Die Mitarbeiter der Credit Suisse wollten am Sonntagabend in einer kurzfristig angesetzten Telefonkonferenz einfach nur von ihren Chefs hören, wie es weitergeht, nachdem sie Tage und ein ganzes Wochenende in Chaos und Verwirrung verbracht hatten. Kurz zuvor war ihnen wie der gesamten Öffentlichkeit im Schweizer Fernsehen verkündet worden, dass ihre Bank für 3 Milliarden Franken an den grösseren Lokalrivalen UBS geht, in einem entscheidend von der Regierung in Bern eingefädelten Notfall-Deal.

Ihre wichtigste Frage an Bankchef Ulrich Körner: Haben wir noch einen Job?

Aber statt Klarheit lieferte die Telefonkonferenz noch mehr Chaos und Verwirrung. Aufgrund technischer Schwierigkeiten wurde die Telefonkonferenz nach nur 10 Minuten beendet, als viele noch versuchten, durchzukommen. Wer es geschafft hatte, hörte Körner erklären, dass die Vereinbarung “das Beste war, was wir unter den gegebenen Umständen erreichen konnten”.

Die misslungene Telefonkonferenz stand symbolisch für das, was Investoren und Notenbanker auf der ganzen Welt in der vergangenen Woche auf offener Bühne miterlebt hatten. Die Credit Suisse, seit Jahrzehnten ein Eckpfeiler der Schweizer Finanzindustrie und eine von 30 systemrelevanten Banken weltweit, hatte in den vergangenen Jahren beim Stolpern von einem Skandal in den nächsten immer stärkere Blessuren mitgenommen. Diese Krise - ausgelöst durch das Scheitern von US-Regionalbanken und offene Worte ihres grössten Aktionärs - würde sie nicht überleben.

Hinter den Kulissen war das Schicksal der Credit Suisse bereits am Donnerstag besiegelt, als die Bank bekannt gab, dass sie von der Schweizerischen Nationalbank eine Rettungsleine von 50 Milliarden Franken erhalten und 3 Milliarden Dollar Anleihen zurückkaufen würde. Tatsächlich sollte der Plan bloss der Bankenaufsicht Finma und der SNB Zeit verschaffen, den Verkauf zu arrangieren - und nicht der Credit Suisse, sich aus dem Schlamassel zu ziehen.

Am Ende blieb der Bank nichts anderes übrig, als eine Vernunftehe mit ihrem nächsten Nachbarn zu akzeptieren - für einen Bruchteil dessen, was das 166 Jahre alte Institut in seiner Blütezeit wert war. Körner und die übrige Geschäftsleitung der Credit Suisse standen nur noch am Spielfeldrand, als sich am Wochenende unter der Leitung von Nationalbankpräsident Thomas Jordan die Gespräche über den Verkauf der Gruppe an die UBS zuspitzten.

Schweizer Lösung für ein Schweizer Problem

Als am Sonntagmorgen das erste Angebot der UBS bekannt wurde, das den Wert des Lokalrivalen mit nur 1 Milliarde Franken taxierte, waren die Manager der Credit Suisse empört. Das Angebot wurde als geradezu lächerlich empfunden für eine Bank, die bei Börsenschluss am Freitag eine Marktkapitalisierung von 7,4 Milliarden Franken aufwies.

Die Saudi National Bank - der grösste Aktionär - forderte die Credit Suisse auf, das Angebot abzulehnen. In einem letzten Versuch, eine Alternativlösung zu finden, wandte sich die Credit Suisse an verschiedene Institutionen, darunter die Deutsche Bank. Aufgrund der Komplexität und des knappen Zeitrahmens fanden sich jedoch keine Abnehmer. Die Übernahme durch die UBS war die einzige Option. Ein letztes Hin und Her führte zu einem Preis von 0,76 Franken pro Aktie, 3 Milliarden Franken insgesamt. Am Höchststand im Jahr 2007, kurz vor der Finanzkrise, hatte der Börsenwert einmal bei 116 Milliarden Franken gestanden.

Es war die Schweizer Lösung für ein Schweizer Problem. Doch das globale Finanzsystem hielt am Wochenende den Atem an. Ein Scheitern hätte zu einer Ausweitung der Krise geführt, die Märkte ins Trudeln gebracht und einen Flächenbrand wahrscheinlich gemacht.

“Wenn wir als Land, in dem das Finanzwesen einen so grossen Teil des BIP ausmacht, nicht in der Lage sind, ein Signal zu senden wie ‘wir können dem ein Ende setzen’, dann können wir gleich dicht machen”, sagte ein Schweizer Offizieller. “Niemand in der Welt wird uns mehr glauben.”

Dieses Protokoll über die letzte Woche im Leben einer der grössten Banken der Welt basiert auf Gesprächen mit mehr als drei Dutzend Bankern, Beratern, Aktionären und Kunden der Credit Suisse.

Saudi National Bank als Brandbeschleuniger

Gerade sechs Tage vor der Verkündung des UBS-Deals hatte Körner Investoren auf einer Konferenz noch versichert, dass die Credit Suisse auf einem soliden Fundament stehe. In den Tagen davor war ihr Aktienkurs — wie der anderer Banken auch — im Zuge der Krise der US-Regionalbanken eingebrochen. Auch selbst hatte sie einmal mehr zur schlechten Stimmung beigetragen, da sie in ihrem Geschäftsbericht, dessen Veröffentlichung bereits wegen Nachfragen der US-Börsenaufsicht verschoben werden musste, Schwachstellen in ihren internen Kontrollen eingestanden und erklärt hatte, dass die Abflüsse von Kundengeldern noch im März angehalten hätten.

Bevor Körner jedoch beurteilen konnte, ob seine Worte gewirkt hatten, stürzte die Aktie am Mittwoch so stark ab wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Auslöser war ausgerechnet ihr grösster Aktionär, die Saudi National Bank. Ihr Verwaltungsratspräsident Ammar Al Khudairy erklärte, dass sein Institut “absolut nicht” beabsichtige, die Beteiligung an der Credit Suisse aufzustocken. Eine Bemerkung, die einschlug wie eine Bombe.

Die Saudi National Bank versuchte später zurückzurudern und erklärte, Al Khudairy habe lediglich die seit langem bekannte Position wiederholt, dass die Bank aus rechtlichen Gründen unter der Schwelle von 10 Prozent bleiben wolle. Doch es war zu spät, und der Schaden angerichtet.

In den zwei Stunden nach der Ausstrahlung von Al Khudairys Kommentaren auf Bloomberg TV fielen ausser den Aktien auch die liquidesten Anleihen der Credit Suisse um 9 bis 10 Cents pro Euro. Am Ende des Tages lagen viele der Wertpapiere bis zu 30 Cent im Minus — ein fast beispielloser Rückgang in der Welt der Investment-Grade-Anleihen. Das warf Bedenken auf hinsichtlich der Fähigkeit der Credit Suisse, Kredite aufzunehmen und einen Zahlungsausfall zu vermeiden.

In einem eilig eingerichteten Krisenzentrum im Hauptsitz der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz konnten die Manager nur zusehen, wie der Aktienkurs zeitweise um bis zu 31% fiel. Schlimmer noch war der Absturz der Anleihen auf das Niveau notleidender Schulden, der anfing Kunden, Investoren und Gegenparteien nervös zu machen. Kurz nach 13 Uhr entschied Finanzchef Dixit Joshi, dass es an der Zeit sei, dem Spuk ein Ende zu setzen, wie Insider berichten.

Einzige andere Option war die Verstaatlichung

Die Credit Suisse entschied sich für einen Rückkauf von Anleihen, so wie sie es im letzten Herbst getan hatte, als über 110 Milliarden Franken Kundengelder abflossen. Allerdings wollte sie dies nur in Verbindung mit einer Unterstützungserklärung der Aufsicht und der Nationalbank tun.

Ihr Wunsch schien in Erfüllung zu gehen. Die SNB - deren Sitz nur wenige hundert Meter entfernt ist - und die Finma erklärten öffentlich, die Credit Suisse sei gesund und könne die Nationalbank für das benötigte Geld anzapfen. Zugleich kamen die Institutionen jedoch zu dem Schluss, dass es an der Zeit war, eine dauerhafte Lösung zu finden, da die Angst vor einem Bank Run und einem grösseren Finanzchaos immer größer wurde. Sie baten die UBS darum, ein Übernahmeangebot zu unterbreiten.

Wie sich herausstellte, war das weniger eine Bitte als eine Aufforderung. Die einzige andere Option war die Verstaatlichung.

Donnerstagnacht um 1:45 Uhr meldete die Credit Suisse, von der Nationalbank einen Rettungsanker in Form von 50 Milliarden Franken Liquidität zu erhalten und diesen auch nutzen zu werden. Die Aktien stiegen zunächst um bis zu 40 Prozent. Al Khudary von der saudischen Bank trat wieder vor die Kameras und sagte zu CNBC, es sei “alles in Ordnung” bei der Bank.

Die Rettungsaktion der Zentralbank sorgte für eine Bodenbildung bei den Anleihen und bremste die rasanten Verkäufe. Die Geschäftsleitung ließ die Aktionäre und Aufsichtsbehörden wissen: Hier geht es nur um Vertrauen. Wir haben Liquidität. Wir haben Kapital. Was wir brauchen, ist etwas Ruhe.

Doch intern sagten viele bereits, dass die Bank nicht aus eigener Kraft weitermachen könne. Immer mehr Anrufe vermögender Kunden in Asien, Europa, der Schweiz und dem Nahen Osten gingen ein, die ihr Bargeld abzuziehen oder ihre Bestände verlagern wollten. Milliarden Dollar an Kundengeldern wurden an nur einem Tag abgezogen. Auch andere Institutionen überprüften ihre Engagements in der Bank und schichteten sie um.

Credit Default Swaps auf Niveau der Krise von 2008

Die Schlagzeilen beherrschte zwar der Absturz der Aktienkurse, aber die wirklichen Probleme der Credit Suisse spielten sich am Kreditmarkt ab. Kurzfristige Risikoprämien - etwa Credit Default Swaps mit einjähriger Laufzeit - stiegen auf ein Niveau, das seit der Krise von 2008 nicht mehr bei großen systemrelevanten Banken gesehen worden war. Der Spread für die einjährigen CDS stieg von einem an sich schon alarmierenden Spread von 799 Basispunkten zu Beginn des Mittwochs auf 3.701 Basispunkte.

Banken versuchten verzweifelt, ihr Risiko abzusichern. Die Panik verstärkte sich selbst in einem irrationalen Teufelskreis, sagten Marktteilnehmer. Die CDS-Prämien stiegen auf so hohe Werte, dass es nicht einmal mehr Sinn machte, das Ausfallrisiko abzusichern.

Andere erinnerte die Situation an die europäische Staatsschuldenkrise, die ebenfalls einige Banken in Mitleidenschaft gezogen hatte. Doch diese Episoden wurden durch fundamentale Probleme ausgelöst — bei der Credit Suisse ging es um die Frage der Glaubwürdigkeit — selbst bei impliziter Unterstützung durch die Nationalbank.

“In diesem Fall konnte eine Bank scheitern, obwohl es keinen großen Verlust in der Bilanz gab — das ist eine Art selbsterfüllende Prophezeiung”, sagte Jochen Felsenheimer, Portfoliomanager bei Xaia Investment. “Wenn jeder glaubt, dass sie scheitern wird, dann scheitert sie auch.”

SNB-Präsident Jordan schon am Mittwoch beim Verlassen des Finanzministeriums in Bern gesichtet

Jenseits der öffentlichen Unterstützungsbekundungen diskutierten Finanzministerium, Nationalbank und Finma von Mittwoch bis Donnerstag über Optionen, die Krise ein für alle Mal zu lösen. SNB-Präsident Jordan wurde am Mittwoch gegen 14:00 Uhr beim Verlassen des Ministeriums in Bern gesichtet. Geprüft wurden unter anderem eine Abspaltung der Schweizer Banksparte und ein Zusammenschluss mit der grösseren Konkurrentin UBS.

Mitarbeiter, geschockt von der Eskalation der Krise, sprachen von Verzweiflung. Aktivitäten in wichtigen Geschäftsbereichen kamen zum Stillstand, da Investmentbanker und Wealth Manager zögerten, mit den Kunden zu sprechen, weil sie keine Antworten auf die unvermeidliche Flut von Fragen hatten. Die Handelsabteilungen erhielten eine Flut von Anfragen von Fonds und Banken, die Gegenparteirisiken reduzieren wollten.

Diejenigen Banker, die noch den Hörer abhoben, berichteten, dass die Menge der Anfragen das Tagesgeschäft beeinträchtigte. Einer befürchtete, dass die aufgestauten Transaktionen gar nicht mehr ausgeführt werden könnten.

Ein Indiz für die anhaltenden Zweifel war, dass der einjährige CDS der Bank am Donnerstag mit 3.468 Basispunkten auf einem absurd hohen Niveau verharrte. Die Anleger schienen noch immer nicht von den Zusicherungen der Nationalbank überzeugt zu sein.

In New York leerten sich die CS-Handelssäle am Mittwoch

Während Körner die Losung ausgab, die Kommunikation mit Kunden und Stakeholdern aufrechtzuhalten, gab es intern zunehmend Unmut darüber, dass die Mitarbeiter im Dunkeln gelassen wurden. “Effektive Kommunikation ist der Schlüssel, um sicherzustellen, dass unsere Kunden und externen Stakeholder die Stärken der Bank, unsere Strategie und die beschleunigten Fortschritte, die wir bei der Schaffung der neuen Credit Suisse machen, verstehen”, hatte der Bankchef in einem Rundschreiben gepredigt.

Doch in London und im Nahen Osten mieden einige Manager das Büro, um unbequemen Fragen von Jungbankern auszuweichen, die sich um die Zukunft der Bank sorgten, berichten Insider. In New York leerten sich die Handelssäle am Mittwoch, und viele Banker gingen in die nahe gelegene Churchill Tavern, um ihre Sorgen zu ertränken.

Die Geschäftsleitung verschickte Gesprächsleitfäden und veranstaltete Betriebsversammlungen - es gab eine mit dem Leiter des Wealth Management für die Privatbankiers und eine weitere mit den Handelschefs -, um die Situation zu erklären und den Mitarbeitern Mut zu machen. Sie trugen jedoch wenig zur Verbesserung der Stimmung bei.

Die Gespräche mit der UBS waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Gange. Laut Finanzministerin Karin Keller-Sutter hatten sie schon am Mittwoch begonnen. Es sei immer geplant gewesen, am Sonntag ein “Paket” für die Credit Suisse vorzulegen, sagte sie nach Bekanntgabe des Deals.

Aufsichtsbehörden in aller Welt befürchteten, dass sich die Panik ausbreiten könnte. Keller-Sutter sprach im Laufe der Woche mit mehreren internationalen Gesprächspartnern, darunter US-Finanzministerin Janet Yellen. Die Finma und die Zentralbank wussten, dass am Wochenende eine Einigung erzielt werden musste.

So begannen 48 hektische Stunden, um einen Preis zu finden und viele heikle Fragen zu klären: Die Weigerung der UBS, die defizitäre Investmentbank der Credit Suisse zu übernehmen, Wettbewerbsfragen bei der Zusammenlegung der beiden grössten inländischen Banken, die Grösse und Struktur einer staatlichen Garantie und die Frage, ob die Zustimmung der Aktionäre umgangen werden sollte.

Unterdessen tut die Credit Suisse ihr Bestes, um den Eindruck zu erwecken, es gehe alles seinen gewohnten Gang. Die Bank bestätigte am Montag, dass sie diese Woche in Hongkong eine Investmentkonferenz unter dem Motto “Embracing reality” abhalten wird. Einer der geplanten Redner ist - der Überlebenskünstler Bear Grylls.

(Bloomberg)