Die Wall Street war erfolgreich auf Aufholjagd: Nun stehen die Kurse an den US-Börsen wieder höher als an den europäischen Märkten. Wer wird am Ende des Börsenjahrs vorne liegen: Die USA oder Europa?
Thomas Heller: Wenn wir als Repräsentanten der jeweiligen Märkte den S&P 500 und den Euro Stoxx heranziehen, so lag der US-Aktienmarkt in Franken gerechnet in diesem Jahr nie wirklich im Hintertreffen. Nimmt man das vergangene Jahr hinzu, so liegen die USA mit ihrem relativ hohen Gewicht von 'Corona-Profiteuren' aus dem Technologie-Sektor noch deutlicher voraus. Angesichts der erwarteten kräftigen Konjunkturerholung würde ich bis Ende Jahr allerdings den im Vergleich zum S&P 500 zyklischeren Märkten der Eurozone den Vorzug geben.
Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Der direkte Corona-Einfluss auf die Märkte hat nachgelassen. Vor allem die positiven Aspekte – Fortschreitende Impfkampagnen, zumindest in den Industrieländern rückläufige Fallzahlen, mögliche Lockerungen bei den Eindämmungsmassnahmen, verbesserte Konjunktur – sind in den Kursen drin. Es sind eher die Folgen aus der Coronakrise und deren Bewältigung, die die Märkte beschäftigen. Zum Beispiel: Wie hoch und wie nachhaltig wird der derzeitige Inflationsanstieg ausfallen? Sind es mehr als Basiseffekte? Und was heisst das für die Zinsen?
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Neben der Inflationsthematik gibt es weitere Aspekte, die für unruhigere Märkte sorgen könnten. So etwa die Steuerdebatten in den USA zur Finanzierung der riesigen Fiskal-Pakete und zur Einführung einer globalen Mindeststeuer für Unternehmen. Oder Diskussionen über ein Tapering, also die langsamere Expansion der Geldpolitik. Das Umfeld ist zwar noch immer gut, aber das Potenzial scheint etwas ausgereizt. Ich rechne mit erhöhter Volatilität und kurzfristig per Saldo mit wenig veränderten Kursen.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Vorerst rechne ich wie eben gesagt mit einer Seitwärtstendenz, allenfalls begleitet von einem vorübergehenden Rücksetzer. Mit der hoffentlich baldigen Normalisierung der Coronasituation und der anhaltenden Unterstützung von Geld- und Fiskalpolitik dürften die Märkte wieder anziehen. Ein Plus von netto 5 Prozent gegenüber heute scheint in zwölf Monaten realistisch.
Das Interview wurde schriftlich geführt und erschien in der vollständigen Version zuerst auf handelszeitung.ch unter dem Titel "In China investieren: 'Man muss sich des erhöhten Risikos bewusst sein'".