Der weltweite Bauboom bei Rechenzentren für Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet neue Chancen für ausgemusterte europäische Kohle- und Gaskraftwerke. Technologiefirmen wie Microsoft oder Amazon suchen händeringend nach neuen Standorten für ihre geplanten Serverfarmen. Daher bieten Versorger wie RWE aus Deutschland, Engie aus Frankreich oder Enel aus Italien ihre nicht mehr benötigten Standorte für eine solche Umwandlung an.

Die Nutzung früherer Kraftwerksgelände habe einen entscheidenden Vorteil, sagt Bobby Hollis, der bei Microsoft die Energieversorgung der Rechenzentren verantwortet. Wichtige Infrastruktur für die Kühlwasserversorgung oder die Nutzung von Abwärme sei bereits vorhanden. Seine Kollegin Lindsay McQuade von Amazon erhofft sich schnellere Baugenehmigungen. Aus ähnlichen Überlegungen hat sich Schwarz Digits, die Cloud-Tochter der Schwarz-Gruppe, das Gelände eines früheren Dampfkraftwerks im brandenburgischen Lübbenau gesichert. Dort soll bis 2027 ein Rechenzentrum entstehen. Zur Schwarz-Gruppe gehören die Discounter Lidl und Kaufland.

Die Verlegung neuer Hochspannungsleitungen für stromhungrige Hochleistungsrechner kann bis zu zehn Jahre dauern. Langwierige Genehmigungsverfahren sind dem Research-Haus Synergy zufolge der Grund, warum die Rechenkapazitäten in Europa langsamer wachsen als in den USA oder Asien.

Nachfrage wächst schneller als das Angebot

Gleichzeitig steigt der Bedarf durch den Siegeszug von KI weltweit. Daher will allein die Europäische Union (EU) 200 Milliarden Euro für den Bau sogenannter KI-Gigafactories mobilisieren. Bundeskanzler Friedrich Merz hofft, dass Deutschland den Zuschlag für «ein oder zwei» dieser besonders leistungsstarken Rechenzentren erhält. Neben der Schwarz-Gruppe bewerben sich die Deutsche Telekom und der Cloud-Anbieter Ionos mit ihren jeweiligen Partnern um diese Aufträge.

Bislang kann das Angebot an Rechenkapazitäten mit der sprunghaft steigenden Nachfrage nicht mithalten. Cloud-Betreiber drücken daher aufs Tempo. Versorger würden aber nicht einfach nur ungenutzte Grundstücke verkaufen, betont Simon Stanton, der bei RWE die Zusammenarbeit mit anderen Firmen verantwortet. Sie erhielten die Chance auf langfristige, margenstarke Stromlieferverträge.

Gewinnbringer Ökostrom

Technologiefirmen seien bereit, für eine umweltfreundliche Stromversorgung Aufschläge von bis zu 20 Euro pro Megawattstunde (MWh) zu zahlen, sagt Gregory LeBourg, Manager beim französischen Cloud-Betreiber OVH. Derzeit kostet eine Megawattstunde zur Lieferung am Folgetag in Frankreich 50 Euro und in Deutschland etwa 60 Euro. Der jährliche Stromverbrauch eines Rechenzentrums reicht von mehreren Hundert Megawatt bis zu mehr als einem Gigawatt.

Der gemeinnützigen Organisation Beyond Fossil Fuels zufolge wurden in der EU und Grossbritannien seit 2005 190 Kohlekraftwerke abgeschaltet. Bis 2038 sollen 153 weitere Anlagen hinzukommen. Der Versorger Engie bietet aktuell 40 Standorte als potenzielle Grundstücke für Rechenzentren an. Die Immobilienfirma JLL arbeitet nach eigenen Angaben an mehreren Umwandlungen, eine davon in Deutschland. Aus Sicherheitsgründen nennt das Unternehmen keine Details.

Der Wettlauf um Marktanteile sei für Technologiefirmen so wichtig, dass der Preis eine untergeordnete Rolle spiele, betont Sam Huntington, leitender Analyst beim Research-Haus S&P Global Commodity Insights. Sie seien bereit, Aufschläge zu zahlen, wenn dadurch die Inbetriebnahme eines Rechenzentrums beschleunigt werden könne.

(Reuters/cash)