Die Schweizer Small und Mid Caps strotzen vor guten Neuigkeiten. Vergangene Woche der Präzisionsteilehersteller SFS und der Schraubenspezialist Bossard, diese Woche unter anderem die Industriegruppe Sulzer oder der Elektronikentwickler Cicor: Die Prognosen werden reihenweise nach oben gefahren.

Der Aktienmarkt freut sich über die guten Nachrichten vor allem von zyklischen Firmen. Der Index SPI Extra, in dem die primär defensiven grosskapitalisierten Aktien ausgeklammert sind, hat seit Anfang Jahr 17 Prozent zugelegt. Der Gesamtmarkt SPI kommt auf 14 Prozent Kurszuwachs in derselben Periode.

 

 

Schon das erste Quartal lief für sehr viele Unternehmen gut, und den Schwung dürften sie grossteils ins zweite Quartal mitgenommen haben. Während die grosskapitalisierten Unternehmen bereits kräftig vom Aufschwung der Weltwirtschaft profitiert haben, dürfte bei den mittelgrossen und kleineren kotierten Gesellschaften die anziehende Konjunktur in Europa noch positiv wirken.

Von zehn Unternehmen aus dem Industrie- und Technologiesektor heben gefühlt sieben oder acht die Aussichten an. Autozulieferer wie Autoneum, Ems-Chemie, Georg Fischer oder Komax werden aller Wahrscheinlichkeit nach vom wieder boomenden Fahrzeugbau profitieren. Fast schon in einem "Superzyklus" wähnt man die Halbleiterbranche. Dort richten sich die Augen erwartungsvoll auf erfolgreiche Schweizer Firmen wie VAT, Comet oder Inficon

«Kombination positiver Faktoren»

Die Unternehmen müssen aber nicht nur optisch gute Zahlen liefern – im Vergleich zum Vorjahr mit dem Corona-Einbruch vom Februar 2020 werden die Kennzahlen fast überall deutlich besser ausfallen. Auf die Zusammensetzung der Gewinne kommt es an. Am Markt ist man derweil optimistisch, dass auch die Qualität der Resultate gut sein wird.

"Die Umsätze und Gewinne werden solide sein", sagt Remo Rosenau, Leiter Research bei der Helvetischen Bank. "Wir sehen eine Kombination fast aller positiver Faktoren: Höhere Volumen, die dank dem operativen Hebel zu besseren Margen führen sowie tiefere Kosten in Folge immer noch sehr tiefer Marketingausgaben." Einzig steigende Rohstoffpreise wirkten negativ, aber zumindest für die Halbjahresresultate würden sich diese noch nicht so stark auswirken.

"Der Markt weiss das alles aber auch", sagt Rosenau weiter. Für das Gesamtjahr bestünden noch grössere Unsicherheiten. Die Kosten, unter anderem für das Marketing, aber vor allem die Beschaffungskosten, würden wieder anziehen und damit die Margen wieder vermehrt belasten.

Vor einer tiefen Visibilität für das zweite Halbjahr warnt auch Omar Brem, Research-Chef der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Die derzeit hohen Aktivitäten seien nicht unbedingt ein Indikator für die nächsten Monate. "Wir sehen hohe Bestelleingänge bei den Unternehmen, aber wir wissen noch nicht, ob die Kunden die bestellten Mengen auch weiterverarbeiten, oder ob diese vor allem eingelagert werden." Eine Standortbestimmung sei weiterhin schwierig.

Zweistelliges Gewinnwachstum

Geht dem Aufschwung schneller als erwartet die Luft aus? Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco wies diese Woche bei einer sehr guten Wirtschaftsprognose auch auf bestehende Unsicherheiten hin. Der gefürchtete "Zweitrundeneffekt" mit Konkursen und Entlassungen ist aus Sicht der Bundesökonomen der Schweiz nicht gebannt. Und auszuschliessen sind auch neue Viruswellen überhaupt nicht. 

Anastassios Frangulidis, Chefstratege der Bank Pictet, bleibt für das Gesamtjahr aber optimistisch. "Das Gewinnwachstum wird zweistellig sein, und das ganze Jahr 2021 wird gut werden, denn wir werden bis mindestens Ende Jahr in einem zyklischen Aufschwung sein." Er sieht starkes Wachstum nicht nur bei den Industrieunternehmen, sondern dank guter Geschäfte an den Finanzmärkten und einer steileren Zinskurve auch bei den Banken. Genauso würden rohstoffabhängige Unternehmen weiter profitieren. Am wenigsten Wachstum erwartet er für die kommende Berichtssaison für die nicht zyklischen Aktien wie in erster Linie beim Nahrungsmittelkonzern Nestlé oder den Pharmaunternehmen Roche oder Novartis.

Mit Blick über 2021 glaubt auch Frangulidis, dass die zyklischen Unternehmen nicht dauerhaft so hohe Erwartungen erfüllen könnten wie im Moment. Dann seien die defensiven Werte wieder mehr gefragt: "Man kann bei ihnen weniger erwarten, hat aber auch weniger zu befürchten. Dieses Muster wird bleiben."

Inflationsdiskussion bleibt virulent

Die anziehende Konjunktur, die derzeit den Auftrieb unter den Kennzahlen und Kursen vieler Schweizer Unternehmen und speziell den Zyklikern bildet, hat eine Kehrseite. Die Inflation zieht an. Wenn dies zu einer Straffung der Geldpolitik der Notenbanken führt, insbesondere in den USA, kommen die Aktienkurse auch von dieser Seite unter Druck. "Dies ist für die weitere Entwicklung der Aktien noch wichtiger als die Kennzahlen", sagt Aktienexperte Rosenau. 

Zur Inflationserwartung gibt es unterschiedliche Meinungen. Die US-Notenbank Federal Reserve sieht sie als vorübergehende Erscheinung, und viele Banken und Vermögensverwalter sehen dies auch so. Aber die Zahl jener, die von einem hartnäckigeren Inflationsproblem ausgehen, hat sich in den vergangenen Wochen erhöht. Respektive, deren Stimmen sind lauter geworden.  Wer Kurschwankungen wegen Inflationsbedenken abmildern will, muss sich schon jetzt mehr defensiven Aktien zuwenden. Im Schweizer Markt als relativ resistent gegen den Inflationsdruck sieht der Vermögensverwalter Stifel Financial in erster Linie nicht nur Nestlé, sondern auch die Schokoladenhersteller Lindt&Sprüngli und Barry Callebaut sowie den Molkereikonzern Emmi. Den Mobiltelefonvertreiber Mobilezone hebt Analyst Pascal Boll in einem Marktkommentar ebenfalls hervor, während der auf Asien ausgerichtete Handelsdienstleister DKSH unter dem Strich gar als Nutzniesser einer anziehenden Inflation gesehen wird: "Wir glauben, dass der Markt diese Eigenschaft noch übersieht", schreibt Boll.