cash.ch: Wenn Sie frei wählen könnten, mit welchen Schweizer Small oder Mid Caps würden Sie heute an den Start gehen? 

Brigitte Olsen: Zuerst mit den beiden Industriewerten Burckhardt Compression und Huber + Suhner. Von meiner Watchlist würde ich U-blox und VAT hinzunehmen. Bei VAT ist nach der jüngsten Korrektur jetzt ein möglicher Einstiegspunkt, jedoch sind die Erwartungen für 2025 immer noch recht hoch. U-Blox stellt das Cellular-Geschäft ein und kann sich jetzt voll auf dem Positionierungsmarkt einschliesslich autonomer Fahrzeuge, industrieller IoT - sprich Internet der Dinge - und Tracking-Anwendungen fokussieren. Gerade in Autos steigt die Penetration enorm, auch wenn weniger elektrische Autos verkauft werden. Dies, weil die Positionsbestimmung im Auto immer wichtiger wird. Sie müssen jetzt nicht mehr auf einen Meter, sondern auf Zentimeter genau wissen, wo sich das Auto befindet. Zudem mag ich weiterhin Swissquote und VZ Holding

Neben Burckhardt Compression befindet sich mit Sulzer ein weiterer Überflieger in ihrem Portfolio. Sind die beiden Titel nicht ausgereizt?

Bei Sulzer läuft nicht nur Nachhaltigkeit. Es stellt sich heraus, dass der klassische Energiebereich wieder einen starken Investitionszyklus durchläuft. Wir sehen Energiedienstleistungsunternehmen im Offshore-Bereich wie zum Beispiel die norwegische Subsea 7, die sich wieder in einem Verkäufermarkt befinden. Über lange Zeit wurde sehr wenig in den Erdöl- und Erdgas-Sektor investiert. Nun profitieren diese Firmen wieder und ich erwarte weiterhin ein gutes Momentum von der Topline her und von den Margen.

Für den Business Case von Burckhardt Compression und Sulzer spricht das starke Servicegeschäft, welches das Gewinnwachstum antreibt? 

Die Industriefirmen Accelleron, Burckhardt Compression, Sulzer oder Wärtsilä in Finnland funktionieren alle sehr gut im Servicegeschäft. Wärtsilä, welche den Dieselmotor für die Schifffahrt erfunden hat, bietet nun alternative Antriebe an, welche zur Dekarbonisierung beitragen. Der Wandel hin zu alternativen, grüneren Energiequellen oder Dual Fuel gelingt mit Engineering. Zudem ist Wärtsilä neben Tesla einer der fünf grössten industriellen Solarunternehmen. Interessant ist auch, dass Accelleron ein Zulieferer von Wärtsilä ist. Das Puzzle löst sich damit auf, und Accelleron verfügt sogar über einen Rekord-Serviceanteil von 75 Prozent. Also ja, Service ist super wichtig und tendenziell verdient man zwei bis fünf mal so viel mit Service als mit dem Verkauf von Maschinen. 

Zu den zwei Finanztiteln Swissquote und VZ Holding: Sind die nicht ebenfalls schon fast zu gut gelaufen? 

Beide Firmen sind auf ihre Art immer disruptiv gewesen, haben einen echten Markt gefunden. VZ Holding ist eine Beratungsgesellschaft, Swissquote eine ursprüngliche Handelsplattform und heute eigentlich eine Bank. Beide Unternehmen sind nicht günstig bewertet, weil sie sind in einem immer noch attraktiven Wachstumsmarkt tätig. Es gibt eine wachsende Nachfrage auch aufgrund der Demografie. Wer etwas von seinen Eltern erben konnte, hat jetzt einen anderen Ansatz wie vielleicht die ältere Anlegergeneration, die das ganze Geld bei der UBS oder der Zürcher Kantonalbank hält. 

Vor allem der Zinsanstieg in den USA im zweiten Halbjahr 2024 hat auf die Kurse der Small und Mid Caps gedrückt. Ansonsten wäre es ein sehr gutes Jahr geworden?

In der Hälfte meiner Anleger-Lebensphase waren die Zinsen höher als sie jetzt sind, und wir haben trotzdem Performance geliefert bei Small und Mid Caps. Deswegen bleibe ich preis- und bewertungssensitiv. Die Nullzinsen-Phase war zum Vergessen für Value-Investoren. Deshalb fokussieren wir sehr stark im Kern auf Wachstum zu einem vernünftigen Preis. Die Firma Huber + Suhner gehört hier dazu, da sehe ich auch eine Burckhardt Compression. 

Liegt der Fokus mehr auf Value- oder auf Wachstumsaktien?

Natürlich mögen wir Value, weil es nichts Tolleres gibt, als günstige Aktien zu kaufen, bevor dies jemand anderes tut. Die Aktie von Swissquote zum Beispiel hat ein starkes Re-Rating nach oben gehabt. Phasenweise, und ich spreche von vor zehn Jahren, konnte das Unternehmen dagegen nichts richtig machen. Das traf vor vielen Jahren auch auf Sika zu - heute ist es eine Weltfirma. Deshalb haben wir immer eine Mischung mit 25 Prozent Value-Aktien, 25 Prozent Unternehmen mit hohem Wachstum und der anderen Hälfte mit Wachstumsaktien zu einem vernünftigen Preis. 

Weshalb schnitten Value-Aktien schlecht ab?

Bei Value war es tatsächlich schwierig und wir haben uns rückblickend damit eher verzettelt. Eine U-Blox hat nicht funktioniert, wir sind zu früh eingestiegen. Und obwohl wir viele Industriewerte halten, die gut performten, haben wir mehr Geld mit einer Swissquote, VZ Holding  oder Compagnie Financière Tradition gemacht. Es war ein wirklich gemischtes Bild.

Eine grössere Position ist Belimo, die entgegen dem Trend im zweiten Halbjahr so richtig in Fahrt kamen und 50 Prozent zulegten.

Belimo ist längst nicht mehr in der Value-Box zu finden, sondern im Bereich hohes Wachstum und hohes Kurs-/Gewinn-Verhältnis. Das Unternehmen hat seitdem das magische Wort Datenzentren erwähnt. Es ist kein vernachlässigbarer Teil ihres Geschäfts in den USA. Aber vorher hatte man Angst vor einer Geschäftsverlangsamung, weil die sehr profitabel in den USA wachsen. Der Titel performte zeitweise schlecht, in Abhängigkeit mit den schwachen Einkaufsmanagerindex-Zahlen. Was der Markt unterschätzt hat, ist, wie viel neue Konstruktionsvolumen die Inflation Reduction Act (IRA) nach sich zog. Und da ist Belimo sehr gut positioniert.

Viele Investierende tun sich schwer, in «teure» Wachstumsaktien wie Belimo einzusteigen.  

Wachstumsaktien gibt es nicht zu einem Schnäppchen-Preis. Das müssen sich Anlegerinnen und Anleger einfach bewusst sein. Diese sind immer teuer bewertet. Das gilt speziell für Schweizer Small und Mid Caps. Wenn das Wachstum stimmt, dann ist da immer ein ‹hohes› Preisschild dahinter.

Sie haben auch grosskapitalisierte Werte wie Lindt & Sprüngli und Sandoz im Portfolio. Weshalb?

Der SPI Extra ist der für uns relevante Benchmark. Das Problem ist, dass da auch grösser kapitalisierte Werte wie Roche oder Lindt & Sprüngli drin sind. Das ist ein kleiner Kern, welcher sich eigentlich aus Grossunternehmen zusammensetzt, die nicht die europäische Definition von Small and Mid-Caps erfüllen und circa 30 Prozent vom Index ausmachen. Wir versuchen, das bestmöglich abzubilden. Zu einigen dieser Aktien, wie zum Beispiel aktuell Sandoz oder SGS, haben wir eine neutrale Haltung. Die anderen 70 Prozent in SPI Extra sind kleinere und mittelgrosse Unternehmen wie Huber + Suhner oder Burkhardt Compression. Auf die fokussieren wir uns. Diese Small and Mid Caps generieren das Alpha in unserem Fonds.

Wieso werden die europäischen Small und Mid Caps im Vergleich zu den Schweizer Pendants mit einem deutlichen Preisabschlag gehandelt?

Nun, bei Schweizer Small Caps gibt es fast nie ein Schnäppchen, denn die Qualität und Profitabilität ist weit überdurchschnittlich. Das trifft eher auf europäische Aktien zu. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bei den Nebenwerte in Europa beträgt aktuell um die 11, das ist historisch sicherlich am unteren Ende und widerspiegelt die schwache europäische Konjunktur und wacklige Politik. Es gibt Unternehmen, die unter 10 gehandelt werden und wiederum europäische Wachstumstitel, die mit einem KGV von 30 gehandelt werden. Wir haben also eine Zweiteilung zwischen Wachstumswerten, die immer noch Wachstum haben, und Unternehmen, wo der Markt nichts mehr erwartet. Das ist aber auch eine Chance für uns als Stockpicker.

Gibt es potenzielle Katalysatoren, die den europäischen Small und Mid Caps wieder auf die Beine helfen?

Zum Beispiel könnte das Ende des Ukrainekriegs für Europa ein positiver Katalysator sein. Eigentlich wünscht sich der US-Präsident Donald Trump, der Vater dieses Friedens zu sein. Es ist nur die Frage, wie gross dann der russische und chinesische Einfluss ist. Aber das könnte für das Konsumsentiment in Europa grundsätzlich ein positiver Treiber sein. Der Ausbruch des Ukrainekriegs war der Startschuss eines fast dreijährigen Kapitalabflusses aus europäischen Aktien. Im Januar hatten wir interessanterweise laut der Bank of America (BofA) den zweitstärksten Inflow-Monat seit 25 Jahren. 

Birgitte Olsen, CFA, trat 2008 bei Bellevue Asset Management ein und ist Portfolio Managerin des Bellevue Entrepreneur Switzerland, Entrepreneur Swiss Small & Mid sowie Entrepreneur Europe Small. Davor war sie über neun Jahre bei Generali Investments in Köln als Stellv. Leiterin für das Portfolio Management Aktien Europa zuständig.  Als Fund Manager (DE und Skandinavien) arbeitete sie 1997 und 1998 bei Vontobel Asset Management in Zürich. Birgitte Olsen startete ihre Karriere in der Finanzbranche 1994 als Sell-Side Analyst bei der Bank am Bellevue für die Sektoren Versicherungen und Pharma. Sie hat ein Studium in  Finanz- und Rechnungswesen an der Universität St. Gallen abgeschlossen.

Thomas Daniel Marti
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