In einem Hochsicherheitslabor in Shenzhen haben Wissenschaftler nach Recherchen von Reuters den Prototypen einer sogenannten EUV-Maschine gebaut, die hochmoderne Halbleiterchips herstellen kann – eine Technologie, deren Zugang die USA China seit Jahren verwehren. Insider sprechen von Chinas «Manhattan-Projekt», das Teil der von Staats- und Parteichef Xi Jinping vorangetriebenen Strategie zur technologischen Selbstversorgung ist.

Der Prototyp, der Anfang 2025 fertiggestellt wurde und derzeit getestet wird, füllt fast eine gesamte Fabrikhalle. Er wurde von ehemaligen Ingenieuren des Halbleiterkonzerns ASML gebaut, die die EUV-Maschinen des niederländischen Unternehmens nachkonstruiert haben, wie zwei mit dem Projekt vertraute Personen sagten. Die Anlage sei funktionsfähig und erzeuge bereits das für die Lithographie-Technik nötige extrem ultraviolette Licht, habe bislang aber noch keine funktionsfähigen Chips produziert.

EUV-Maschinen stehen im Zentrum eines technologischen Kalten Krieges zwischen China und dem Westen. Sie nutzen extreme ultraviolette Lichtstrahlen, um Schaltkreise zu ätzen, die tausendfach dünner als ein menschliches Haar sind. Bislang beherrscht nur ASML diese Technologie, eine Maschine kostet rund 250 Millionen Dollar und ist unerlässlich für die Herstellung der Chips von Konzernen wie Nvidia oder TSMC. ASML benötigte fast zwei Jahrzehnte und Milliardeninvestitionen, bis die Technologie marktreif war.

Noch im April hatte ASML-Chef Christophe Fouquet erklärt, China werde «viele, viele Jahre» brauchen, um aufzuschliessen. Die Existenz des Prototyps zeigt jedoch, dass China schneller vorankommt als erwartet – trotz grosser Hürden, etwa bei der Nachbildung hochpräziser optischer Systeme westlicher Zulieferer wie Zeiss. Den Insidern zufolge konnte China den Prototyp auch mithilfe von Bauteilen aus älteren ASML-Maschinen aufbauen, die über Zweitmärkte beschafft und zerlegt wurden. Ein Team von rund 100 Hochschulabsolventen arbeitet unter strenger Überwachung daran, Komponenten nachzubauen. Erfolgreiche Mitarbeiter erhalten Prämien. Ziel der Regierung sei es, ab 2028 funktionsfähige Chips herzustellen. Projektbeteiligte halten 2030 für realistischer – immer noch Jahre früher als von Analysten erwartet.

Das Projekt ist der vorläufige Höhepunkt einer seit rund sechs Jahren laufenden staatlichen Initiative zur Halbleiter- Selbstversorgung, einem Kernziel von Xi. Eine Schlüsselrolle spielt der chinesische Technologiekonzern Huawei, der ein landesweites Netzwerk aus Unternehmen und staatlichen Forschungseinrichtungen koordiniert. Tausende Ingenieure seien beteiligt, sagten mehrere Insider. Sie sprachen von Chinas Version des Manhattan-Projekts, des streng geheimen US-Programms zur Entwicklung der Atombombe während des Zweiten Weltkriegs.

Ziel der chinesischen Bemühungen sei es, moderne Chips vollständig auf in China entwickelten Maschinen zu produzieren. «China will die USA vollständig aus seinen Lieferketten verdrängen», sagte eine der Personen. Huawei, der chinesische Staatsrat, die Botschaft in Washington und das Industrie- und Technologieministerium Chinas äusserten sich auf Anfrage nicht.

Wissen gegen Geld und falsche Pässe

Für den technologischen Durchbruch wirbt China gezielt westliche Fachkräfte ab, darunter ehemalige ASML-Ingenieure wie Lin Nan, der frühere Leiter der Lichtquellentechnologie bei ASML. Sein Team meldete innerhalb von 18 Monaten acht Patente zu EUV-Lichtquellen an. Für Rekrutierungen bietet China hohe Prämien, Wohnungszuschüsse und sogar chinesische Pässe an, obwohl die Doppelstaatsbürgerschaft offiziell verboten ist. Einige Ingenieure arbeiten unter falschen Namen und gefälschten Ausweisen, um die Geheimhaltung zu wahren.

Die niederländischen Geheimdienste hatten im Frühjahr vor intensiven Spionage- und Abwerbeversuchen Chinas im Hightech-Sektor gewarnt. Wie schwierig die grenzüberschreitende Durchsetzung von geistigem Eigentum ist, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2019. Damals erwirkte ASML ein Urteil über 845 Millionen Dollar gegen einen ehemaligen chinesischen Ingenieur wegen Diebstahls von Geschäftsgeheimnissen. Der Beklagte meldete jedoch Konkurs an und ist Gerichtsakten zufolge mit Unterstützung der chinesischen Regierung weiterhin in Peking tätig.

Die US-Regierung hatte ab 2018 Druck auf die Niederlande ausgeübt, den Export von EUV-Maschinen nach China zu stoppen. 2022 verschärfte Washington die Exportkontrollen deutlich, um Chinas Zugang zu moderner Halbleitertechnik zu blockieren. Bis heute sei keine einzige EUV-Maschine nach China geliefert worden, erklärte ASML. Das US-Aussenministerium erklärte, die Regierung habe die Durchsetzung von Exportkontrollen verstärkt und arbeite mit Partnern daran, «Schlupflöcher zu schliessen».

Trotzdem schreitet das Projekt voran. Mitarbeiter in den beteiligten Teams schlafen Insidern zufolge häufig vor Ort und dürfen während der Arbeitswoche nicht nach Hause zurückkehren. Die Projektgruppen seien strikt voneinander abgeschottet, um Informationsabflüsse zu verhindern. «Die Teams wissen nicht, woran die anderen arbeiten», sagte eine mit dem Projekt vertraute Person. 

(Reuters)