Inzwischen versucht die chinesische Regierung eine neue Strategie: sie übernimmt den Begriff selbst und deutet ihn um. Das war deutlich zu sehen beim Besuch von Premierminister Li Qiang in Deutschland. Bei einem Empfang mit Firmenchefs erkannte er das Ziel der Risikominimierung als legitim an — die diesbezüglichen Entscheidungen sollten allerdings von Wirtschaftsführern getroffen werden und nicht von Regierungen.
Li warnte auch davor, die zu minimierenden Risiken "zu überzeichnen" — und eröffnete damit eine Diskussion darüber, was genau eine ernsthafte Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellt.
Am Dienstag griff Li das Thema auf einem Symposium des World Economic Forum wieder auf, das als "Sommer-Davos" bekannt ist. "Wenn es in einer bestimmten Branche ein Risiko gibt, ist das nicht die Entscheidung einer bestimmten Organisation oder einer einzelnen Regierung", sagte er in einer Rede.
"Die Regierungen und die zuständigen Organisationen sollten sich nicht übernehmen", fügte Li hinzu. "Noch weniger sollten sie den Risikobegriff überstrapazieren oder ihn zu einem ideologischen Instrument machen."
Rhetorische Wende
Die rhetorische Wende ist der jüngste Versuch Chinas, sich gegen die Versuche zu wehren, der Volksrepublik den Zugang zur Spitzentechnologie zu verwehren. Der Versuch, einen Keil zwischen Unternehmen und Regierungen zu treiben, könnte dazu führen, dass die Massnahmen verwässert werden.
"Der Schlüssel liegt in dem, was China als unterschiedliche Risikobewertung von Unternehmen und Regierungen ansieht", erklärt Deborah Elms, Gründerin und Geschäftsführerin des Asian Trade Centre. Firmen beurteilten Risiken sehr eng, weshalb ihre Einschätzung in Peking als deutlich unproblematischer angesehen werde.
Die Europäische Union hat in diesem Monat ihre Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vorgestellt. Sie führt kritische Sektoren auf, die von Autokraten als Waffe eingesetzt werden könnten. Veranlasst wurde die Überprüfung zwar durch die übermässige Abhängigkeit Europas von russischer Energie. Die Auswirkungen auf China bringen die EU jedoch dem Ziel Washingtons näher, Peking aus sensiblen Sektoren zu verdrängen.
US-Präsident Joe Biden treibt dem Vernehmen nach eine Verordnung voran, die bestimmte US-Investitionen in China unterbinden könnte. Bereits im Oktober letzten Jahres hatten die USA weitreichenden Beschränkungen verhängt, die den Verkauf von Chip-Produktionsanlagen an chinesische Kunden einschränken.
Diese Exportkontrollen führten dazu, dass die drei grössten US-Hersteller fortschrittlicher Chipfertigungsmaschinen in diesem Jahr nach deren eigenen Schätzungen Umsatzeinbussen in Höhe von fast 5 Milliarden Dollar hinnehmen mussten.
"Wenn man den Unternehmen erlauben würde, das Ruder zu übernehmen, würde das bedeuten, dass die Lieferketten ohne grosse staatliche Eingriffe funktionieren würden", sagte Zhou Xiaoming, Forscher am Think Tank Center for China and Globalization.
Keine klare Definition
Weder die USA noch Europa haben eine klare Definition des Begriffs "Risiko" formuliert. Biden sagte auf dem G7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Japan, die US-Beschränkungen sollten für eine begrenzte Anzahl von Technologien gelten, die für die "nationale Sicherheit" entscheidend sind. Damit fasste er die Pläne sehr weit, bedenkt man den Umstand, wo im heutigen Alltagsleben überall Chips verbaut sind.
"Alle reden von De-Risking, wir denken jedoch, dass dieses Konzept nicht sehr gut verstanden wird", sagte Jens Eskelund, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking. "Organisationen wie wir und andere Akteure müssen noch viel Arbeit leisten, um zu definieren, was ‘De-Risking’ eigentlich bedeutet."
Auch in der europäischen Politik gehen die Meinungen zum Thema auseinander. Ungarns Aussenminister Peter Szijjarto sagte, eine Abkopplung von China wäre ein "brutaler Selbstmord".
Dass Peking im Vergleich zu einigen westlichen Politikern engere Beziehungen zu Wirtschaftsführern pflegt, zeigte sich Anfang dieses Monats, als Präsident Xi Jinping Microsoft-Gründer Bill Gates bei einem Treffen in Peking als "alten Freund" bezeichnete. Einige Tage später wurde US-Aussenminister Antony Blinken nur eine kurze Audienz bei dem chinesischen Staatsoberhaupt in der Hauptstadt gewährt. Xi und Biden haben seit November nicht mehr miteinander gesprochen.
(Bloomberg)