfassung: mit einem Vorstand und einem Aufsichtsrat - und mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. "Das ist ein komplett anderes System als in den USA, das es für die Aktivisten schwerer macht, Veränderungen durchzusetzen", sagt Speich. Heimische Investoren geniessen da einen Standortvorteil, arbeiten aber mit ähnlichen Mitteln.

Der von zwei österreichischen früheren Investmentbankern geführte aktivistische Investor Petrus Advisers trieb die Wiesbadener Aareal Bank so lange vor sich her, bis sie sich in einen Verkauf an Finanzinvestoren flüchtete - an dem Petrus gut verdiente. Nun schiesst sich der Aktivist gerade auf den Aareal-Konkurrenten pbb ein.

(Reuters)