Während deutsche Unternehmen Geschäftsgeheimnisse gegenüber China offenlegen müssen, bleibt die Bundesregierung nach Angaben von mit der Angelegenheit vertrauten Personen weitgehend im Dunkeln. Chinesische Behörden verlangen detaillierte Angaben, bevor sie Exporte von Seltenen Erden genehmigen, die in zahlreichen modernen Produkten Verwendung finden. Berlin hingegen habe keinen vergleichbaren Einfluss auf die eigenen Unternehmen und keine unmittelbare Strategie, das Problem zu adressieren, heisst es.

Man sehe «die kontinuierliche Ausweitung der chinesischen Exportkontrollen mit grosser Sorge», teilte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums mit. Die Bundesregierung nutze «alle zur Verfügung stehenden Kanäle», um die Angelegenheit anzugehen.

Die sich abzeichnende Krise ist eine weitere Folge des eskalierenden Handelsstreits zwischen den USA und China. Washington hat über Jahre hinweg die Abhängigkeit Chinas von US-Produkten als Druckmittel genutzt. Nun verfolgt Peking eine ähnliche Strategie und destabilisiert damit grosse Volkswirtschaften — darunter Deutschland, dessen Industrie stark von chinesischen Lieferungen abhängig ist.

Für deutsche Firmen sind die Folgen des Nicht-Handelns erheblich – insbesondere, da wichtige Halbleiterlieferanten wie der niederländische Hersteller Nexperia, der sich in chinesischem Besitz befindet, in den Handelsstreit hineingezogen werden.

«Die gesammelten Informationen könnten die Dominanz chinesischer Firmen zementieren und Peking bessere Bedingungen für ihre Präsenz und Investitionen in Europa verschaffen», sagte Rebecca Arcesati, Lead Analyst beim auf China spezialisierten Thinktank Merics. «Aus Pekinger Sicht ist es ein enormer Vorteil, Einfluss darauf zu haben, wie industrielle Lieferketten aufgebaut werden.»

Unter den im April eingeführten und im Oktober verschärften Regeln müssen ausländische Unternehmen detaillierte, vertrauliche Daten einreichen, um eine sechsmonatige Importlizenz für Seltene Erden zu erhalten.

Die Anträge verlangen unter anderem Produktfotos, Angaben zur genauen Verwendung der Mineralien, Fertigungsdiagramme und Kundendaten. In manchen Fällen werden zudem die Produktionszahlen der vergangenen drei Jahre sowie Prognosen für die nächsten drei Jahre gefordert.

Deutschlands Schwachstellen leichter identifizierbar

Diese Informationen könnten Peking dabei helfen, Deutschlands Schwachstellen zu identifizieren, beispielsweise welche Firmen nur einen chinesischen Lieferanten haben oder über geringe Vorräte verfügen.

Deutsche Unternehmen geben solche Daten ungern preis, doch sie haben kaum eine Wahl: 95% der in Deutschland verwendeten Seltenen Erden stammen laut Merics aus China — mehr als in jedem anderen EU-Land. Das chinesische Handelsministerium argumentiert, die Regeln dienten der «besseren Verteidigung des Weltfriedens» und verweist auf die militärische Nutzung der Mineralien.

Um die Lizenzierung zu beschleunigen, übergab die deutsche Botschaft in Peking eine Prioritätenliste («Weisse Liste»). Diese half grossen Firmen, kleinere Unternehmen ohne Lobby blieben jedoch aussen vor.

Zugleich verschaffte sie China einen besseren Überblick über wirtschaftliche Engpässe in Deutschland.

Es besteht die Sorge, dass Peking nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern die gesamte europäische Lieferkette stören könnte — problematisch für die geplante massive Aufrüstung Europas angesichts russischer Drohgebärden.

«Durch all die Informationen, die sie derzeit sammeln, erhalten die chinesischen Behörden wahrscheinlich auch ein Bild der Verteidigungsindustrien in Nato-Ländern und davon, wie eng diese miteinander verflochten sind», sagte Arcesati von Merics.

Bereits jetzt führen Lizenzverzögerungen zu Produktionsstopps. Laut der Europäischen Handelskammer in China (EUCCC) zeigte eine Umfrage im September unter 22 Unternehmen, dass von 141 Exportanträgen nur 19 genehmigt wurden. Dies führte zu 46 Produktionsstopps im September und vermutlich bis zu zehn weiteren bis Dezember.

In Deutschland betrafen die Ausfälle bislang überwiegend kleine und mittelgrosse Unternehmen, die weitgehend unter dem Radar der Bundesregierung operieren, so Insider.

Grosse Firmen, darunter deutsche Autobauer und andere Industriegrössen, erhielten ihre Lizenzen ausreichend schnell, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig verzichteten sie jedoch weitgehend auf Notvorräte, hiess es weiter. Peking habe zudem signalisiert, dass Unternehmen, die über ihren Produktionsbedarf hinaus bestellen, des Schmuggels für militärische Zwecke oder in die USA verdächtigt würden.

Berlin reagiert

Berlin erkennt das Problem zunehmend, doch Regierung und Wirtschaft scheinen teilweise aneinander vorbeizusprechen. So verschickte das Wirtschaftsministerium Fragebögen an Unternehmen, um einerseits besser zu verstehen, welche Informationen China sammelt, und andererseits vergleichbare Daten von den Firmen zu erhalten. Laut Insidern sind diese jedoch unbeantwortet geblieben. Anschliessend wurden Unternehmensvertreter ins Ministerium eingeladen, um das Thema zu besprechen — auch dies habe nur wenig Informationen gebracht.

Bindende Verpflichtungen zur Weitergabe der Daten wären politisch heikel. Deutsche Unternehmen klagen, sie seien von Bürokratie erdrückt — während die Koalition unter Merz mit dem Versprechen angetreten war, die Bürokratie zu reduzieren.

Die Industrie fühlt sich indes ignoriert: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte Ministerin Katherina Reiche (CDU) im Sommer um ein Gespräch gebeten, erhielt jedoch keine Rückmeldung, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen.

«Das BMWE steht dazu in engem und regelmässigem Austausch mit den betroffenen Unternehmen und Verbänden, auch mit dem BDI, insbesondere bezüglich ihres Chinageschäfts», so das Wirtschaftsministerium.

Das hat beide Seiten in einer Sackgasse zurückgelassen. Die Unternehmen zögern, ihre Bezugsquellen ohne staatliche Unterstützung zu diversifizieren. Gleichzeitig betont die Politik, dass der private Sektor selbst für die Sicherung der Lieferketten verantwortlich ist.

Abhängigkeiten würden Deutschland erpressbar machen, sagte er im September. Für die Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Landes müsse es daher Priorität haben, die Rohstoff- und Handelslieferketten zu diversifizieren.

Lockere China-Politik Berlins auf dem Prüfstand

China betrachte seinen maximalistischen Ansatz offenbar als Mittel, Zugeständnisse zu erzwingen, sagten die Insider. Peking habe bereits signalisiert, einige Beschränkungen zurückzunehmen, wenn Deutschland im Gegenzug High-Tech-Exportbeschränkungen lockere.

Eine Priorität Berlins wird es sein, Peking davon zu überzeugen, Lizenzen mit einer Gültigkeit von mehr als sechs Monaten zu erteilen, um die Gesamteinschränkungen zu lockern. China diskutiert die Kontrollen zudem mit der EU, während die Kommission Gegenmassnahmen vorbereitet.

«Ziel bleibt ein De-Risking im Sinne der China-Strategie und die Diversifizierung unserer Lieferketten und Handelsbeziehungen», so das Wirtschaftsministerium. Ziel sei ein abgestimmtes europäisches Vorgehen.

Peking bevorzugt offenbar bilaterale Verhandlungen mit Merz gegenüber einer EU-weiten Diskussion, hiess es. Das setzt sein Team zusätzlich unter Druck. Die Berater des Kanzlers erklären, er werde die bislang lockere China-Politik Berlins nicht fortsetzen. Sein Handlungsspielraum ist jedoch begrenzt, da Veränderungen in den Lieferketten zusätzliche Kosten verursachen können.

«Es wäre besser, eine Art Vereinbarung oder gemeinsames Verständnis zu finden», sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel am Freitag. Sollte eine Gegenmassnahme jedoch das letzte Mittel sein, «dann müssten wir stark sein und eine mutige Entscheidung treffen», fügte er hinzu.

Einige Führungskräfte aus der Wirtschaft befürchten insgeheim, dass Berlin zu sehr mit innenpolitischen Turbulenzen und anderen Themen beschäftigt ist, um Fortschritte in der Lieferkette zu erzielen, bevor Arbeitsplätze verloren gehen. Gleichzeitig geben die Führungskräfte zu, dass es schwierig ist, die Vorteile aufzugeben, die sie aus China ziehen.

In Berliner Kreisen wird eingeräumt, dass Unternehmen Verlässlichkeit brauchen — allerdings gibt es Bedenken, dass sie sich den Bedingungen Pekings unterwerfen könnten. Dennoch sei es schwierig, China zu kritisieren, solange Deutschland keine glaubwürdigen Alternativen habe, fügte die Person hinzu, die anonym bleiben wollte, um offen sprechen zu können.

Doch die jüngsten Entwicklungen sollten niemanden in Berlin überraschen. «Das ist etwas, was Chinas Führung schon seit sehr langer Zeit sagt», sagte Arcesati von Merics. «Es ist sehr wichtig, dass europäische Politiker die erklärten strategischen Ziele der chinesischen Regierung für bare Münze nehmen.»

(Bloomberg)