Auf Video-Aufnahmen örtlicher Medien war am Sonntag zu sehen, wie mehrere Tausende Menschen in den Gebäuden in der Hauptstadt Brasilia Fenster einwarfen und Möbel zerstörten. Die Polizei setzte Tränengas ein. Der neue linke Präsident Luiz Inacio Lula Silva hielt sich im Bundesstaat Sao Paulo auf. Er machte den Rechtspopulisten Bolsonaro für die Gewalt verantwortlich und beklagte, Faschisten und Fanatiker hätten wegen mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen wüten können.

Medienberichten zufolge erlangten die Sicherheitskräfte im Laufe des Tages die Kontrolle über die Gebäude der drei Staatsgewalten wieder. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie Dutzende Demonstranten in Handschellen abgeführt wurden. "Diese Vandalen, die man fanatische Nazis, fanatische Stalinisten ... fanatische Faschisten nennen könnte, haben etwas getan, was in der Geschichte dieses Landes noch nie getan wurde", sagte Lula. Alle Verantwortlichen würden bestraft. Auf sozialen Medien wurden Videos geteilt, die ein geplündertes Gerichtsgebäude zeigen sollen. In anderen Aufnahmen umstellten schreiende und mit Stöcken bewaffnete Demonstranten einen Polizisten einer Reiterstaffel und stießen ihn vom Pferd.

Der Gouverneur des Regierungsbezirks, Ibaneis Rocha, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, alle Sicherheitskräfte seien im Einsatz. Später gab er auf Twitter die Entlassung des für die Sicherheit zuständigen Ministers, Anderson Torres, bekannt. Dieser war unter Bolsonaro Justizminister. Der Generalstaatsanwalt kündigte an, gegen Torres sei Haftbefehl beantragt worden. Eine Stellungnahme von Bolsonaro lag zunächst nicht vor. Die Ereignisse in Brasilia erinnerten an die Erstürmung des US-Kapitols am 06. Januar 2021 durch Anhänger des ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Sie erkannten den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden nicht an. Bolsonaro und Trump hatten im Amt enge Beziehungen gepflegt und einen ähnlichen Politik-Stil bevorzugt.

Trumps Nachfolger Biden nannte die Lage in Brasilien ungeheuerlich. Auch die EU, Frankreich, Spanien, Portugal, Großbritannien und andere westliche Staaten verurteilten die Gewalt umgehend und sprachen von einem Angriff auf die Demokratie. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nannte die Handlungen der Demonstranten "von ihrem Wesen her faschistisch". In der Region stellten sich unter anderem Chile, Kolumbien, Argentinien, Venezuela und Kuba hinter Lula. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärte: "Der Faschismus hat sich zu einem Putsch entschlossen."

Bolsonaro hatte bei der Stichwahl Ende Oktober knapp gegen Lula verloren, der vor einer Woche seinen Amtseid ablegte. Er hat seine Niederlage nicht eingestanden, sondern verließ das Land 48 Stunden vor dem Ende seiner Amtszeit. Bolsonaro hat ohne Vorlage belastbarer Belege erklärt, das elektronische Wahlsystem des Landes sei anfällig für Betrug. Vor seinem Abflug nach Florida wandte er sich an seine Anhänger und rief sie zum Kampf gegen Lula auf. Sie haben seit der Stichwahl gegen deren Ausgang protestiert und einen Militärputsch gefordert, um eine Amtsübernahme von Lula zu verhindern. Dieser ist zum dritten Mal im Amt: Er war bereits von 2003 bis 2010 Staatsoberhaupt.

Die Kluft zwischen beiden Lagern in der Gesellschaft ist so tief wie nie seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1985. Beide Politiker machten sich im Wahlkampf gegenseitig massive Vorwürfe etwa wegen Korruption und haben damit zur Polarisierung der Gesellschaft beigetragen. Lula war 2018 wegen Bestechlichkeit verurteilt worden und hatte eineinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. 2021 wurden die Urteile gegen ihn aufgehoben. Seine Zeit im Gefängnis habe seinen Sinn für soziale Gerechtigkeit verstärkt, sagten Vertraute. 

(Reuters)