cash.ch: Herr Zief, der US-Dollar zeigt in diesem Jahr einen klaren Abwärtstrend. Was ist der Grund?

Samuel Zief: Es gibt zwei Hauptfaktoren für die Schwäche des US-Dollars in diesem Jahr. Die US-Wirtschaft verlangsamt sich zwar nicht bis zur Rezession, zeigt aber eine Abschwächung. Die Fed wird daher voraussichtlich die Zinsen senken. Wir erwarten rund 100 Basispunkte in den nächsten zwölf Monaten. Das gleicht nicht nur das US-Wachstum an das des relativ stabilen Rests der Welt an, sondern bringt auch die US-Zinsen näher an die anderer Länder, die ihre Zinssenkungszyklen grösstenteils abgeschlossen haben.

Und der zweite Faktor?

Der zweite Grund war vor allem im zweiten Quartal besonders spürbar: Viele Investoren hatten grosse Übergewichtungen in US-Vermögenswerten aufgebaut und wollten diese in einer unsicheren Welt ausbalancieren. Im April und Mai haben wir daher Kapital zurückgeführt gesehen, sowohl in US-Anleihen als auch Aktien. Gleichzeitig erhöhten globale Fonds ihre Absicherung gegen Wechselkursrisiken, was faktisch einem Dollarverkauf entspricht. Diese Ströme haben sich im dritten Quartal abgeschwächt, und die Zinsdifferenzen sind wieder der Haupttreiber. 

Donald Trump spricht öffentlich darüber, dass er den Dollar schwächen möchte. Warum geht er dieses Risiko ein? 

Historisch gesehen ist eine schwächere Währung der beste Weg, das Handelsdefizit einer Volkswirtschaft auszugleichen. Das macht die Exporte wettbewerbsfähiger und die Importe teurer, was wiederum das Leistungsbilanzdefizit ausgleicht. Die Unsicherheit im Zusammenhang mit diesen Äusserungen ist definitiv ein Grund dafür, dass globale Investoren aktiv überdenken, inwieweit sie die USA übergewichten. Aber bislang gibt es kaum Anzeichen, dass die US-Regierung effektiv einen schwachen Dollar anstrebt. Entscheidend sind Fundamentaldaten und Devisenabsicherungsströme.

Ist ein Dollarcrash realistisch?

Das Wort 'Crash' müsste zuerst jemand definieren. Die Frage ist vielleicht eher, was könnte den Dollar so weit verbilligen, dass er seinen fairen Wert erreicht? Ein wirklich starker Einbruch wäre nur dann denkbar, wenn Investoren das US-Haushaltsdefizit als untragbar einstufen und Kapital abziehen. In diesem Umfeld würden die Zinsen steigen, die Kurve steiler werden und der Dollar unter seinen fundamentalen Wert fallen. Aktuell sehen wir jedoch keine Anzeichen dafür, dass sich ein solches Risiko materialisiert.

Denken Sie, der Dollar läuft Gefahr, als Weltleitwährung ersetzt zu werden?

Da kann ich ganz klar sagen: Nein. Alle Daten, die ich sehe, zeigen kaum Anzeichen für einen Rückgang des Dollar-Anteils an den globalen Finanzmärkten. Zudem bleibt der Dollar die zentrale Währung für Kreditaufnahmen und -vergaben weltweit, selbst bei Unternehmen ohne US-Bezug. Und nicht zuletzt sind die US-Kapitalmärkte nach wie vor die vielfältigsten und liquidesten der Welt. Es ist wichtig, zwischen einer 'bärischen' Dollar-These und einer Erosion der Rolle des Dollars als Zentrum des Finanzsystems zu unterscheiden. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Und eines davon findet tatsächlich statt, das andere nicht.

Könnte es mehr als eine Weltleitwährung geben?

Ja, ich denke, es gibt Raum für eine multipolare Welt der Währungen. Und ich würde behaupten, dass es keine alleinige Reservewährung gibt. Der US-Dollar macht 60 Prozent der Devisentransaktionen und 60 Prozent der weltweiten Handelsabrechnungen aus, aber es sind nicht 100 Prozent. Es kann also eine Welt geben, in der das passiert, aber es gibt keine andere Währung, mit einem vergleichbaren Finanzmarkt wie jene der USA. Und das dürfte sich auch nicht ändern.

Die BRICS-Staaten wollten ihre eigene Währung einführen als Alternative zum Dollar. Wie realistisch ist dieses Szenario?

Als Devisenstratege verbringe ich viel Zeit damit, eine tragfähige Währung wie den Euro zu beobachten. Er entwickelt sich gut, aber wir alle wissen, wie schwierig das war. Und das in Ländern, die viel homogener sind als die BRICS-Staaten. Deshalb fällt es mir schwer zu glauben, dass diese Gruppe eine gemeinsame Währung als Hauptzahlungsmittel etabliert. Etwas mehr Handel in ihren eigenen Währungen statt im Dollar – ja. Aber im Vergleich zu einem Devisenmarkt von sechs Billionen Dollar täglich bleibt das ein Tropfen auf den heissen Stein.

Sollten sich Unternehmen aus den USA und dem Dollar zurückziehen?

Als Abkehr von den USA würde ich es nicht formulieren. Aber es ist der richtige Zeitpunkt für Anleger, um sicherzustellen, dass ihre Portfolios angemessen global ausgerichtet sind. Konkret empfehlen wir, von einer US-Übergewichtung hin zu einem global kapitalgewichteten Benchmark zu gehen – der zwar immer noch stark von den USA geprägt ist, aber aus unserer Sicht die richtige Diversifizierung aufweist.

Welchen Einfluss hat die Dollarschwäche auf die Schweiz und den Franken?

Früher floss rund 90 Prozent des Geldes globaler Investoren in die USA, heute sind es vielleicht noch 70 bis 80 Prozent. Der Blick richtet sich deshalb stärker auf Märkte wie Europa, Japan – und auf Währungen mit geringer Volatilität. Ich verwende den Begriff 'Sicherer Hafen' nicht gern, aber im Kern geht es genau darum: Investoren greifen meist zuerst zum Euro oder zu Gold – und gleich danach zur Schweiz. Aus der internen Schweizer Perspektive hat dies meiner Meinung nach keine allzu grosse wirtschaftliche Bedeutung. Für die Schweizer Wirtschaft ist es eher von Bedeutung, wie sich der Schweizer Franken gegenüber dem Euro entwickelt. Und der Euro-Franken-Wechselkurs ist aus Sicht der Wechselkurse sehr stabil geblieben.

Gibt es politische und wirtschaftliche Faktoren, die in naher Zukunft für den Dollar relevant sind?

Am Ende stehen die Fundamentaldaten für uns klar im Vordergrund - politische Entwicklungen behalten wir aber im Auge. Wir erwarten, dass sich der Arbeitsmarkt entspannt und die Fed dadurch trotz etwas höherer Inflation die Zinsen senken kann. Sollten sich Arbeitsmarkt oder Inflation jedoch anders entwickeln, gerät die Fed unter Druck – und der Dollar würde gestützt. Hinzu kommt das hohe Leistungsbilanzdefizit der USA, das Kapitalzuflüsse erfordert. Das kann die Unabhängigkeit der Fed einschränken und die US-Finanzmärkte weniger stark auf Überrenditen ausrichten. Für die Devisenmärkte ist daher alles relevant, was Investoren dazu bringt, ihre Allokation in den USA kritischer zu prüfen.

Welchen Ratschlag würden Sie Anlegern geben, um sich am besten vor den Risiken der Dollarschwäche zu schützen?

Grundsätzlich empfehle ich eine internationale Diversifizierung und ein angemessenes Fremdwährungsrisiko. Viele Anleger bauen ein grosses globales Portfolio auf, ohne darüber nachzudenken, was das für ihr zugrunde liegendes Währungsengagement bedeutet. Es ist jedoch wichtig, mit Hilfe von Devisenabsicherungsmassnahmen sicherzustellen, dass alles angemessen aufeinander abgestimmt ist. Insbesondere für Investoren, die vielleicht in Land X Unternehmen haben, aber in Land Y investieren, und deren Kinder in Land Z zur Schule gehen.

Wie geht es mit dem Dollar Ihrer Meinung nach weiter?

Die aufgezählten Faktoren untermauern unsere Einschätzung, dass der Dollar zumindest in der zweiten Jahreshälfte weiter an Wert verlieren dürfte. Wir gehen davon aus, dass die nächste Phase der Dollarschwäche von den Zinssenkungen der Fed ausgeht. Sinkende US-Zinsen machen Absicherungen günstiger, und solange die Fed wie erwartet reagiert, sollte der Dollar seinen Abwärtstrend fortsetzen.

Wo sehen Sie den Dollar Ende Jahr?

Die Obergrenze unserer Euro-Dollar-Spannen liegt also bei etwa 1,20 bis 1,22 im nächsten Jahr. Das sind also etwa 3 bis 5 Prozent gegenüber dem aktuellen Stand, also nicht so drastisch wie in der ersten Jahreshälfte. Eine vollständige Normalisierung des US-Dollars auf Basis langfristiger Bewertungskennzahlen für den Euro-Dollar würde wahrscheinlich 1,25 bis 1,30 bedeuten.

...und zum Schweizer Franken?

Wir glauben, dass der grösste Teil der Bewegung bereits hinter uns liegt, aber der Dollar ist immer noch schwach genug, dass Schweizer Investoren sich dessen bewusst sind und entsprechend planen sollten. Ende Jahr sehen wir den Dollar-Franken-Kurs eher am unteren Rand unserer Spanne, also bei 78 bis 79. Mittelfristig könnte er sogar in Richtung 75 bis 76 gehen. 

Samuel Zief ist Global Macro Strategist und Leiter der Devisenstrategie für JP Morgan Private Bank. Zuvor arbeitete er bei der Federal Reserve Bank of New York in verschiedenen Forschungs- und Politikfunktionen mit Fokus auf internationale Finanz- und Devisenmärkte. Er studierte Internationale Wirtschaft und Finanzen an der Johns Hopkins University (M.A.) sowie an der George Washington University (B.A.).

Aisha Gutknecht arbeitet seit Juli 2024 als Redaktorin für cash.ch.
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