Bundeskanzler Friedrich Merz hat energische Reformen der Sozialsysteme angemahnt. «Wir haben einen der höchsten Krankenstände in ganz Europa. Wir arbeiten 200 Stunden weniger als die Schweizer», sagte der CDU-Vorsitzende am Sonntag im ZDF-Sommerinterview.

«Wir haben die höchsten Arbeitskosten in ganz Europa.» Bereits am Samstag hatte er auf dem Landesparteitag der CDU-NRW in Bonn betont: «Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, mit dem, was wir wirtschaftlich erwirtschaften in der Bundesrepublik Deutschland, einfach nicht mehr leisten.» Die SPD signalisiert unterdessen bei einer Reform des Bürgergeldes Kompromissbereitschaft.

Merz hatte am Samstag gewarnt, dass Deutschland seit Jahren über seine Verhältnisse lebe. Erneut mahnte er eine deutliche Reform des Bürgergeldes an und verwies darauf, dass es zwar drei Millionen Arbeitslose, zugleich aber Hunderttausende offene Stellen gebe. «So wie es jetzt ist, insbesondere im sogenannten Bürgergeld, kann es nicht bleiben und wird es auch nicht bleiben.» Auch CSU-Chef Markus Söder pochte gegenüber dem «Handelsblatt» auf eine Reform.

«Die Bürgergeldreform von Bärbel Bas kommt. Und sie ist notwendig», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, der «Rheinischen Post» (Montagausgabe) mit Verweis auf Arbeitsministerin Bas (SPD). Die geplante Nullrunde beim Bürgergeld 2026 sei bereits ein Schritt hin zu einer Reform.

Auch Bundesfinanzminister und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil sagte im «Bericht aus Berlin» der ARD, eine Reform des Bürgergelds werde kommen. So müssten Totalverweigerer und Schwarzarbeiter deutlich mehr Sanktionen erfahren. «Den Druck fahren wir hoch», betonte Klingbeil.

Linksfraktionssprecherin: «Unverantwortlicher Angriff»

Während CSU-Chef Söder mahnte, dass die Bezüge beim Bürgergeld neu definiert werden müssten, «auch bei den Wohnkosten und dem Schonvermögen», kritisierte die Linke die angekündigte Nullrunde. Dies sei «ein unverantwortlicher Angriff auf das Existenzminimum», sagte die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansin Köktürk, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Merz betonte, dass weitere Reformen nötig seien. «Wir müssen effizienter werden, wir müssen produktiver werden», sagte er im ZDF. Der Kanzler verwies etwa auf die geplanten Reformen im Rentenbereich, die auch dazu führen sollen, dass ältere Arbeitnehmer länger arbeiten. «Ich bin optimistisch, dass es auf der Basis von Freiwilligkeit und Einsicht geht und nicht auf der Basis von Zwang und Regulierung», betonte er.

Er teile die Sorgen des Handwerkspräsidenten Jörg Dietrich. Handwerksbetriebe seien in der Tat in einer sehr schwierigen Situation, weil ihnen viele der Möglichkeiten fehlten, über die grosse internationale Unternehmen verfügten.

«Die können nicht ins Ausland ausweichen. Die haben lebenslänglich Deutschland gebucht, um es mal etwas salopp zu sagen», betonte der Kanzler im ZDF. Allerdings zeige sich, dass die Industrie mittlerweile Investitionen von 600 Milliarden Euro in den Standort Deutschland angekündigt habe.

Der Gesamtmetallverband forderte «zur Not» eine pauschale Ausgabenkürzung von fünf Prozent bei Sozialleistungen. «Im Herbst muss die Koalition zwingend sicherstellen, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ab 1. Januar 2026 nicht noch weiter steigt», sagte Verbandshauptgeschäftsführer Oliver Zander der «Bild».

Aus der SPD hatte es nach Merz' Äusserungen am Samstag Kritik gegeben. Allerdings hatte der CDU-Vorsitzende ausdrücklich auch in den eigenen Reihen um Verständnis für Kompromisse mit der SPD geworben. «Wir muten den Sozialdemokraten einiges zu, die uns auch», betonte der CDU-Chef in Bonn.

Aber man sei nun einmal in einer gemeinsamen Regierung. «Und wir wollen den Erfolg dieser gemeinsamen Regierung», sagte er. «Lassen Sie uns auch mit den Sozialdemokraten zusammen zeigen, aus der Mitte des Landes, aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus, aus der Mitte der gesellschaftspolitischen Strömungen heraus, Entscheidungen möglich sind, die das Land voranbringen.»

Es gebe eine Radikalität von links aussen «und vor allem von rechts aussen», die mit ihren «apodiktischen politischen Vorstellungen ... am Ende des Tages nicht mit der Demokratie vereinbar» seien. Eine Demokratie lebe vom Ringen um Kompromisse und gemeinsamen Entscheidungen.

(Reuters)