cash.ch: Bei der Mobilität erfolgt ein 'Shift' von herkömmlichen Verbrennern hin zu Fahrzeugen mit Elektromotoren. Wie betrifft diese Entwicklung Autoneum?

Eelco Spoelder: Diese Entwicklung bietet Autoneum Möglichkeiten für zusätzliches Wachstum. Wir verlieren etwas bei den Hitzeschildern, gewinnen aber vieles mit neuen Produkten wie beispielsweise Akustikkomponenten und thermischer Isolation für Elektrofahrzeuge hinzu.

Warum gibt es deswegen Potenzial für mehr Wachstum?

Produkte spezifisch für Benziner machten bei Autoneum im vergangenen Jahr insgesamt nur 7 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Mit der Übernahme von Borgers dürfte der Anteil noch weiter sinken. Somit werden über 93 Prozent des Umsatzes unabhängig von dieser traditionellen Antriebsart generiert. Dieser Anteil wird zukünftig noch steigen.

Wo liegt jetzt das zusätzliche Potenzial?

Auch Elektrofahrzeuge geben Geräuschemissionen ab. Elektromotoren sind zwar leiser, aber dafür sind beispielsweise die Abrollgeräusche von den Reifen durch das batteriebedingt höhere Fahrzeuggewicht dominanter. Durch den Wegfall des Antriebsgeräuschs nimmt man Lärmquellen wie Lüfter, Pumpen oder hochfrequente Töne des Elektromotors im Innern des Fahrzeugs verstärkt wahr. Um diese zu isolieren, verkaufen wir akustische Dämmungsmaterialien. Und auch die Batterien müssen über hochwertige Unterbodenplatten gegen äussere Einwirkungen geschützt werden. Zudem hat Autoneum durch die Borgers-Akquisition mit der Kofferraumabdeckung ein neues Produktsegment im Angebot. Bei der Elektromobilität wird eine Geräuschdämmung in diesem Bereich ebenso notwendig.

Das sind jetzt vor allem die Chancen, die sie in dieser Entwicklung hin zur Elektromobilität sehen. Was sind die Herausforderungen?

Wir müssen unsere Produkte gewichtsmässig und auch thermisch für die Elektromobilität optimieren. Die zweite grosse Herausforderung besteht in der Erhöhung der Nachhaltigkeit durch eine verbesserte Rezyklierbarkeit der Materialien. Man muss die Produkte monomaterial machen und nur einen Rohstoff benutzen, damit man diesen am Ende des Lebenszyklus wiederverwenden kann. Dies haben wir bereits erfolgreich umgesetzt und patentiert. Die so produzierten Teppichböden bieten die gleiche Dämpfung und Komfort. Auch hat Autoneum diese Produkte bereits an einen ersten Kunden verkauft.

Sie sind sehr optimistisch für die Zukunft. Mit den Jahreszahlen erwartete Autoneum Anfang März für das Jahr 2023 einen Umsatz von 2,4 bis 2,5 Milliarden Franken und eine EBIT-Marge von 3,5 bis 4,5 Prozent sowie einen Free Cashflow im höheren zweistelligen Millionenbereich. Inwiefern können Sie das Erreichen dieser Ziele bestätigen?

Seit März hat sich nichts an dieser Zielsetzung geändert. Wir haben gesagt, dass wir im Einklang mit dem Markt wachsen werden, um auf einen Umsatz von 2,4 bis 2,5 Milliarden Franken zu kommen. Diese Annahme setzte die erfolgreiche Konsolidierung von Borgers voraus. Was auch erfolgreich geklappt hat. Das Closing ist bekanntlich am 1. April 2023 erfolgt.

Der Markt entwickelt sich 2023 wie geplant?

Der Markt dürfte den positiven Trend beibehalten. Wir sehen einen Rückgang der Stop-and-Go Produktion bei den Kunden, was uns in den letzten Jahren stark betroffen hat, als Kunden durch fehlende Halbleiterteile oder wegen Covid sehr oft und teilweise unerwartet die Produktion anhalten mussten. Das hat sich verbessert, obwohl es dies leider immer noch gibt.

Die Planbarkeit ist besser geworden…

Ja, diese ist im Vergleich zu den letzten beiden Jahren wieder besser geworden.

Auch Autoneum hat letztes Jahr unter Engpässen in der Versorgungskette und der Verteuerung der Rohstoff- und Energiepreise gelitten. Wie hat sich die Situation diesbezüglich entwickelt?

Bei der Kosteninflation dürfte der Höhepunkt erreicht sein. Bei den Rohstoffen sehen wir teilweise einen Rückgang. Hingegen bleibt die Problematik steigender Gehälter aktuell, da hier eine 'Aufholjagd' stattfindet. Dementsprechend müssen wir weiterhin mit unseren Kunden darüber reden, um die bereits verhandelten und die für dieses Jahr geplanten neuen Preisanpassungen erfolgreich umzusetzen.

Autoneum hat 2022 Preiserhöhungen vorgenommen und Sie sagen jetzt, dass auch dieses Jahr wegen der Lohninflation Anpassungen vornehmen werden. Wie stark wird der volle Effekt in der Gewinn- und Verlustrechnung 2023 sein?

Wir gehen davon aus, dass dies definitiv einen positiven Effekt auf die Erfolgsrechnung 2023 haben wird.

Bezüglich des Wachstums sind Sie sehr positiv eingestellt. Doch die Konjunktur in Europa und den USA verliert ja merklich an Tempo. Autoneum spürt keine nachlassende Konsumenten-Nachfrage nach Fahrzeugen?

Wir sehen auf Basis der Marktprognosen von S&P Global eine relativ stabile Nachfrage - auch für Europa und die USA. Es besteht derzeit kein Problem der Endkundennachfrage. Vielmehr bestehen immer noch Produktionsbegrenzungen bei den Fahrzeugherstellern. Deshalb rechnen wir mit relativ stabilen Volumen für dieses Jahr. In den kommenden Jahren sehen wir eine leichte Umsatzsteigerung.

Wann wird die Umsatzdelle der Corona-Krise überwunden?

Auf Basis der Vorhersagen von S&P Global wird erwartet, dass die Automobilindustrie im Jahr 2025 die Produktionsvolumen von 2019 erreichen wird, was die Umsatzzahlen massgeblich beeinflusst. Das wird wohl länger dauern als erwartet. Dafür dürfte 2028 dann über dem Rekordjahr von 2017 liegen. 

Gerade für exportorientierte Schweizer Unternehmen stellt der starke Franken vielfach auch ein Problem dar. Wie können Sie dieses Problem erfolgreich umgehen?

Autoneum hat einschliesslich Borgers 67 Standorte weltweit. Davon ist nur einer in der Schweiz. Weil wir lokal produzieren, entwickeln, Waren beziehen und mit lokalen Kunden Verträge in den entsprechenden Währungen abschliessen, sind wir relativ währungsunabhängig. Daher hat der relativ starke Schweizer Franken keinen wesentlichen Einfluss auf die Profitabilität von Autoneum.

Von Analysten wird die Akquisition von Borgers als Schnäppchen bezeichnet. Ist es das wirklich? 

Mit dem Kauf wurde ein guter und kompetenter Wettbewerber übernommen. Die Produktpaletten und das Know-How beider Unternehmen ergänzen sich ideal. Autoneum hat dadurch seine Expertise in akustischen und nachhaltigen Technologien verstärkt und sein Kundenportfolio insbesondere beim LKW-Geschäft erweitert. Und es bestehen viele Synergien. Wir glauben einen fairen Preis bezahlt zu haben. Ob es ein Schnäppchen war, wird sich mittel- oder langfristig zeigen.

Entscheidend betreffend der Kosten ist wohl, wie schnell die Integration vollzogen werden kann. Wie sieht der Plan aus?

Autoneum hat frühzeitig ein Projektteam für die Integration aufgesetzt. Am 3. April haben wir dann den Tag 1 gefeiert. Durch die Vorbereitung waren wir in der Lage, die Funktionen Einkauf und Vertrieb von Beginn an komplett zu integrieren, da bestehen Synergien über den Materialeinkauf und bei den Kundenverträgen. Das Ziel ist es, bis zum Jahresende die komplette Borgers-Organisation in die bestehende Struktur von Autoneum zu integrieren. Die Vereinheitlichung der Prozesse dauert jedoch länger und die vollständige kulturelle Integration bedarf mehrere Jahre.

Sie sind im Plan?

Wir sind im Plan.

Inwiefern hat sich die Wettbewerbssituation durch die Übernahme für Autoneum verbessert?

Wir konnten die Akquisition auch dank der Unterstützung unserer Kunden erfolgreich abschliessen. Die Kunden haben neuen Konditionen zugestimmt, bevor wir die Übernahme unter Dach und Fach brachten. Dies zeigt auch das Interesse der Fahrzeughersteller, mit uns langfristig zusammenzuarbeiten.

Das sagt aber noch nicht viel über die Wettbewerbssituation aus…

Die Wettbewerbssituation wird durch die Ausschöpfung der Synergien gestärkt. Ein Beispiel: Toyota ist einer der grössten Kunden von Autoneum, Borgers war hingegen gar nicht präsent. Jetzt können wir alle Borgers-Produkte auch dort platzieren, was unsere Position im Markt stärken wird. Umgekehrt war Autoneum relativ schwach im LKW-Geschäft und Borgers dort sehr stark präsent. Auch das können wir jetzt nutzen.

Für die vorgesehene Kapitalerhöhung von rund 100 Millionen Franken zur langfristigen Finanzierung der Übernahme haben Aktionärinnen und Aktionäre anlässlich der Generalversammlung vom 23. März 2023 der Schaffung eines Kapitalbands zugestimmt. Warum ist ein Kapitalband notwendig?

Wie zahlreiche andere Schweizer Gesellschaften haben wir an der diesjährigen Generalversammlung ein Kapitalband eingeführt. Voraussetzung für die Kapitalerhöhung ist eine Grundlage in den Statuten der Autoneum Holding AG, welche mit dem Kapitalband geschaffen wurde. Dieses gibt uns die Flexibilität, die definitiven Konditionen zum Zeitpunkt der Kapitalerhöhung festzulegen, unter Berücksichtigung der dann herrschenden Marktbedingungen.

Braucht es zukünftig noch mehr Geld von den Aktionären?

 Aus heutiger Sicht nicht.

Wollen Sie noch weiter akquirieren?

Unser Fokus liegt zunächst auf der erfolgreichen Integration von Borgers. Allerdings sind wir weiter bereit, unsere Wettbewerbsfähigkeit mit Zukäufen zu verbessern. Dies wird allerdings kaum dieses Jahr passieren, sondern eher im Mittelfristbereich – und wenn es am Markt Möglichkeiten gibt.

Mit welcher Strategie will Autoneum zudem noch Wachstum generieren?

Das Thema Innovation ist für uns sehr wichtig, um auch neue Produkte für den Bereich Elektromobilität zu entwickeln. Ein anderer strategischer Schwerpunkt liegt darin, die chinesischen Fahrzeughersteller vermehrt zu beliefern. Wir sind Weltmarktführer in unserem Produktsegment, aber in China sind wir nicht die Nummer 1. Wir haben dort noch ein überproportionales Wachstumspotenzial.

Inwiefern betrifft die geopolitische Situation mit dem Ukraine-Krieg und dem Konflikt zwischen den USA und China Autoneum?

Selber machen wir keine Politik, sondern versuchen, das Geschäft erfolgreich weiterzuentwickeln. Externe Faktoren gibt es aber und keiner hat geglaubt, dass es wieder einmal einen Krieg in Europa geben würde. Glücklicherweise machte das Russland-Geschäft weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes von Autoneum aus. China ist sicherlich ein wichtiger Markt und Autoneum wird dort trotz der geopolitischen Spannungen weiter investieren.

Das klingt opportunistisch…

Wir wollen durch unsere Firmenpolitik unseren Beitrag für eine stabilere und nachhaltige Welt und Weltwirtschaft leisten. 

Aufgrund des tieferen Ergebnisses wurde zuletzt auf eine Dividende verzichtet. Wann können Anlegerinnen und Anleger wieder mit einer rechnen?

Die Entscheidung darüber liegt beim Verwaltungsrat und am Ende bei den Aktionärinnen und Aktionären. Autoneum verfolgt eine nachhaltige Dividendenpolitik. Und die Zielsetzung ist weiterhin, dass mindestens 30 Prozent der Gewinne als Dividende ausgeschüttet werden. Daran wollen wir uns auch in der Zukunft ausrichten.

Autoneum strebt eine nachhaltige Dividendenpolitik ohne Unterbrüche an?

Ja.

Die Aktie gehört mit einem Kursplus von 35 Prozent 2023 zu den Top-Performern im Swiss Performance Index (SPI). Warum läuft es an der Börse wieder so gut?

Das freut uns. Ich kommentiere aber nicht spezifische Kursentwicklungen. Wir wollen Wert für die Firma und alle Stakeholders generieren. Wir wissen, welches Potenzial wir haben und daran werden wir kontinuierlich arbeiten.

Eelco Spoelder (geb. 1972, Niederländer) steht seit dem 27. März 2023 als CEO an der Spitze der Autoneum-Gruppe. Er hält einen Master of Business Administration von der Duke University, Fuqua School of Business, USA sowie einen Master of Science in Industrial Engineering and Management Science von der Eindhoven University of Technology, Niederlande. 

Spoelder hat in globalen Führungspositionen in der Automobilzulieferindustrie bei Faurecia und zuvor bei Continental bewiesen, dass er operative Kompetenz und strategische Kontinuität in einem herausfordernden Marktumfeld sicherstellen kann. Als Leiter der Autositzsparte der Faurecia-Gruppe war Eelco Spoelder von 2017 bis 2023 für eine Geschäftseinheit mit 40'000 Mitarbeitern und einen Umsatz von 6 Milliarden Euro verantwortlich. Die Autoneum-Gruppe, die rund 16'100 Mitarbeiter beschäftigt, erzielte 2022 einen konsolidierten Umsatz von 1,8 Milliarden Schweizer Franken.

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