Das Wort «schwierig» beschreibt das letzte Jahr aus Sicht der Flugzeughersteller wohl ganz gut. Der Kurs von Boeing büsste rund 83 Dollar pro Aktie ein. Nicht so in diesem Jahr: Die Aktien haben sich um diesen Prozentsatz verteuert und notieren so teuer wie seit 1,5 Jahren nicht mehr. Damit liegt der US-Flugzeughersteller zwar nur hinter Platz 40 im Jahresranking des S&P 500, übertrifft den Gesamtmarkt jedoch klar.
Die Aktien des europäischen Pendants Airbus gewannen 2024 immerhin fast 20 Euro dazu. In diesem Jahr haben die Papiere von Airbus zwar nur halb so viel wie Boeing dazu gewonnen, erreichten heuer jedoch ein neues Allzeithoch bei 186 Euro. Mit dieser Performance gehört Airbus am deutschen Leitindex DAX zu den sieben besten Werten in den vergangenen drei Monaten.
Interne Probleme und Vertrauensverlust
Angefangen hatte alles vor über sechs Jahren mit den Abstürzen zweier Jets von Boeing, worauf 737-Max-Flugzeuge mehr als 20 Monate lang weltweit nicht mehr starten durften. Aber auch Unstimmigkeiten innerhalb des Personals, Probleme in der Rüstungs- und Raumfahrtsparte und weitere Vorfälle kosteten Boeing etliche Milliarden und brockten dem Konzern sechs Verlustjahre in Folge ein.
Nun scheint das schlimmste überstanden. So verkündete Boeing Ende Juli deutlich mehr Auslieferungen von Passagier- und Frachtjets im zweiten Quartal. Ausserdem hatten auch die Umsatzsteigerung, der schrumpfende Verlust und der geringere Barmittelabfluss überzeugt.
Kelly Ortberg hat vergangenes Jahr die Führung des US-Konzerns übernommen und ihn nach etlichen Qualitätsmängeln und Missständen in der Fertigung wieder in ruhigere Bahnen geführt. Er scheint ein entscheidender Faktor für das zurückerlangte Vertrauen der Anleger und Analysten zu sein.
Die Bank of America (BofA) hat im Juni eine Kaufempfehlung ausgesprochen und das Kursziel von 185 auf 260 Dollar angehoben. Die Begründung: Der Experte erwartet dank der Fortschritte unter Konzernchef Kelly Ortberg nun stärker als bisher eine Trendwende bei dem US-Flugzeugbauer. Allerdings ist Boeing nach wie vor hochverschuldet. Die BofA betont jedoch, dass das Vertrauen der Anleger zum Unternehmen nach Jahren voller Fehlschläge noch labil sei.
Bei Airbus waren vor allem technische und finanzielle Probleme Schuld für den Vertrauensverlust der Anleger. Das französische Unternehmen kämpft nach wie vor mit Engpässen bei seinen Zulieferern wie Triebwerksbauern und Sitzherstellern. Dennoch fielen die Auslieferungszahlen im ersten Halbjahr zwar schwächer aus als noch im Vorjahr, dennoch wurde an den Jahreszielen festgehalten.
Der bereinigte operative Gewinn konnte trotz stagnierendem Umsatz gesteigert werden. Zudem hält das Management Anleger mit der Aussicht auf höhere Dividenden bei der Stange. Sie sollen künftig rund 10 Prozent höher auf 30 bis 50 Prozent des Überschusses belaufen.
Hürden endgültig überwunden?
Aktuell stehen beide Flugzeughersteller also am Scheideweg. Dabei sind beide Konzerne von externen Faktoren abhängig, wobei bei Boeing wohl weiterhin interne Veränderungen und Optimierungen angestrebt werden.
Ausserdem wartet Boeing immer noch auf Entscheide der Luftfahrtbehörde FAA. Der Hersteller produziert seit Mai zwar wieder 38 Exemplare der 737 Max pro Monat, doch die FAA hat dieses Niveau vorerst gedeckelt und muss erst über eine Erhöhung entscheiden. Dabei machen solche Schmalrumpfjets gemäss Prognosen rund zwei Drittel bis vier Fünftel des erwarteten Bedarfs aus.
Bis zum Jahr 2044 würden voraussichtlich 43'600 neue Maschinen benötigt, teilte Boeing vor der Luftfahrtmesse in Paris im Juni mit. Airbus rechnet mit einer leicht geringeren Nachfrage von 43'400 Maschinen, hat diese Prognose jedoch im Jahresverlauf gesteigert. Profitieren dürfte beide davon, dass der weltweite Luftverkehr im jährlichen Schnitt um 3,6 Prozent zunehmen dürfte. Einen besonders starken Anstieg der Nachfrage erwartet Airbus innerhalb Indiens sowie zwischen China und anderen asiatischen Ländern.
Vom Zollkonflikt haben die beiden Hersteller nichts zu fürchten. Der Im- und Export von Flugzeugen und Flugzeugteilen soll auch in Zukunft zollfrei bleiben. Hier greift das multilaterale Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen, welches Airbus und Boeing seit 1979 von Zöllen befreit. US-Verkehrsminister Sean Duffy hatte sich an der Luftfahrtmesse in Paris klar dafür ausgesprochen.
Es ist also eine ungewisse Zukunft für beide Produzenten. Bei Boeing dürfte vieles vom neuen CEO Kelly Ortberg und seiner Strategie abhängig sein. Insbesondere das Vertrauen der Anleger ist eng damit verknüpft. Die Halbjahreszahlen und die Befreiung von Zöllen sind sicherlich positiv zu werten, allerdings kämpfen beide Unternehmen auch nach wie vor mit Problemen in der Produktion.
Eine Analystin von Jefferies nennt Airbus als ihren klaren Top-Pick in diesem Sektor. Damit schliesst sie sich 18 weiteren Experten an, welche die Aktien zum Kauf empfehlen. Sieben würden die Titel Halten, nur eine Verkaufsempfehlung liegt bei Bloomberg vor. Das durchschnittliche Kursziel von 196,83 Euro impliziert weiteres Aufwärtspotenzial gegenüber dem aktuellen Kursniveau von 181,18 Euro.
Für Boeing liegen 24 Kaufempfehlungen vor und zehn Halten-Ratings - keine Verkaufsempfehlung. Auch hier ist gegenüber dem aktuellen Kurs von 233 Dollar noch Luft nach oben zum fairen Wert von 257,24 Dollar. Vom Allzeithoch bei knapp 390 Dollar ist der Titel allerdings weit entfernt.