Als Jonny Frostick merkte, dass er einen Herzinfarkt erlitten hatte, war das erste, was dem Berater der HSBC einfiel: "Das kommt ungelegen, ich muss mich morgen mit meinem Manager treffen." Dann dachte er an die Finanzierung eines Projekts, an sein Testament - und schliesslich an seine Frau.

 

 

Frostick, der mehr als 20 Mitarbeiter unter sich hat, die an regulatorischen Datenprojekten arbeiten, beschrieb seinen Beinahe-Tod in einem viralen LinkedIn-Beitrag, der fast acht Millionen Mal aufgerufen wurde. Der 45-jährige Brite ist der jüngste Angestellte in der Finanzbranche, der sich zu einer selbstausbeuterische Arbeitskultur während der Pandemie äussert, welche die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben für Massen von Angestellten verwischt.

"Während ich früher normalerweise irgendwo zwischen fünf und halb sieben fertig war, bin ich jetzt an einem Freitag Abend um acht Uhr erschöpft und denke, ich muss etwas für Montag vorbereiten, habe aber gar keine Zeit. Dann habe ich sogar angefangen, an den Wochenenden zu arbeiten", sagte Frostick in einem Bloomberg-Telefoninterview von seinem Haus im englischen Landesteil Dorset. "Es ist meine Verantwortung. Ich denke, das war für mich der Punkt, an dem sich die Grenzen verwischten."

Unverhältnismässig viel Zeit in Zoom-Anrufen

"Wir alle wünschen Jonathan eine vollständige und schnelle Genesung", erklärte HSBC-Sprecherin Heidi Ashley. "Die Reaktion auf dieses Thema zeigt, wie sehr es die Menschen beschäftigt, und wir ermutigen alle, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zur obersten Priorität zu machen."

Frostick berichtete, dass er und seine Kollegen unverhältnismässig viel Zeit mit Zoom-Anrufen verbringen und dass sich Arbeitstage auf bis zu 12 Stunden ausdehnen. Die Isolation in der Arbeit von daheim fordere ebenfalls ihren Tribut, sagte er. "Gespräche neben dem Schreibtisch oder an der Kaffeemaschine, oder eine Unterhaltung während eines Spaziergangs - all das ist nicht mehr möglich", sagte er.

Debatte um Arbeit nach der Pandemie

Frostick, der drei kleine Kinder hat, sagte, er sei selbst für die Überarbeitung und die Vernachlässigung seiner Gesundheit verantwortlich, die zu dem Herzinfarkt geführt hat. Er sieht das als Weckruf, den er mit anderen teilen will. "Ich trage Verantwortung für mich und für andere Menschen", sagte Frostick. "Es ist mir passiert, es könnte auch Dir passieren. Du musst was ändern."

Er will die Debatte über die Arbeitskultur nach der Pandemie vorantreiben und hofft, dass die Arbeitgeber einen flexibleren Ansatz verfolgen werden. In dem Posting gelobte Frostick, Verhaltensänderungen vorzunehmen, einschliesslich der Begrenzung von Zoom-Anrufen und seiner Einstellung zur Arbeit. Mit seiner Familie will er mehr Zeit verbringen. Der Beitrag erhielt mehr als 214.000 Likes und generierte Tausende von Nachrichten von Menschen, die ihre Einstellung ebenfalls überdenken.

Frostick erholt sich derzeit und hat gerade genug Energie, das Bett für ein paar Stunden am Stück zu verlassen. Er geniesst die Zeit mit Frau und Kindern und will endlich mal wieder an seinem klapprigen Mercedes herumschrauben.

Keine Schuldzuweisung an die Bank

Die Schuld für seine Gesundheitsprobleme sieht er nicht bei der HSBC und er ist optimistisch, was die Zukunft angeht. "Ich denke nicht, dass dies ein schlechtes Licht auf den Arbeitgeber wirft.

Ich denke, das ist in der gesamten Branche so und ich denke, dass es deshalb bei so vielen Leuten Anklang gefunden hat", sagte er. "Wenn ein Unternehmen mich nicht beschäftigen will, weil ich mir einen Moment Zeit genommen habe, um das zu analysieren und festzuhalten, ist es wahrscheinlich nicht der richtige Arbeitgeber für mich."

(Bloomberg/cash)