Nach dem Kollaps der kalifornischen Silicon Valley Bank (SVB) und den dadurch ausgelösten Börsenturbulenzen sind sich Volkswirte führender Banken uneins hinsichtlich des anstehenden Zinsschritts der EZB. Während die US-Investmentbank Goldman Sachs weiter erwartet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung wie in Aussicht gestellt, die Sätze um 0,50 Prozentpunkte anheben wird, ist sich die Deutsche Bank unsicher. Momentan scheine eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte wahrscheinlicher als die in Aussicht gestellte Erhöhung um einen halben Prozentpunkt, schrieben ihre Volkswirte am Donnerstag.
Der SVB-Zusammenbruch hatte zum Wochenstart weltweit den Bankensektor nach unten gezogen und die Aktienmärkte erschüttert. Inzwischen haben sich die europäischen Aktienmärkte wieder gefangen. Der deutsche Leitindex Dax und sein europäisches Pendant EuroStoxx50 legten am Dienstag zeitweise 1,9 Prozent beziehungsweise 2,1 Prozent zu. Der europäische Bankenindex stieg um 2,4 Prozent an.
Es sei zu erwarten, dass die EZB das europäische Bankensystem als stabil erachten werde, schrieben die Deutsche-Bank-Experten. Dennoch gebe es einen weltweiten Finanzschock, dessen Ausmass und Dauer ungewiss sei. Zudem seien die Kreditindikatoren bei den europäischen Banken zuletzt schwach gewesen. Sollten die globalen Marktbedingungen die Talsohle durchschritten haben, stünde die Tür für eine Zinsanhebung um einen halben Prozentpunkt in dieser Woche immer noch offen. Die Neubewertungen an den Börsen hielten aber an. "Sollten sich die Märkte bis Donnerstag nicht stabilisiert haben, würden wir eine vorübergehende Pause im Zinserhöhungszyklus nicht ausschliessen", schreiben die Experten.
Trendwende bei den Zinserhöhungengen?
Erst am Sonntag vor einer Woche hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde noch einmal die Intention bekräftigt, dass die Euro-Notenbank die Schlüsselsätze auf der März-Sitzung um 0,50 Prozentpunkte anheben wird. Dies galt auch an den Finanzmärkten als ausgemachte Sache. Wie es nach diesem Donnerstag weitergehen werde mit den Zinsen, darauf hatten sich zuletzt die Fragen konzentriert. Doch dies war vor den durch den SVB-Kollaps ausgelösten Schockwellen.
Die Experten von Goldman Sachs halten dagegen an ihrer Erwartung fest. "Angesichts des klaren Ausblicks der EZB und der hohen Zahlen zur zugrundeliegenden Inflation bleiben wir bei unser Einschätzung, dass der EZB-Rat die signalisierte Anhebung um 50 Basispunkte diese Woche liefern wird", schrieben sie am Dienstag. Wie die Deutsche Bank erwartet aber auch Goldman Sachs, dass die EZB nur einen vagen Zinsausblick geben wird. Aufgrund der neuen Unsicherheiten sei es unwahrscheinlich, dass die EZB eine starke Orientierung für weitere künftige Zinsanhebungen liefern werde, führten die Goldman-Experten aus.
Die US-Investmentbank blieb zudem bei ihrer Erwartung, dass die EZB, um den Inflationsdruck einzudämmen, bis zum Juni die Zinsen noch auf 3,75 Prozent anheben werde. Die Aussichten für die Zeit nach dieser Woche seien aber jetzt deutlich unsicherer geworden. Die Experten der Deutschen Bank gehen angesichts der hartnäckigen Inflation weiterhin davon aus, dass der Zinshöhepunkt bei etwa 3,50 bis 4,00 Prozent liegen wird. Die EZB hat seit der Zinswende im Juli 2022 die Schlüsselsätze bereits fünf Mal in Folge angehoben. Der an den Finanzmärkten massgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt aktuell bei 2,50 Prozent.
(Reuters)