Alle Szenarien, die Regierung, Aufsicht und Geschäftsleitung derzeit diskutieren, drehen sich im Kern um ihre wertvollste Sparte: das Inlandsgeschäft, die Schweizer Universalbank Credit Suisse Schweiz.

Die Bankanalysten der JPMorgan schätzen den Wert der Sparte auf 10 Milliarden Franken — mehr als der Marktwert der gesamten Gruppe. In den letzten Jahren war sie der profitable Anker, während der Rest der Gruppe von Verlust zu Verlust taumelte. Im Katastrophenjahr 2022 war sie der einzige Geschäftsbereich, der überhaupt Geld verdiente.

Erhält die Credit Suisse Schweiz eine unabhängige Zukunft?

Nun könnte sich für die Schweizer Bank eine eigenständige Zukunft abzeichnen. Ein Weg dahin führt über das Szenario, dass Credit Suisse und der größere Lokalrivale UBS Group AG zur Vermeidung einer Pleite von den Schweizer Behörden zwangsverheiratet werden. Die Abspaltung des Inlandsgeschäfts wäre dann aus Wettbewerbsgründen wohl unvermeidlich. Ein zweiter Weg wäre die staatlich orchestrierte Abwicklung der Gruppe, bei der das Inlandsgeschäft wohl die zentrale weiterzuführende “Good Bank” wäre, während andere Teile verkauft oder liquidiert würden.

“Die Schweizer Universalbank ist ein wichtiger Partner für die Schweizer Wirtschaft”, sagte Vincent Kaufmann, Geschäftsführer der Ethos Stiftung, die auch Aktionär der Credit Suisse ist. Eine Abspaltung würde “mit Sicherheit das Vertrauen wiederherstellen”, sagte er. “Je länger sie warten, desto weniger Wert bleibt übrig.” Die Credit Suisse ist in mancher Hinsicht eine Miniaturausgabe des Konzerns. Sie bietet Investmentbanking an, bedient Privat- und Firmenkunden, hat Treasury und Wealth Management. Die Idee, sie auszugliedern, ist nicht neu.

Schon der einstige Bankchef Tidjane Thiam verfolgte lange Zeit den Plan, das Geschäft an die Börse zu bringen. Mit dem Erlös hätte er die damalige Restrukturierung der Bank finanzieren wollen. Doch Thiam hatte die Rechnung ohne die Aktionäre gemacht, die rebellierten und das Projekt im Jahr 2017 zu Fall brachten. Stattdessen nahm die Bank 4 Milliarden Franken über eine Kapitalerhöhung auf.

Die Schweizer Bank erwirtschaftete 2022 mehr als ein Viertel des Ertrags der Credit Suisse und blieb profitabel, während die Bereiche Wealth Management und Investmentbank in die Miesen rutschten. Zudem blieb sie von den zahlreichen Abgängen von Führungskräften auf Konzernebene relativ unberührt.

Während der beispiellosen Abflüsse von Kundengeldern, die im vierten Quartal einsetzten, erwiesen sich die vermögenden Kunden der Schweizer Bank als geduldiger. Lediglich 8,3 Milliarden Franken wurden abgezogen, etwa 1,5 Prozent des verwalteten Vermögens entspricht. Im internationalen Wealth Management gingen rund 17 Prozent perdu.

Die Credit Suisse ist im Investmentbanking auf ihrem Heimatmarkt seit mindestens zehn Jahren führend, was das Transaktionsvolumen angeht. Dies geht zurück auf die Rolle ihrer Vorgängerin, der Schweizerischen Kreditanstalt, die 1856 vom Industriellen und Eisenbahnpionier Alfred Escher gegründet wurde, um die industrielle Expansion des Landes zu finanzieren.

Im vergangenen Jahr spielte sie in großen M&A-Transaktionen ebenso eine führende Rolle wie bei Kapitalbeschaffungsmaßnahmen, etwa für den Lebensmittelmulti Nestlé und den Pharmakonzern Roche.

Öffentliches Vertrauen

Die Schweizer Bank der Credit Suisse ist für die offizielle Schweiz und, soweit erkennbar, auch für die Öffentlichkeit eindeutig Priorität Nummer eins. Die Too-big-to-fail-Regeln, die seit der Finanzkrise 2008 in Kraft getreten sind — damals war es die UBS, die gerettet werden musste —, verpflichten die Regierung zu einer “Switzerland First”-Haltung. Im Falle einer drohenden Pleite würden die für die Schweizer Finanzstabilität relevanten Teile der Gruppe rekapitalisiert, andere hingegen liquidiert.

In der Hauptstadt Bern zeigten sich die Bürgerinnen und Bürger diese Woche zuversichtlich, dass die staatlichen Stellen, einschließlich der Schweizerischen Nationalbank, die Bank retten werden. “Die Credit Suisse wird nicht zusammenbrechen, weil die SNB sie stützt”, sagte der 22-jährige Alexander Schweingruber in der Nähe des Bundeshauses in Bern. “Und selbst wenn — das Schweizer Geschäft würde bestehen bleiben. Und das ist das, was mich betrifft.”

Am Mittwoch erklärte die Nationalbank nach dem Rekordabsturz der Credit-Suisse-Aktie, dass sie der Bank Liquidität in Höhe von rund 50 Milliarden Franken gewähren werde. Die Bankenaufsicht Finma betonte, dass sie immer noch über den strengen Kapitalanforderungen liegt, die sie an die größten Banken stellt.

Und doch lassen die Abflüsse von Kundengeldern, die sich in der Gruppe im vierten Quartal auf mehr als 110 Milliarden Franken beliefen und die weiter anhalten, die heimische Tochter nicht unberührt. “Das Schweizer Geschäft ist eindeutig von den Vorgängen bei der Credit Suisse betroffen”, sagt Kian Abouhossein, Analyst bei JPMorgan.

André Helfenstein, der sympathische Chef der Credit Suisse Schweiz, hat in den letzten Tagen aktiv den Weg in die lokalen Medien gesucht, um für Vertrauen in die Bank zu werben und an die Zentralbank des Landes zu appellieren. Sein Posten war in der Vergangenheit auch oft das Sprungbrett für einen künftigen CEO der Gruppe.

Nach dem Bespitzelungsskandal um Tidjane Thiam wurde der damalige Schweiz-Chef Thomas Gottstein zum Chef ernannt, bis auch er in Turbulenzen geriet und im vergangenen Jahr durch Ulrich Körner ersetzt wurde.

Die Intervention der Nationalbank unterstreicht laut Arturo Bris, Professor für Finanzen an der Universität Lausanne, die Bedeutung der lokalen Bank. Die Aufsicht könne nicht riskieren, dass bei einem für die Nation so bedeutenden Institut die Einleger abwandern.

Das lokale Geschäft “ist das Kronjuwel der Credit Suisse, und das muss unbedingt erhalten bleiben”, sagte er. “Die Retailbank in der Schweiz ist gesund geblieben. Diese Woche fingen Kleinsparer an, sich zu fragen, ob sie ihr Geld von der Credit Suisse abziehen sollten. Sowas hat es noch nie gegeben.”

(cash/Bloomberg)