Zehntausende Kläger machen das Herbizid, das den Wirkstoff Glyphosat enthält, für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Bayer bestreitet einen Zusammenhang und versucht, die Klagewelle mit einer Grundsatzentscheidung des Obersten US-Gerichts zu stoppen. Der Supreme Court entschied zuletzt aber zunächst, die US-Regierung um eine Stellungnahme in dem von Bayer angestrebten Berufungsverfahren zu bitten. Erst danach entscheidet das Gericht, ob es sich mit dem Fall befasst.
Für Bayer ist es bereits der dritte Anlauf vor dem Supreme Court. Zwei vorherige Versuche scheiterten 2022. Die Probleme holte sich der Konzern mit der 63 Milliarden Dollar schweren Übernahme des Glyphosat-Entwicklers Monsanto im Jahr 2018 ins Haus. Weitere Klagen gibt es wegen der gesundheitsschädlichen Chemikalie PCB, die auch von Monsanto hergestellt wurde.
Es folgt ein Überblick über den Glyphosat-Streit und die Risiken für Bayer:
WAS IST GLYPHOSAT UND WARUM IST ES UMSTRITTEN?
Glyphosat zählt zu den weltweit meistverwendeten Herbiziden. Das bekannteste Produkt ist «Roundup», das Bayer mit dem Kauf von Monsanto übernahm. Kritiker halten den Wirkstoff für krebserregend. Diesen Vorwurf hat Bayer stets zurückgewiesen. Behörden weltweit haben Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft. Die Krebsforschungsagentur IARC bewertete den Wirkstoff 2015 allerdings als «wahrscheinlich krebserregend». Umweltschützer kritisieren zudem, dass das Herbizid die Artenvielfalt und ganze Ökosysteme gefährde.
WARUM GIBT ES SO VIELE KLAGEN GEGEN BAYER IN DEN USA?
Das US-Rechtssystem erleichtert Massen-Schadensersatzverfahren und macht sie durch hohe Schadenersatzsummen sowie erfolgsabhängige Anwaltsvergütungen attraktiv. Kläger können Klagen zu geringen Kosten oder kostenfrei einreichen und sind nicht dem Risiko ausgesetzt, Geld zu verlieren, wenn sie keinen Erfolg haben. Hinzu kommt: Roundup ist in den USA seit Jahrzehnten im Einsatz, viele Kläger nutzten es über Jahre hinweg. Geschworenengerichte zeigten sich offen für die Argumentation, Bayer habe unzureichend vor Risiken gewarnt – gestützt etwa auf die IARC-Bewertung. Frühere hohe Urteile gegen Bayer ermutigten weitere Kläger.
WIE IST DIE RECHTLICHE ARGUMENTATION VON BAYER?
Bayer verweist auf das US-Bundesrecht, wonach die Umweltbehörde EPA Glyphosat als nicht krebserregend einstuft und keine Warnhinweise auf Krebsrisiken vorschreibt. Zusätzliche Hinweise auf Produktetiketten seien deshalb unzulässig. Mehrere Gerichte folgten dieser Argumentation aber nicht. Der Konzern strebt deshalb eine Klärung der Frage vor dem Obersten Gericht der USA an, ob US-Bundesrecht Klagen wegen angeblich fehlender Warnhinweise in den Bundesstaaten ausschliesst.
WAS ERHOFFT SICH BAYER VOM SUPREME COURT?
Bayer will erreichen, dass der Konzern grundsätzlich nicht mehr nach einzelstaatlichem Recht wegen angeblich fehlender Warnhinweise verklagt werden kann. Eine Entscheidung zugunsten des Unternehmens könnte künftige Klagen im Grunde verhindern und den Konzern vor weiteren Milliardenrisiken schützen.
WIE HAT SICH BAYER BISHER GEGEN DIE KLAGEWELLE GEWEHRT?
Der Konzern hat im Jahr 2020 rund zehn Milliarden Dollar gezahlt, um einen Grossteil der bis dahin anhängigen Klagen beizulegen. Eine Einigung über künftige Fälle scheiterte damals jedoch. Seither wurden immer neue Klagen eingereicht. Vor Gericht verzeichnete Bayer sowohl Niederlagen mit hohen Schadenersatzsummen als auch Siege. Das Unternehmen arbeitet mit Landwirtschaftsverbänden zudem an politischen Initiativen für mehr Rechtssicherheit bei der Kennzeichnung glyphosathaltiger Produkte.
ZIEHT BAYER KONSEQUENZEN BEIM PRODUKT?
Bayer hat den Verkauf von Glyphosat an US-Privatkunden 2023 gestoppt, da sie die überwiegende Mehrheit der Kläger stellten. Für das Unternehmen ist jedoch das Geschäft mit Landwirten weitaus bedeutender. Auch dieses steht nun aber auf der Kippe: Konzernchef Bill Anderson drohte zuletzt, Roundup ganz vom US-Markt zu nehmen.
(Reuters)