Die Anleger blicken über die drohende weltweite Rezession hinaus und sehen ein bestimmtes Land - und seine Finanzmärkte - am stärksten aus ihr hervorgehen: Die Vereinigten Staaten. US-Aktien und -Anleihen werden den Weg aus der aktuellen Welle der Marktturbulenzen führen, wie die Befragten in der jüngsten MLIV Pulse Umfrage meinen.
Inzwischen gehen die Befragten davon aus, dass sowohl die britische Wirtschaft als auch die der Eurozone zuerst einen Einbruch erleiden könnte. Etwa 47 Prozent der 452 Befragten erwarten, dass das Vereinigte Königreich diesen ungewünschten Preis gewinnen wird, was möglicherweise auf die grösseren Finanzstabilitätsrisiken zurückzuführen ist. Europa haben im Vergleich 45 Prozent genannt.
Nur 7 Prozent sahen die USA als erste Volkswirtschaft einbrechen. Und sowohl ein Aufschwung in den USA als auch ein längerer Abschwung in Europa werden unterschiedliche Risiken für die Vermögens- und Einkommensungleichheit bergen. Das transatlantische Gefälle spiegelt den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise wider, beides Faktoren, die in Europa zu einem langfristigen wirtschaftlichen Druck führen, der in den USA weniger stark ausgeprägt ist.
Dennoch wiesen die Anleger darauf hin, dass es genauso wahrscheinlich ist wie bei der EZB oder der Bank of England, dass die US-Notenbank ihren Zinserhöhungszyklus als erstes beenden wird.
Langer Weg für Europa und UK
Darüber hinaus deutet die Umfrage auch darauf hin, dass ein Abschwung für Europa und das Vereinigte Königreich ein langer Prozess werden könnte - während die überwältigende Mehrheit der Anleger, ganze 69 Prozent, sagt, dass die USA den Sturm am besten überstehen und als relativer Gewinner unter den grossen Volkswirtschaften aus der diesjährigen Krisenserie hervorgehen wird.
Die Umfrage zeigt die klaren Auswirkungen auf die Vermögensallokation. Etwa 86 Prozent der Anleger erwarten eine Erholung der US-Märkte, wobei die Befragten Aktien gegenüber Anleihen leicht bevorzugen. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die seit langem bestehende Prämie für US-Aktien Bestand haben wird - und dass die Anleger bereit sind, in Scharen in US-Schatzanleihen zurückzukehren.
Es gibt mindestens drei mögliche Gründe, die erklären könnten, warum so viele Anleger die USA für geeignet halten, die Zinserhöhungen zu stoppen, damit sich die Wirtschaft und die Vermögensmärkte erholen können. Der erste Grund ist die Sorge um die globale Finanzstabilität. Angesichts des Status des Dollars als wichtigste Reservewährung der Welt, könnten die USA angesichts zunehmender globaler Turbulenzen zögern, die Zinsen weiter zu erhöhen, selbst wenn diese hauptsächlich ausserhalb der Vereinigten Staaten auftreten.
Ein zweiter Gedanke, den man in Betracht ziehen sollte, ist, dass die Fed mit den aggressiven Jumbo-Zinserhöhungen zuerst begonnen hat, was darauf hindeutet, dass ihre Arbeit auch zuerst erledigt sein könnte. Dies wird durch die Umfragedaten gestützt, da eine Mehrheit der Anleger die USA am ehesten in der Lage sieht, die Inflation zu bekämpfen.
Und ein dritter wichtiger Grund für die Annahme, dass die Fed als erstes mit Zinserhöhungen aufhören wird, ist, dass sie es selbst so angedeutet hat. Die US-Zentralbank hat den Wunsch geäussert, die Zinserhöhungen vorzuziehen, damit sie über einen längeren Zeitraum auf einem restriktiven Niveau halten kann, und zwar ab Anfang nächsten Jahres. Weder die Bank of England noch die EZB haben sich in ihren Prognosen so explizit geäussert.
Inflation als regressive Steuer
Die Umfrage ergab eine interessante Aufteilung zwischen Kleinanlegern und professionellen Anlegern. So wurden beispielsweise US-Aktien vom Einzelhandel stärker bevorzugt als US-Anleihen, was darauf hindeutet, dass die "Buy-the-Dip"-Mentalität durch die jüngste Baisse auf dem Aktienmarkt nicht dauerhaft unterbrochen wurde. Kleinanleger waren auch eher der Meinung, dass das Vereinigte Königreich als erstes in eine Rezession fallen könnte.
Ein Punkt, der ebenfalls zu beachten ist: Ungleichheit. Das (unausgesprochene) Abwärtsrisiko für die USA, wenn die Ergebnisse der Umfrage eintreten, könnte eine Vergrösserung der Einkommens- und Vermögensunterschiede sein. Die Zinserhöhungen der Fed haben zinsempfindliche Sektoren wie den Wohnungsbau am stärksten getroffen. Einige potenzielle Hauseigentümer sind bereits gezwungen, den Vermögensaufbau durch Kauf aufzugeben und stattdessen zu mieten.
Der Aufschwung der Finanzanlagen - die überproportional von wohlhabenderen Haushalten besessen werden - stünden gegenüber stagnierenden Arbeitseinkommen aus Löhnen und Mietern, die in der Falle der steigenden Zinsen stecken. Es ist unwahrscheinlich, dass Europa und das Vereinigte Königreich der zunehmenden Ungleichheit entkommen können. Während das Vermögen fast aller Menschen bei einem Konjunktureinbruch sinkt, verlieren die am wenigsten Wohlhabenden am meisten. Und inflationäre Rezessionen sind das Schlimmste aus beiden Welten, denn Inflation ist de facto eine regressive Steuer - sie trifft die Ärmsten, die den grössten Teil ihres verfügbaren Einkommens ausgeben.
Die Befragten sind wesentlich pessimistischer gegenüber der Frage, ob das Vereinigte Königreich und der Euroraum die Lebenshaltungskosten in den Griff bekommen können: Nur 11 Prozent bzw. 16 Prozent erwarten, dass es der BOE oder der EZB gelingen wird, die Inflation bis 2023 einzudämmen, gegenüber 65 Prozent in den USA. Im Vereinigten Königreich könnte der so genannten "gequetschten Mitte” besonders harten Zeiten bevorstehen, wenn die 73 Prozent der Umfrageteilnehmer, die glauben, dass das Land im nächsten Jahr einen Immobiliencrash erleben wird, richtig liegen.
Alle Türen schliessen
Das Wohnungswesen ist ein starker Motor für Wohlstandseffekte, und fallende Immobilienpreise verhindern in der Regel ein Durchsickern auf den Rest der Wirtschaft. Das Ergebnis könnte eine Verschärfung der Ungleichheit sein, selbst wenn die Gruppe der mittleren Einkommen einen Rückgang der Vermögenspreise erlebt.
Letztendlich fühlt man sich durch Umfrage auch an Warren Buffetts Diktum erinnert: “Ich werde Ihnen sagen, wie Sie reich werden können. Schliessen Sie alle Türen. Seien Sie ängstlich, wenn andere gierig sind. Seien Sie gierig, wenn andere ängstlich sind.” Wer von der Outperformance der US-Wirtschaft und der Vermögensmärkte profitieren will, sollte dies nicht erst dann tun, wenn die Luft rein und der Weg offensichtlich ist. Der Zeitpunkt ist nämlich viel eher dann gekommen, wenn Falkenhaftigkeit und Angst überhandnehmen.
Dass momentan Pessimismus herrscht, zeigt sich am Verhalten mehrerer bullischer Befürworter, die ihre Kursziele für den S&P 500 inzwischen gesenkt haben: Brian Belski von BMO, John Stoltzfus von Oppenheimer und Marko Kolanovic von JPMorgan haben ihr Kursziel entweder reduziert oder ihr Prognosefenster bis 2023 verlängert.
(Bloomberg/cash)
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Aber der immer festere USD wird das Wachstum der Unternehmen bremsen