Es braucht einen langen Atem, die genaue Zahl an Krisen aufzulisten, welche die Credit Suisse im letzten Jahrzehnt durchlebt hat. Die Skandale um die Greensill-Pleite oder den insolventen Vermögensverwalter Archegos sind nur ein kleiner Auszug von schmerzhaften Hiobsbotschaften, deren Ende nicht kommen wollte. Wiederholte Quartalsverluste, ein steigender Reputationsschaden, Chefwechsel, schmerzliche Kaderabgänge und ein nicht enden wollender Aktienabsturz sind die Konsequenz.

Auch wenn sich die Aktien der Credit Suisse vom Allzeittief Ende September wieder erholt haben, bleibt die Lage angespannt. Die Nummer zwei unter den Schweizer Banken will die Ergebnisse ihrer Strategie-Überprüfung diesen Donnerstag gemeinsam mit den Drittquartalszahlen publizieren. Die Analysten erwarten einen Verlust zwischen knapp 300 und über 800 Millionen Franken. Im Fokus steht aber vielmehr, wie die neue Strategie aussieht und was diese Kosten wird - und vor allem: Wie der Markt reagieren wird.

Und das könnte turbulent werden. Der Short-Interest ist gemäss Daten von Bloomberg mit einer Aktienleihe von 19 Prozent des Free Floats nach wie vor sehr hoch. Und auch die Kreditausfallversicherungen - sogenannte Credit Default Swaps (CDS) - handeln immer noch in Flughöhen, wie sie zuletzt im Rahmen der Finanzkrise zu sehen waren.  Diese spiegeln die Ausfallwahrscheinlichkeit von Emissionen am Anleihenmarkt wieder.

Grafik: Bloomberg

Auch für Vontobel-Bankenanalyst Andreas Venditti sind wegen den vielen Leerverkäufe bei der Credit Suisse grosse Kursbewegungen sehr wahrscheinlich: "Wenn keine Kapitalerhöhung kommen sollte, müssen sich die Leerverkäufer eindecken, um das Risiko zu reduzieren. Das ist der grösste Kurstrigger am Donnerstag." Das heisst: Leerverkäufer müssten Aktien der Credit Suisse kaufen, was zu grossen Kurssteigerungen führen könnte. "Falls jedoch keine überzeugende Strategie präsentiert wird, dürfte der Markt enttäuscht sein", sagt Venditti. Die Aktie könnte mit erheblichen Abschlägen reagieren.

Credit Suisse als negative Meme-Aktie

Wie vergiftet die Marktstimmung um die Grossbank inzwischen ist, wurde Anfang des Monats deutlich. Damals trendete #creditsuisse plötzlich auf Twitter - was für ein Unternehmen höchst unüblich ist. Gerüchte um die fehlende Solvenz der Bank schickten die Aktie binnen Stunden kurzfristig um 12 Prozent nach unten. Nach oben zeigte gleichzeitig einzig der Preis für CDS. Institutionelle Anleger begannen, ihr Gegenparteirisiko bei der CS auszurechnen. Bankkunden machten sich Sorgen um ihre Einlagen.

Beim abrupten Intraday-Absturz von Anfang Oktober haben auch über Online-Foren vernetzte Kleinanleger offenbar mit ihren Wetten gegen die Aktie eine wichtige Rolle gespielt. Die Aktie wurde sozusagen zur negativen Meme-Aktie degradiert. "Credit Suisse is fxxxed", tönte es auf dem Reddit-Kanal "Wallstreetbets". Dieser gilt seit den Episoden rund um die Gamestop-Aktie von Anfang 2021 als berüchtigter Hort für Schwarmspekulationen.

"Dass die Credit Suisse zu einer negativen Meme-Aktie geworden ist, verwundert mich nicht, da hier Hedgefonds als Leerverkäufer im Spiel sind. Diese haben ein Interesse jegliche Spekulation in die Welt zu setzen und über solche Kanäle Stimmung zu machen", sagt Venditti auf Anfrage von cash.ch.

«Der Käufer ist an einem längeren Hebel»

Kommt die Credit Suisse an einer Kapitalerhöhung vorbei, muss die Frage nach dem Grund gestellt werden. "Schlecht wäre es, wenn die Credit Suisse lediglich eine geringfügige Restrukturierung umsetzen würde", so Venditti. Man hätte aus den Fehlern der Vergangenheit in diesem Szenario nichts gelernt. Gut wäre hingegen, wenn die Grossbank eine deutliche Restrukturierung, finanziert durch Verkäufe gewisser Bereiche zu hohen Preisen, vollziehen könne.

Es läuft vermutlich aber auf eine Kapitalerhöhung hinaus. Diverse Bankanalysten kommen auf einen Restrukturierungs-Kapitalbedarf, der in den beiden kommenden Jahren zwischen 4 Milliarden und 9 Milliarden Franken betragen könnte. Die "SonntagsZeitung" zitierte in einem Bericht vom Wochenende eine anonyme Quelle "mit Zugang zu den Beratungen", die mit einer Kapitalerhöhung im Umfang von 2 Milliarden Franken rechnete.

Venditti prognostiziert nach wie vor eine Kapitalerhöhung im Rahmen von 4 Milliarden Franken für die Credit Suisse. Er erwartet, dass das durch die Restrukturierung verursachte Kapitalloch nicht allein durch Verkäufe gedeckt werden kann. Venditti glaubt, dass es durchaus Interessenten für gewisse Bereiche gebe. Doch etwas anderes sei entscheidend: "Jeder Käufer weiss, dass die Credit Suisse unbedingt eine Kapitalerhöhung vermeiden will, da diese extrem verwässernd wäre. Ich erwarte nicht, dass supergute Preise geboten werden, sondern die Angebote eher tief ausfallen. Der Käufer ist an einem längeren Hebel."

«Die UBS und die Credit Suisse trennen Welten»

Bei der Diskussion geht fast unter, dass durch die Bereichs-Verkäufe in Zukunft ja nicht nur Verluste, sondern auch Erträge wegfallen. Gerade für die "Securitized Products"-Sparte, wo eine Lösung angekündigt wurde, sprach die Credit Suisse unlängst selbst von einem hoch profitablen Geschäft mit guten Eigenkapitalrenditen. 

Für Venditti ist es daher nicht erstaunlich, dass die CDS für die Credit Suisse immer noch hoch sind. Diese reflektieren die grosse Unsicherheit über das Kommende. Man weiss nur, dass die Grossbank im Moment eher Kapital verbrennt, als Gewinne erzeugt: "Die Liste von Rechtsfällen, die nicht gelöst sind, ist immer noch lang. Diese könnten über die nächsten Jahre kumuliert zu Belastungen in Milliardenhöhe führen. Zudem erwarte ich auch im vierten Quartal einen Verlust."

Es ist auch kein Zufall, dass die CDS der UBS in der gegenwärtigen Marktkrise viel weniger gestiegen sind. Die UBS hat neun Quartale hintereinander adjustierte Vorsteuergewinne von mehr als 2 Milliarden Franken generiert. "Die UBS und die Credit Suisse trennen Welten", so Venditti. CS-Chef Ulrich Körner kommt künftig nicht darum herum, wiederholt Volltreffer erzielen zu müssen. Sonst drohen Enttäuschungen, eine Fortsetzung der Krise und ein noch tieferer Aktienkurs. 

ManuelBoeck
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