"Das heisst, aus geldpolitischer Sicht ist hier noch eine Wegstrecke zu gehen", sagte Nagel am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesfinanzminister Christian Lindner in Washington. "Ich werde mich nicht festlegen auf irgendeine Grössenordnung, was im Mai passieren könnte." Die Diskussion um die Grössenordnung sei nicht hilfreich, weil die Informationslage noch dünn sei. "Klar ist aber, dass die Geldpolitik weiter entschlossen zu handeln hat, um zeitnah Preisstabilität wieder herzustellen." Das nächste Zinstreffen der Europäischen Zentralbank (EZB) ist am 4. Mai.

"Beim Thema Inflation können wir noch nicht zufrieden sein", sagte Nagel. Die Gesamtinflation im Euro-Raum war zwar im März auf 6,9 Prozent gesunken von 8,5 Prozent im Februar. Sie lag damit aber immer noch mehr als drei Mal so hoch wie das Zwei-Prozent-Ziel der EZB. Die Kernrate, in der die schwankungsreichen Energie- und Lebensmittelpreise ausgeklammert sind, war im März auf 5,7 Prozent angestiegen nach 5,6 Prozent im Februar. Das war bereits der vierte Anstieg in Folge. Nagel wies darauf hin, dass die Kernrate inzwischen ein Rekordniveau erreicht habe.

Wende bei der Kerninflation vor der Sommerpause

"In Anbetracht der immer noch sehr hohen Kerninflationsrate - 5,7 Prozent für den Euro-Raum - erwarte ich schon noch, dass der Straffungszyklus fortzusetzen ist", sagte er. Bei der Gesamtinflation und bei der Kerninflation liege die Notenbank noch weit weg von der angestrebten Zielmarke. Der Anpassungspfad erfordere daher noch weitere Zinsschritte. Nach seiner Einschätzung wird die Kerninflation aber auch bald die ersten Bewegungen in die von der Notenbank gewünschte Richtung zeigen. Das werde wohl vor der Sommerpause geschehen.

Die EZB hat im Kampf gegen die hartnäckig hohe Inflation seit Juli 2022 die Schlüsselsätze bereits sechs Mal in Folge hochgesetzt - zuletzt im März um 0,50 Prozentpunkte. Nagel warnte davor, zu früh eine Diskussion um mögliche Zinssenkungen zu beginnen. Die Währungshüter müssten sich in den kommenden Wochen und Monaten die Entwicklung der Daten anschauen. Es gelte zu sehen, wann der Zinsbereich erreicht werde, bei dem die Notenbank dann erst einmal verharren müsse. Sie müsse auf diesem Plateau ein Stück weit bleiben, um festzustellen, inwieweit die Zinsschritte auf die Inflationsrate dauerhaft durchwirken. Früher sei oft der Fehler begangen worden, dass bei ersten Zeichen, dass die Inflation deutlicher zurückgeht, schon über Zinssenkungen spekuliert worden sei. "Den Fehler erster Ordnung, den will ich eigentlich vermeiden wollen."

Eine Rezession in der Euro-Zone erwarte er nicht, sagte Nagel am Abend in einer Diskussionsrunde in Washington. "Es scheint so zu sein, dass es mehr oder weniger eine sanfte Landung gibt." Es gebe vielleicht ein schwaches erstes Quartal. Aber der Rest des Jahres werde dann wohl günstig verlaufen. "Wenn wir nicht selbstzufrieden sondern wachsam sind, bin ich eher optimistisch."

(Reuters)