Sein Vorgänger Werner Baumann, der die Übernahme des Saatgutriesen Monsanto zu verantworten hat und Bayer damit eine kostspielige Klagewelle wegen dessen Unkrautvernichters Glyphosat ins Haus holte, musste sich zu seinem Abschied Kritik anhören. "Ihre Amtszeit als Vorstandschef waren aus Sicht der Aktionäre verlorene Jahre", sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, am Freitag bei der virtuellen Hauptversammlung des Unternehmens. "Ein 'Weiter so' kann es nicht geben. Die Bewertung der Bayer-Aktie ist ein Trauerspiel."

Baumann hob in seiner Rede hervor, dass der Konzern "sehr gut" aufgestellt sei und auf einem starken und robusten Fundament stehe. Klar sei aber auch: "Mit dem aktuellen Aktienkurs bin ich nicht zufrieden", betonte Baumann, der 35 Jahren bei Bayer war und nun in den Ruhestand geht. "Der Börsenwert liegt aus unserer Sicht noch immer deutlich unter dem tatsächlichen Wert unseres Unternehmens. Wir werden weiterhin hart daran arbeiten, diese Lücke zu schliessen", sagte der 60-jährige Manager. Das wolle Bayer erreichen, "indem wir die neusten Erkenntnisse der Life Sciences aufgreifen und immer wieder neue Produkte daraus hervorbringen, die den Menschen helfen – immer bessere Arzneimittel, besseres Saatgut, besserer Pflanzenschutz. So schaffen wir langfristigen und nachhaltigen Wert."

Nun übernimmt der ehemalige Roche-Pharmachef Anderson das Ruder. Der 56-jährige Amerikaner bekam an der Börse bereits Vorschusslorbeeren, Investoren und Analysten trauen ihm einen Kurswechsel zu und hatten seine Wahl gelobt. Die Anteilseigner wollen nun wissen, wie es unter ihm weitergeht. "Welche Fragestellungen werden aktuell diskutiert, wann wird Bill Anderson den Kapitalmarkt an seinen Überlegungen teilhaben lassen", fragte Hendrik Schmidt, Corporate-Govenance-Experte beim Bayer-Grossaktionär DWS. Spätestens Anfang 2024 erwarten viele Investoren von ihm ein Strategie-Update.

Zeit ist reif für einen Neuanfang

Seit Jahren machen immer wieder Spekulationen über eine Aufspaltung von Bayer die Runde - zuletzt befeuert durch den Einstieg aktivistischer Investoren. Der Hedgefonds Bluebell fordert eine Aufspaltung, die Fondsgesellschaft Union Investment sieht dagegen eine Abspaltung des Geschäfts mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten als Option, um die Stimmung unter den Eigentümern zu drehen. "Eine Zerschlagung oder eine Abspaltung von Crop Science stehen zum jetzigen Zeitpunkt angesichts des Zukunftspotenzials des Konzerns für uns und viele langfristige Investoren nicht zur Diskussion. Sie wäre schädlich für die Arbeitnehmer und für den Industriestandort Deutschland", sagte Janne Werning von der Union Investment. Aber vor Bayer lägen grosse Aufgaben. "Die Zeit ist reif für einen Neuanfang."

Baumann betonte, er sei sich sicher, dass Bayer die beste Zeit noch vor sich habe. Einige Anteilseigner wünschten ihm zum Abschied, dass sich die krisengeplagte Monsanto-Übernahme - für die er über die Jahre viel Schelte einstecken musste - doch noch zur Erfolgsgeschichte entwickelt. Baumann verteidigte diese erneut und hob hervor, dass der Konzern dadurch eine führende Position im wachsenden Agrargeschäft erreicht habe. Auf die Frage, ob Bayer einen Börsengang des Agrarbereichs in den USA in Erwägung ziehe, entgegnete Baumann, dass ein solcher Schritt aus heutiger Sicht nicht zur Diskussion stehe. Er könnte "erhebliche negative Auswirkungen auf den Wert der Geschäfte haben".

Einen Denkzettel erhielt Aufsichtsratschef Nobert Winkeljohann, der von den drei deutschen Fondsgesellschaften Deka, DWS und Union Investment wegen Ämterhäufung kritisiert worden war . Sie wollten gegen seine Wiederwahl stimmen. Letztlich wurde Winkeljohann, der auch Vize-Aufsichtsratschef der Deutschen Bank ist, dennoch mit einer Zustimmung von knapp 80 Prozent wieder gewählt bei gut 20 Prozent Nein-Stimmen. Zuvor hatte er gesagt, er sehe derzeit keinen Anlass, die Zahl seiner insgesamt fünf Mandate zu reduzieren. Ihm stehe ausreichend Zeit für seine Tätigkeit bei Bayer zur Verfügung.

(Reuters)