Wer sich dieser Tage über die Geldanlage informiert, bekommt von Anlageberatern und anderen Experten meist sofort das sogenannten TINA-Prinzip um die Ohren geschleudert: "There Is No Alternative". Es gibt keine Alternative – und zwar zu Aktien. Heisst: Wer auf sein Kapital eine anständige Rendite erhalten möchte, muss heutzutage auf den Kauf von Aktien setzen. Die Niedrigzinsen machen Sparkonten zu einem Verlustgeschäft für Anleger.

Doch Investments in Aktien sind zwangläufig immer mit Achterbahnfahrten verbunden. Anleger müssen Nerven haben und auch mal zwischenzeitliche Verluste im hohen zweistelligen Prozentbereich verkraften können. Langfristig lohnt es sich: Wer zwischen 1975 und 2017 beliebige 15 Jahre in den MSCI World Index investierte, erzielte durchschnittlich knapp acht Prozent Rendite pro Jahr.

Blockchain-Technologie schafft Alternativen

Und doch gibt es Möglichkeiten, auch anders Geld mit Zinsen von über acht Prozent anzulegen. Das Zauberwort lautet hier "Decentralized Finance" (Defi), welches der Blockchain-Technologie zugrunde liegt. Kurz zusammengefasst bedeutet Defi, dass Vermögenswerte nicht mehr einer zentralisierten Instanz wie einer Bank anvertraut werden, sondern dezentralisiert ohne Drittpartei mittels eines Blockchain-Netzwerkes ausgetauscht werden können. An dem Netzwerk kann praktisch jeder teilhaben.

Jeder mit Internetzugang ist seine eigene Bank und kann Geld innerhalb des Blockchain-Netzwerkes leihen oder verleihen. Dies geschieht auf dezentralen Finanzplattformen wie etwa Compound. Dort kann Geld für Kredite zur Verfügung gestellt und Zinsen entgegengenommen werden, die in der "konventionellen" Welt heutzutage undenkbar wären. Eine wichtige Einschränkung ist: Die Blockchain-Welt akzeptiert keine Fiat-Währungen. Es braucht also Krypto-Währungen.

4 bis 12 Prozent Rendite mit Stablecoins

Das Geld muss nicht in volatilen Währungen wie Bitcoin angelegt werden. Um die Gefahr von Wechselkursschwankungen zu mindern, kann das Geld in sogenannten Stablecoins angelegt werden. Das sind Krypto-Währungen, die einen fix definierten Wechselkurs zu einer Fiat-Währung wie dem Schweizer Franken oder dem US-Dollar besitzen. Wie jedermann – auch "Nicht-Digital-Natives" – Stablecoins (oder auch Bitcoin) erwerben können, zeigt die "Handelszeitung" hier in einem ausführlichen, gut verständlichen Überblick

Allerdings muss beachtet werden, dass die meisten Stablecoins Zahlungsversprechen auf eingelagertes Fiatgeld sind. "Es handelt sich um ein Versprechen, dass jemand den entsprechenden Dollar-Betrag gegen Auslieferung des Stablecoins ausbezahlt. Daraus resultiert ein nicht zu vernachlässigendes Gegenparteirisiko", sagt Fabian Schär, Professor am "Center for Innovative Finance" der Universität Basel. 

Das Prozedere grob zusammengefasst: Zunächst kaufen Sie sich mit ihrem "echten" Fiat-Geld (etwa dem Schweizer Franken) eine Krypto-Währung wie etwa Bitcoin oder Ether. Dazu benötigen Sie eine digitale Wallet (zu deutsch: Geldbeutel), was meist über eine App geschieht. Nachdem Sie eine Krypto-Währung gekauft haben, tauschen Sie sie anschliessend in eine sogenannte Stablecoin-Währung mit festem Wechselkurs zu einer Fiat-Währung um. Verbreitet ist hier etwa der Kryptodollar, auch "USD Coin" (USDC) genannt. Ihre Stablecoin können Sie nun auf dezentralen Finanzplattformen wie etwa Compound anlegen und Zinsen einstreichen. Wie Sie technisch genau vorgehen müssen, wird im bereits erwähnten Beitrag der "Handelszeitung" beschrieben.

Der Vorteil: Sie erhalten überdurchschnittlich hohe Zinsenerträge, die meist zwischen 4 und bis zu 12 Prozent liegen. Geld kann auch jederzeit wieder bezogen werden.

Zu schön um wahr zu sein?

Klingt das eigentlich zu schön, um wahr zu sein? Die Antwort ist Jein. In der Theorie geht das alles genau so wie beschrieben. Allerdings hat der hohe Zins – wie letzten Endes immer – auch seinen Preis: Stichwort Sicherheit. "Die Fehleranfälligkeit im Bereich Defi ist derzeit noch recht hoch", sagt Alexander Brunner, Ökonom, Buchautor und Kenner der Schweizer Krypto-Szene, auf Anfrage von cash. Die Netzwerke im dezentralen System würden noch zu oft ineffizient arbeiten.

Defi steckt derzeit technisch noch in den Kinderschuhen. Die Programme können fehlerhafte Codes enthalten, die das System im schlimmsten Fall auch abstürzen lassen können. Das Geld ist dann unauffindbar – und für immer verschwunden.

Handelt es sich also um eine Hoch-Risiko-Anlage für Zocker? "In der Theorie kann ein dezentraler Liquiditätspool sehr sicher sein", sagt Schär. "Die Bedingung ist allerdings, dass die Plattform sauber programmiert wurde und es keine Hintertüren gibt", so Schär. Derzeit sei die ganze Angelegenheit noch "sehr experimentell".

Zukunft gehört Defi

Wann sich diese Art von Geldanlage durchsetzt, sei seriös kaum prognostizierbar. “Was mich optimistisch stimmt, ist die hohe Zahl der klugen Köpfe, die an dieser Infrastruktur arbeiten", so Schär. Der grosse Vorteil von Blockchain-basierten Anwendungen ist, dass die Finanzinfrastruktur transparenter und weniger betrugsanfällig werden kann. “Design- oder Implementierungsfehler in den Anwendungen (Smart Contracts) sind derzeit noch die grösste Herausforderung für Defi", sagt Schär. Heisst: Die technischen Risiken sind noch hoch. 

Aber auch Brunner glaubt, dass die Entwicklung von Defi kaum aufzuhalten ist und sich langfristig durchsetzen wird. "Allerdings fehlt derzeit noch die eine Killer-App, anhand der die Bevölkerung zum Entschluss kommt, dass es dies jetzt brauche", so Brunner.

Disruption im Bankenwesen

In der Tat erscheinen die ganzen Programme und Apps um Defi für den (krypto-)technischen Laien heutzutage noch vergleichsweise schwierig. Heutzutage ist es kinderleicht, mit wenigen Klicks ein ("konventionelles") Konto zu eröffnen und Geld zu transferieren. Um in die Welt der Krypto-Währungen einzutauschen, dürfte bei dem allergrössten Teil der Bevölkerung hingehen ausführliche Anleitungen vonnöten sein.

Wenn sich Defi-Protokolle punkto technischer Zuverlässigkeit verbessert und die Anwendungen nutzerfreundlicher werden, lauert hier die nächste grosse Disruption im Bankenwesen. Auch Schär ist sich sicher: "Das Potienzial von Defi ist riesig".