Es ist Freitagmorgen, acht Uhr, und Manfred Knof steht im Konferenzraum im 47. Stockwerk des Commerzbank-Hochhauses. Wir sind per Video zugeschaltet. Er fragt uns, ob er es sich ein „bisschen gemütlich machen“ dürfe, und zieht dann sein Sakko aus. Harte Tage liegen hinter ihm. Am Donnerstag hatte er Journalisten und Investoren seine detaillierten Pläne für das Institut vorgestellt. Die Börse war – gemessen am Kurs – nicht begeistert.

WELT: Herr Knof, Ihr Umbauprogramm läuft bis 2024. Danach soll die Bank aufgeräumt sein. Wird sie dann verkauft?

Manfred Knof: Ich möchte die Eigenständigkeit dieser Bank sichern. Das ist meine Mission. Das haben die Mitarbeiter verdient, die keine einfache Zeit hinter sich haben. Das wünschen sich die Unternehmen, die einen zuverlässigen Partner an ihrer Seite brauchen und uns so sehr vertrauen. Deutschlands Wirtschaft braucht die Commerzbank. 

WELT: Sie haben zuvor das Privatkundengeschäft der Deutschen Bank geleitet. Es gibt Gerüchte, nach denen Sie in ein paar Jahren erneut einen Zusammenschluss mit der Deutschen Bank forcieren könnten.

Knof: Ich bin sehr dankbar und demütig, für so ein traditionsreiches Geldhaus wie die Commerzbank zu arbeiten. Ich freue mich sehr über meine neue Aufgabe und werde alles dafür tun, damit dieses Institut eigenständig bleibt. Die Mitarbeiter wollen wieder stolz sein, für diese Bank zu arbeiten.

WELT: Böse Zungen behaupten, Paul Achleitner, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, habe Sie zur Commerzbank geschickt, um das Institut für eine Fusion vorzubereiten.

Knof: Das sind sehr böse Zungen. Und das ist totaler Blödsinn.

WELT: Sie streichen Stellen und schliessen Filialen, gleichzeitig erwarten Sie für dieses Jahr fallende Erträge. Ein Zukunftsprogramm ist das nicht. Wie soll die Commerzbank so eigenständig überleben?

Knof: Mit dieser Strategie sichern wir die Zukunft dieser Bank. Das ist nur möglich, wenn sie nachhaltig profitabel ist. Im Privatkundengeschäft werden wir viel digitaler. Und im Firmenkundengeschäft konzentrieren wir uns vor allem auf den deutschen Mittelstand.

WELT: Die Börse sieht das anders. Nach der Vorstellung der Details Ihrer Strategie am Donnerstag brach der Aktienkurs deutlich ein.

Knof: Das stimmt so nicht. Als wir zum ersten Mal die Eckdaten unserer Strategie verkündeten, stieg die Aktie deutlich. Wir haben aber auch die Jahreszahlen für 2020 präsentiert, und die sind zum ersten Mal seit vielen Jahren negativ. Die Strategie steht jetzt. Nun müssen den Worten auch Taten folgen. Dafür stehe ich.

WELT: Andere Vorstandschefs, die neu in diese Rolle kommen, nehmen sich zunächst 100 Tage, bevor Sie eine neue Strategie verkünden. Sie ergriffen ohne Abwarten brutale Massnahmen. Steht es so schlecht um die Commerzbank?

Knof: Geschwindigkeit ist absolut notwendig – das zeigen die Zahlen. Wir haben im vergangenen Jahr fast drei Milliarden Euro Verlust gemacht. Auch die Mitarbeiter haben die Erwartung, dass wir schnell handeln. Alle wollen endlich Klarheit, wohin die Reise geht. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.

WELT: Das gilt sicher nicht für die Mitarbeiter, die ihren Job verlieren werden.

Knof: Alle wünschen sich Klarheit. Mitarbeitern, die uns verlassen, werden wir faire und sozialverträgliche Lösungen anbieten. Die Situation ist nicht einfach, ich spüre aber auch Aufbruchstimmung. Wir arbeiten nun mit Vollgas am Wandel der Bank.

WELT: Auch betriebsbedingte Kündigungen sind eine Option, damit der Stellenabbau schnell genug vorangeht?

Knof: Ich kann betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschliessen. Wir werden aber alles tun, um zu verhindern, dass es dazu kommt.

WELT: Sie schliessen fast jede zweite Filiale. Persönliche Beratung sollen nur noch vermögende Kunden bekommen. Das Massengeschäft soll fast ausschliesslich digitalabgewickelt werden. Wie viele Kunden werden Sie durch diese Ungleichbehandlung verlieren?

Knof: So wenige wie möglich, hoffe ich. Wir werden um jeden Kunden kämpfen. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass immer mehr Kunden ihre Bankgeschäfte lieber von zu Hause aus erledigen. Und wenn ein Kunde – ob vermögend oder nicht – ein persönliches Gespräch wünscht, dann stehen wir ihm weiterhin zur Verfügung. Aber dafür brauchen wir natürlich nicht so viele Filialen.

WELT: Was bietet denn jetzt noch eine Commerzbank, was eine normale Direktbank wie ING oder DKB nicht schon längst kann?

Knof: Wir bieten persönliche Beratung bei komplexen Anlageentscheidungen. Zudem bieten wir unseren Kunden im Gegensatz zu Direktbanken eine sehr umfangreiche und vielseitige Palette an Finanzprodukten. Bei uns können Sie jederzeit einen persönlichen Berater erreichen.

WELT: Auch bei Comdirect-Kunden, die als besonders preissensibel gelten, soll es künftig mehr Gebühren geben. Was planen Sie konkret?

Knof: Zu den Details kann ich mich noch nicht äussern. Fest steht aber: Es wird weiterhin ein kostenloses Girokonto geben – allerdings wird dies an Bedingungen geknüpft sein.

WELT: Viele Kunden werden Ihnen dann den Rücken kehren.

Knof: Das hoffe ich nicht. Nochmals: Wir kämpfen um jeden Kunden. Auch die Comdirect-Kunden werden sehen, dass sie von unserer neuen Strategie profitieren.

WELT: Im Firmenkundengeschäft wollen Sie sich von Kunden, mit denen Sie kein Geld verdienen, trennen, um Eigenkapital freizuschaufeln. Wie viele Beziehungen trifft das?

Knof: Wir wollen im deutschen Mittelstand und mit deutschen Kunden im Ausland wachsen. Allerdings werden wir 15 ausländische Standorte schliessen. Und uns dort von Kunden trennen, die keinen Bezug zu Deutschland haben oder nicht in einer unserer Zukunftsbranchen zu Hause sind.

WELT: Wir haben das mal rechnen lassen: Bei den genannten Daten kommen Experten auf rund zwei Millionen Kunden.

Knof: Das ist sehr spekulativ. Wir sind noch mitten im Prozess.

WELT: Ihr Mittelstandsgeschäft wäre besonders hart getroffen, wenn sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie weiter verschlechtern und massenweise Kredite ausfallen würden. Können Sie noch ruhig schlafen?

Knof: Machen Sie sich um meinen Schlaf mal keine Sorgen. Aber im Ernst: Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie gut die Zusammenarbeit zwischen Kreditwirtschaft und Staat funktioniert. Wir konnten den deutschen Mittelstand in der Corona-Pandemie mit Liquidität versorgen. Natürlich wird die Krise nicht spurlos an der deutschen Wirtschaft vorbeigehen. Wir haben aber ausreichend Vorsorge getroffen. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Konjunktur nach Ende der Krise wieder positiv entwickeln wird.

WELT: Wie lange werden wir noch im Krisenmodus verharren?

Knof: Ich habe keine Glaskugel. Aber ich vertraue darauf, dass sich die Situation entspannen wird, sobald es draussen warm wird. Allerdings müssen wir dafür auch weiter diszipliniert sein und die Kontaktbeschränkungen sowie die Hygiene- und Abstandsregeln einhalten.

WELT: Die Grossaktionäre waren mit der vorherigen Führung der Bank sehr unzufrieden. Wie eng sind Sie mit Ihrem grössten Aktionär, dem Bund, in Kontakt?

Knof: In der vergangenen Woche habe ich viel mit den Mitarbeitern gesprochen. Kommende Woche gehe ich dann mein Programm für die Bank mit den Investoren durch. Seien Sie versichert, wir behandeln alle Investoren gleich.

WELT: Zuletzt hiess es, dass der Staat sich durchaus bei Ihnen einmischt. Die von ihm beauftragte Unternehmensberatung Boston Consulting (BCG) ist noch immer bei Ihnen engagiert.

Knof: BCG war für den Aufsichtsrat tätig, insofern müssten Sie sich dazu an den Aufsichtsrat wenden.

WELT: Wie kam es in Berlin an, dass die Commerzbank mit Steuerzahlergeld gerettet wurde, nun aber jeder dritte Arbeitsplatz wegfällt?

Knof: Ich kann nicht für die Bundesregierung sprechen, aber die öffentlichen Äusserungen des Bundesfinanzministers interpretiere ich als Unterstützung für unsere Strategie. Sie ist schmerzhaft, aber leider notwendig.

WELT: Gleichzeitig stellen Sie hohe Dividenden in Aussicht. Waren Finanzminister Olaf Scholz und Jörg Kukies vielleicht sogar die Väter dieser Idee? Geld braucht der Staat ja.

Knof: Diese Strategie hat der Vorstand unter meiner Führung entwickelt. Niemand anderes.

WELT: Zahlen Sie eigentlich in dieser Lage Boni?

Knof: Nein, der Aufsichtsrat hat festgelegt, dass der Vorstand für das abgelaufene Geschäftsjahr keine Boni erhält. Das finde ich in dieser Situation angemessen.

WELT: Was ist mit den übrigen Führungskräften?

Knof: Das hängt von der Performance des jeweiligen Bereichs ab, aber in Summe haben wir zusätzlich die variable Vergütung um mehr als 50 Prozent auf unter 100 Millionen Euro im Gesamtkonzern reduziert.

WELT: Sie waren vor Ihrem Wechsel zur Commerzbank bei der Deutschen Bank. Dort hat Christian Sewing das Institut durch eisernes Sparen wieder stabilisiert. Ist die Deutsche Bank für Sie ein Vorbild?

Knof: Ich spreche hier nur über die Commerzbank. Klar ist: Bei der Commerzbank müssen die Kosten drastisch sinken. Das reicht aber nicht. Es geht auch um eine Fokussierung des Geschäfts: Es soll deutlich digitaler und profitabler werden.

Dieses Interview erschien zuerst in der "Welt am Sonntag" unter dem Titel: "Unsere Strategie ist schmerzhaft, aber leider notwendig"