Für Anleger, die in chinesische Tech-Giganten investiert sind, ist es in den letzten Wochen so richtig ungemütlich geworden. Die Aktien von JD.com, Tencent und insbesondere von Alibaba haben harte Wochen hinter sich. Letztere erfuhr mit einem Minus von über 30 Prozent gegenüber dem Allzeithoch Ende Oktober gar einen Einbruch. Alibaba-Gründer Jack Ma scheint seit Monaten verschwunden zu sein. Die Posse um den Tech-Gründer, der in China teilweise als Star gefeiert wird, zeigt vielen Anlegern schlagartig auf, was vorher schon offensichtlich war: Wer in chinesische Aktien investiert, betritt ein anderes, teils unsicheres Terrain.  

Kursentwicklung der Alibaba-Aktie in den letzten zwölf Monaten, Quelle: cash.ch.

Argumente, in chinesische Aktien zu investieren, gibt es viele. Chinas wirtschaftlicher Aufstieg wird trotz aller Querelen um den Handelsstreit nicht zu bremsen sein. Experten gehen davon aus, dass China noch in diesem Jahrzehnt die USA als grösste Volkswirtschaft der Welt ablösen wird. Demzufolge könnte man es als hochfahrlässig bezeichnen, als Anleger diesen Markt zu ignorieren. Dennoch müssen Anleger sich einzelner Risiken bewusst sein, wenn sie chinesische Aktien halten – und dazu gehört nicht nur ein verschwundener Top-Manager.

Risiko 1: Chinas Staatsmacht – Direkte Eingriffe in die Unternehmen

Der Fall Jack Ma zeigt es: Erlaubt sich ein Wirtschaftsführer öffentlich, deutliche Kritik an der Politik des chinesischen Regimes zu äussern, lässt Chinas Staatsapparat die Muskeln spielen. Ende Oktober hielt Jack Ma eine kritische Rede über die zunehmenden Eingriffe des chinesischen Staats in die Entwicklung der Internetwirtschaft. Die Folge: Chinas Präsident Xi Jinping stoppte höchst persönlich den Börsengang der Alibaba-Tocher Ant Financial. Kurze Zeit später leitete Chinas Kartellamt eine formelle Untersuchung gegen Alibaba ein wegen "monopolistischer Praktiken". Im Gegensatz zu Europa und den USA, heissen solche Ankündigungen in China etwas. Die Aktie verlor seit Ende Oktober rund 32 Prozent.

Jack Ma und Alibaba wurden dem Regime mit der Zeit offenbar zu mächtig. Der politischen Stabilität und Ordnung willen, sägte China - zumindest vorübergehend - daher eines seiner aufstrebendsten Unternehmen ab. Zwar ist es wenig wahrscheinlich, dass Peking Alibaba dauerhaft ausbluten lassen wird - eine Erholung der Aktie ist langfristig wahrscheinlicher. Doch der Fall zeigt exemplarisch, womit es Anleger im chinesischen Markt zu tun haben: mit einem Staatsapparat der direkt und auch willkürlich in die Unternehmen eingreifen kann, und dies auch tut.

Risiko-Level: durchaus gegeben

Risiko 2: An US-Börsen gehandelte Anteile chinesischer Firmen sind keine Aktien - und damit keine Sachwerte

China verbietet es Ausländern, in bestimmte Bereiche der chinesischen Wirtschaft direkt zu investieren. Einer dieser Bereiche ist die Internetbranche. Grund: Chinas Führung will die Kontrolle über die Inhalte, die auf den verschiedenen Plattformen geteilt werden, um keinen Preis abgeben. Dies auch, um gegebenenfalls Zensuren vornehmen. Könnten ausländische Investoren direkt Aktien von Alibaba oder anderen grossen Internetfirmen aus China aufkaufen, würde Peking riskieren, die Kontrolle über die Unternehmen zu verlieren.

Wer als Schweizerin oder Schweizer also in Alibaba, Tencent oder JD.com investiert, kauft keine Aktien der Unternehmen, sondern sogenannte ADRs (American Depositary Receipts), oft auch Hinterlegungsscheine genannt. Dabei handelt es sich um Zertifikate, auf denen das Recht auf die entsprechende Aktie verbrieft ist. Ein ADR ist also kein Sachwert, sondern vielmehr ein Finanzprodukt, welches meist von US-Banken herausgegeben wird. Besitzer dieser ADRs haben keinen Status als Aktionär und demzufolge keine bindenden Aktionärsrechte. So ist oft unklar, was passiert, sollte der Emittent des ADR, also die Bank, pleitegehen.

Zudem können Besitzer von ADRs theoretisch einfacher enteignet werden. Das Unternehmen hinter dem ADR könnte etwa entscheiden, dass ADR auf die Aktien hinfällig werden. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass grosse Firmen wie Alibaba es riskieren, eine solch grosse Investorengruppe vor den Kopf zu stossen. Hinzukommt, dass bei grossen Firmen wie Alibaba die ADRs in der Regel auf real existierende Aktien hinterlegt sind. Das Geld wäre bei einer Insolvenz der Bank also nicht automatisch weg. Eine Unsicherheit aufgrund der Unklarheit, was daraus folgt, ist dennoch da. 

Risiko: durchaus gegeben, bei grossen Firmen aber eher gering

Risiko 3: Ein Delisting chinesischer Wertpapiere von US-Börsenplätzen ist neu einfacher möglich

Am 2. Dezember vergangenen Jahres verabschiedete der US-Kongress mit grosser Mehrheit aus beiden politischen Lagern den "Holding Foreign Companies Accountable Act". Dieses Gesetz ermöglicht ein einfacheres Delisting chinesischer Anteilsscheine (ADRs) von den New Yorker Börsen. Chinesische Firmen müssen künftig offenlegen, in welcher Form sie vom chinesischen Staat abhängen. Zudem müssen sie ihre Bilanzen zwingend nach US-Massstäben prüfen lassen. Geschieht dies innerhalb von drei Jahren nicht, kann die US-Börsenaufsicht die entsprechenden ADRs vom Handel ausschliessen.

Allein die Gefahr eines solches Ausschlusses führt umgehend dazu, dass der Börsenwert des Unternehmens sinkt. Grund: Die Aktie ist bei einem Ausschluss weniger handelbar, zudem verliert das Unternehmen an Ansehen, wenn dessen Aktie von einer Börse ausgeschlossen wird. Das US-Gesetz betrifft knapp 140 chinesische Aktien (ADRs), die aktuell an den New Yorker Börsen gelistet sind. Alibaba hat 2019 in weiser Voraussicht des sich anbahnenden Gesetzes ein Zweitlisting an der Börse in Honkong vollzogen. Andere Firmen wie JD.com haben es Alibaba 2020 gleichgemacht.

Einerseits ist es im Interesse der New Yorker Börsen, grosse chinesische Firmen wie Alibaba weiterhin gelistet zu haben – so behält man den Stellenwert als weltweit wichtigster Börsenplatz. Andererseits gehen die Muskelspiele zwischen China und den USA auch nach der Ära von Donald Trump weiter. Allein die Diskussion um mögliche Delistings können die Aktienkurse – zumindest zwischenzeitlich – stark unter Druck bringen. Kurz: Anleger sollten diesbezüglich gute Nerven haben.  

Risiko: durchaus gegeben