Immer mehr Finanzinstitute bauen aus Kostengründen Geschäftsstellen in Selbstbedienungszentren um oder machen sie gleich ganz dicht. In manchen Ländern wie etwa Grossbritannien erleben Filialen aber gerade wegen der Virus-Krise einen zweiten Frühling - zumindest temporär. Statt Kunden zu beraten, sollen Mitarbeiter aus anderen Bereichen der Bank dort arbeiten. Damit soll ihnen die Fahrt in die Büros in der Londoner City mit öffentlichen Verkehrsmitteln und damit das Ansteckungsrisiko erspart bleiben.

"Covid-19 führt dazu, dass einigen Filialen neues Leben eingehaucht wird", sagt Analyst John Cronin beim Researchhaus Goodbody. Er wisse von einigen britischen Instituten, die ihren Mitarbeitern ermöglichen wollen, in Filialen in der Nähe ihres Wohnortes zu arbeiten. So suchen etwa Virgin Money und die britische Tochter der spanischen Bank Santander nach eigenen Aussagen derzeit Niederlassungen, um sie für solche Zwecke umzubauen. Bei der Bank Lloyds heisst es, man experimentiere damit, wie und wo Mitarbeiter künftig arbeiten könnten.

Bankfilialen-Netz schrumpft

Geldhäuser in Grossbritannien wollen in diesem Jahr nach bisherigen Plänen nur 265 Standorte schliessen. 2017 wurden noch 868 Filialen dicht gemacht. Generell haben Banken auf der Insel aber schon seit Jahren auf die Einwohnerzahl herunter gebrochen deutlich weniger Filialen als Banken in Deutschland. Laut Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) schrumpfte die Zahl der Bankfilialen in der Europäischen Union (EU) seit der Finanzkrise um ein Drittel auf rund 170'000 (Stand Ende 2018).

In Deutschland wird sich der Trend zu Schliessungen durch Corona beschleunigen, wie Andre Hasken von der auf Financial Services spezialisierten Unternehmensberatung zeb vorhersagt. "Banken stellen sich vermehrt die Frage, wie sie die Filiale der Zukunft gestalten wollen." Pro Jahr dürften künftig acht Prozent der Standorte wegfallen, doppelt so viel wie im Schnitt der vergangenen Jahre. "Damit dürfte es 2025 bundesweit nur noch um die 15'000 Filialen geben", sagt Hasken. Aktuell sind es rund 27'000. "Durch Corona haben sich mehr Kunden frei schalten lassen für Online-Banking und auch Angebote wie Video-Beratung werden verstärkt genutzt."

Baufinanzierung von der Couch aus

Die Grossbank Credit Suisse will in ihrem Heimatmarkt ein Viertel der 146 Standorte zu machen. Die Rivalin UBS liess vor Wochen durchblicken, dass es Schliessungen geben könne. Die deutsche Commerzbank öffnet 200 Geschäftsstellen, die sie wegen der Corona-Pandemie geschlossen hatte, einfach gar nicht mehr. Anders sieht es dagegen bei der Deutschen Bank aus, inzwischen sind alle ihrer weltweit rund 1900 Filialen wieder offen. Hinter den Kulissen wird aber auch bei den Frankfurtern an Konzepten gearbeitet, wie die Betreuung von Kunden in Zukunft gestaltet werden kann.

Als Vorbild könnte die niederländische ABN Amro dienen, die nach Meinung von Experten vergleichsweise weit fortgeschritten mit ihren digitalen Angeboten ist. ABN-Kunden können sich zu Hause auf der Couch via Tablet oder Smartphone von einem Bankmitarbeiter per Video beraten lassen. Selbst Baufinanzierungen lassen sich so auf den Weg bringen. "Die Kunden ändern ihr Verhalten, und es ist kein Geheimnis, dass sich auch die Banken verändern", sagt Michael Huppert, Vorstand bei der Stuttgarter Volksbank. Die Schwaben bauen derzeit acht ihrer Standorte um, an vier davon soll es gar keine Mitarbeiter mehr geben, Kunden sollen sich nur noch an den Automaten bedienen.

Ganz auf die persönliche Beratung vor Ort verzichten möchten die Geldhäuser aber auch nicht. "Bankfilialen spielen in der Gesellschaft weiterhin eine wichtige Rolle", sagt ein Sprecher des britischen Verbands UK Finance. Die Verbraucherschutz-Organisation Which? in Grossbritannien fordert von der dortigen Aufsichtsbehörde ein Eingreifen, sollten bei den Schliessungen etwa Kleinbetriebe vergessen werden, die auf persönliche Berater angewiesen seien. "Es gibt Kundengruppen, die darf man nicht einfach zurücklassen", sagt Which?-Experte Gareth Shaw.

(Reuters)