Die scheinbar unerschütterliche Unterstützung des Clans, der die Mehrheit an VW hält, hatte Diess bei seinen Zusammenstössen mit der Arbeitnehmervertretung immer wieder den Rücken gestärkt. Doch als immer öfter wichtige Projekte scheiterten und die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer zunahm, kam die Familie letztlich doch zum Schluss, dass er gehen musste.

Die Entscheidung fiel am 20. Juli, berichten Personen, die mit den Beratungen vertraut sind. Das oberste Gremium des VW-Aufsichtsrats, das sich aus Vertretern der Familie, des Landes Niedersachsen und der IG Metall zusammensetzt, beschloss, dass die Zeit von Diess abgelaufen war. Diess selbst erfuhr dies um die Mittagszeit des nächsten Tages, noch im Jetlag von einem Besuch in der SUV-Fabrik des Autobauers in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee.

Diess’ Scheitern zeigt auf brutale Weise die Herausforderungen von Managern in Industrieunternehmen, die sich für das digitale Zeitalter rüsten müssen. Die bei VW selbst für deutsche Verhältnisse mächtige Gewerkschaft und die Landesregierung sträuben sich traditionell gegen allzu drastische Umstrukturierungen, die Arbeitsplätze gefährden würden. Diess fand letztlich kein Rezept dafür, sie für seine Pläne mit an Bord zu holen.

Während Diess in Sachen Strategieentwicklung Verdienste erwarb, stiess seine Vorgehensweise immer wieder auf Unmut. Die Umsetzung im Unternehmen blieb lückenhaft. Der 2015 von BMW geholte Konzern-Quereinsteiger konnte im Haus kaum Bündnispartner gewinnen und geriet zunehmend ins Abseits. Die Drohung mit Kostensenkungen und die Verzögerungen bei der Entwicklung von wichtiger Software für zukünftige Produkte kosteten ihn schliesslich seinen Posten.

“Der Rücktritt von CEO Herbert Diess ist keine Überraschung, wenn man bedenkt, wie sehr er in den letzten Monaten an den Rand gedrängt wurde”, schreibt Philippe Houchois, ein Analyst bei Jefferies. “Der Zeitpunkt ist unglücklich und ein weiteres Beispiel für die Misere bei VW.”

Sprecher von VW lehnten eine Stellungnahme zu den Umständen von Diess’ Entlassung ab.

Software-Probleme

Die Bestrebungen, Diess noch vor dem sommerlichen Betriebsurlaub abzusetzen, begannen am vergangenen Wochenende in Einzelgesprächen des achtköpfigen Aufsichtsratspräsidiums. Diess war gerade auf Tour in den USA, einem Markt, auf dem der grösste europäische Automobilhersteller seit Jahren nicht mehr wirklich Fuss fassen konnte.

Schlüsselpersonen des Gremiums begannen auszuloten, wer Diess ersetzen könnte. Es hatte wiederholt Spannungen mit dem CEO gegeben, unter anderem Ende letzten Jahres, als er warnte, dass VW hinter Tesla zurückzufallen drohte und laut über einen grösseren Stellenabbau nachdachte. Im Dezember stellte VW den Vorstand um und entzog Diess einige Verantwortlichkeiten, übertrug ihm aber die Leitung von Cariad, der Softwaresparte des Autobauers.

Seitdem haben Streitigkeiten bei Cariad die geplante Markteinführung wichtiger neuer Modelle verzögert, darunter die des Elektro-SUVs Porsche Macan. Die schwerfällige Überzeugungsarbeit für die Umsetzung von Diess’ 89 Milliarden Euro teurer Elektroauto- und Softwarestrategie liess den Rückhalt bei Porsche und Piech langsam schwinden.

Der Nachfolger

Im Laufe der Diskussionen der letzten Woche kristallisierte sich Porsche-CEO Oliver Blume als Nachfolger heraus. Für ihn sprachen einerseits der Stallgeruch dank langjähriger Erfahrung in Schlüsselpositionen bei VW, andererseits die Erfolgsbilanz bei der Revitalisierung der Sportwagensparte des Konzerns. Je mehr die VW-Granden Vor- und Nachteile abwogen, desto mehr neigten sie zum Neuanfang.

Wenige Stunden nach seiner Rückkehr aus Chattanooga wurde Diess mit der Entscheidung konfrontiert. Er hatte 24 Stunden Zeit, darauf zu reagieren. Nach Gesprächen mit seinen Anwälten entschied er, dass es Zeit war zu gehen.

Diess informierte am Freitag VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Für 16.30 Uhr wurde eine Sitzung des 20-köpfigen Aufsichtsrats einberufen. Eine Viertelstunde vor Beginn informierten die Präsidiumsmitglieder ihr jeweiliges Lager, dass die Ablösung von Diess auf der Tagesordnung steht. Der Beschluss erfolgte einstimmig.

Diess, der die grösste Markteinführung von Elektroautos in der Industrie auf den Weg gebracht hat, wird in etwas mehr als einem Monat den Platz für Blume räumen. Er hat wahrscheinlich noch Anspruch auf die volle Bezahlung seines Vertrags bis Oktober 2025. Abhängig von den Ergebnissen und der Entwicklung der Aktie des Autobauers könnte er noch mehr als 30 Millionen Euro einstreichen.

(Bloomberg)