Im Alter von drei Jahren floh Dadvan Yousuf (21) mit seiner Familie aus dem Irak in die Schweiz. Mit elf Jahren handelte er das erste Mal mit Kryptowährungen. Heute ist er erfolgreicher Kryptohändler sowie seit 2021 Gründer und Präsident des Stiftungsrates der Dohrnii Stiftung. Mit dieser will Yousuf die Krypto-Welt für jedermann zugänglich machen.
cash.ch: Herr Yousuf, wir müssen über die Kryptowährung 'SQUID' sprechen.
Dadvan Yousuf: Ein Totalverlust für die Anleger.
Es geht um einen an die Erfolgsserie 'Squid Game' angelehnten Token, der innert Tagen 60'000 Prozent nach oben schoss, sich anschliessend als Betrug herausstellte und Privatanleger mit einem Totalverlust zurückliess. Wie kann sowas passieren?
Das kann man mit einem Satz beantworten: Der Kryptomarkt ist aktuell nicht weltweit reguliert. Wir haben es hier mit einem typischen Krypto-Scam zu tun, der leider nicht selten vorkommt. Der Erfolg dieser Betrugs-Währung beruht auf zwei Faktoren. Erstens zieht schon allein das Kürzel 'SQUID' viele Privatanleger an. Jeder assoziiert damit sofort die Erfolgsserie 'Squid Game'. Der zweite wichtige Punkt ist gutes Marketing.
Klingt eigentlich gar nicht so schwer.
Wissen Sie, eine Kryptowährung ins Leben zu rufen, ist an sich nicht schwierig. So etwas lässt sich in fünf bis zehn Minuten erledigen. Schwieriger ist es, eine Vision zu vermitteln und ein Ökosystem aufzubauen. Die Macher von 'SQUID' hatten allerdings den Vorteil, dass das Marketing schon grösstenteils durch die Serie erledigt wurde. Sie waren einfach die Ersten, die das Kürzel genutzt haben. Nachdem sie noch etwas eigenes Marketing in das Projekt gesteckt und viele Leute dazu bewegt hatten, einzusteigen, haben sie später einfach den 'Exit' gemacht.
Wie oft kommt so etwas vor?
So was passiert leider ziemlich oft. Während der Corona-Krise hatten wir zum Beispiel den Toilet-Paper-Token TOILET oder den Pokémon-Go-Coin PokéCoins. Scam-Kryptowährungen basieren meist auf gehypten Themen, weil hier das bereits laufende Marketing relativ einfach mitgenommen werden kann. Man kanalisiert es vielleicht noch ein bisschen. So etwas ist derzeit noch sehr einfach umzusetzen, weil niemand den Leuten auf die Finger schaut.
Sie fordern also mehr Regulierung.
Definitiv. Aktuell ist die Kryptowelt noch sehr undurchsichtig. Mehr Regulierung würde bedeuten, dass der Krypto-Space für normale Privatanleger transparenter würde. Natürlich gibt es jetzt schon gewisse Regeln. Bei meiner Krypto-Stiftung in Zug schaut uns die zuständige Aufsicht auf die Finger, das ist gut so. Doch wer auf Malta oder Zypern eine Kryptowährung emittiert, hat quasi freie Hand.
Am Markt tauchen immer mehr sogenannte Satire-Coins auf. Sind Dogecoin oder Shiba Inu auch einfach nur Unsinn oder steckt da ein sinnvoller Anwendungsfall dahinter?
Nein, das ist zu 100 Prozent einfach nur Quatsch, um es mal klar auszudrücken. Wer diese Hypes frühzeitig erkannt hat und früh eingestiegen ist, konnte natürlich viel Geld damit verdienen. Doch das ist alles nur Momentum. Mal sind es DeFi-Coins, mal sind es NFT-Coins, mal sind es einfach nur Shitcoins, die im Kurs explodieren. Ich bin mir sicher, bald werden Metaverse-Projekte der nächste Hype sein. Doch schaut man hinter die Kulissen dieser Coins, erkennt man, dass sich da oft rein gar nichts befindet.
Ein Coin ist ja auch immer nur so stark wie seine Community dahinter. Bei Doge und Shiba Inu scheint es diese ja zu geben. Was treibt die Leute an?
Pauschal ist das schwierig zu beantworten. Bei 'SQUID' war es schlicht und einfach die Serie. Die Leute assoziierten den Coin sofort mit der Serie und dachten, hier gäbe es sicher was zu holen. Dogecoin war der allererste 'Meme-Coin', das hielten Viele einfach für eine lustige Idee. Bei Shiba Inu war es die reine Phantasie, dass es bei Doge ja schon einmal funktioniert hatte. Das alles sind Communities, wo ein Grossteil der Leute nur auf schnelles Geld aus ist, fertig.
Sprechen wir über die etablierten Kryptowährungen. Ether erreichte jüngst ein neues Allzeithoch. Ethereum gilt als führend unter den sogenannten 'Smart-Contract'-Netzwerken. Diese kann man sich – stark vereinfacht – als dezentrale App Stores vorstellen. Wird Ethereum diese Position langfristig halten können?
Als Plattform für dezentrale Applikation wird Ethereum und seine Kryptowährung Ether die Marktkapitalisierung von Bitcoin kurzfristig definitiv übertreffen. Das ganze Krypto-Ökosystem baut sich langsam auf Ethereum auf. Aber langfristig wird sich Ether nicht an der Spitze halten können. Weder auf Platz Eins, noch auf Platz Zwei, nicht einmal auf Platz drei oder vier. Davon bin ich absolut überzeugt.
Warum?
Ethereum wird von effizienteren Projekten abgehängt werden. Das grösste Problem von Ethereum ist, dass es ineffizient und teuer ist. Zwar ist es eine gute Plattform für dezentrale Applikation, aber die Ausführung der Smart Contracts sind auf Ethereum viel zu kostspielig.
Dieses und andere Probleme will Ethereum mit dem Update '2.0' beheben.
Ethereum wird zwar auf den Proof-of-Stake-Konsens-Mechanismus wechseln...
...bei diesem ist die Schaffung von neuen Blöcken für die Blockchain um einiges effizienter und günstiger als bei dem Proof-of-Work-Ansatz.
… was es aber auch nicht besser macht. Ausserdem zentralisiert es das gesamte Projekt enorm. Das Netzwerk bleibt noch immer viel zu ineffizient im Vergleich zu anderen Netzwerken. Für normale User ist es auf Ethereum gar nicht möglich, mehrere Smart Contracts nacheinander auszulösen, einfach weil es viel zu teuer ist. Andere Projekte wie Solana, Cardano, Velas oder Polygon werden in Zukunft Ethereum sehr wahrscheinlich überholen. Man muss Ethereum aber eines zugute halten.
Und zwar?
Projekte wie Cardano versprechen seit Jahren, Smart Contracts schneller und günstiger auszuführen. Sie haben es aber faktisch bis heute nicht auf die Reihe bekommen. Solana verspricht stets, dass auf dem Netzwerk unendlich viele Transaktionen pro Sekunde möglich seien. Was ist passiert? Kürzlich ging Solana offline, weil zu viele Nutzer aktiv waren. Bei Ethereum hat man einen kompletten Shutdown noch nicht gesehen. Im Gegensatz zu anderen reden die weniger, sondern machen einfach.
Trotzdem sehen Sie die 'Ether-Jäger' langfristig vorn. Wer hat dabei die besten Chancen?
Als grössten Anwärter darauf, Ethereum langfristig abzulösen, sehe ich Solana mit seinem Proof-of-History-Ansatz. Dabei handelt es sich um eine Proof-of-Stake-Technologie der dritten Generation. Proof-of-History soll die Zeit, bis eine Transaktion bestätigt ist, erheblich reduzieren. Dadurch kann das Blockchain-System aktuell rund 50'000 Transaktionen pro Sekunde durchführen. Auf lange Sicht sollen es mehrere 100'000 sein.
Und wie soll das funktionieren?
Einfach ausgedrückt werden bei diesem Mechanismus nicht alle Transaktionen einzeln validiert, sondern können kompakt zusammen validiert werden. Es muss nicht jede Transaktion sofort genehmigt werden, sondern kann auch nachträglich zusammen mit anderen gebündelt validiert werden. Das ist noch effizienter als Proof-of-Stake.
Ist das der Grund, warum Solana zuletzt so stark gestiegen ist?
Nun, fundamental ist das schon mit den Vorzügen des Proof-of-History-Ansatzes begründbar. Doch man muss wissen: Solch extrem starken Preisanstiege kommen selten aus dem Nichts, sondern sind teilweise künstlich von grossen Exchanges veranlasst.
Wie meinen Sie das?
Manchmal kommt es vor, dass ein Konglomerat an Kryptowährungsbörsen der Meinung ist, dass ein Projekt zwar fundamental stark, aber noch völlig unterbewertet ist. In solchen Fällen beschliessen die Börsen, sich mit der Kryptowährung einzudecken und Market-Maker-Teams bereitzustellen, um eine riesen Liquidität bereitzustellen.
Das klingt nach astreiner Manipulation.
Einfach ausgedrückt geht es um Folgendes: Leute tun sich mit ihren fünf besten Freunden zusammen, und pushen jeweils mit 100 Millionen Dollar eine Kryptowährung, die nur 50 Millionen Dollar Marktkapitalisierung hat. Vorab deckt man sich mit der Kryptowährung gross ein. Sie haben dann zwar noch eine Lockup-Periode von ein oder zwei Jahren, wo sie nicht verkaufen dürfen, in diesem Zeitraum promoten sie aber die Währung extrem stark.
Können Sie Beispiele nennen?
Sowas passiert mit Solana, mit Fantom und vielen anderen Coins. Fantom kannte vor zwei Jahren noch kein Mensch, heute hat der Coin eine Marktkapitalisierung von 7 Milliarden Dollar. Was bei Aktien Insidergeschäfte sind, wofür man ins Gefängnis kommt, sind bei Kryptowährungen Pump and Dump-Spiele, die möglich sind, weil die Regulierung fehlt. Zudem sehe ich mit dem aufkommenden IDO-Trend eine neue Gefahr für Privatanleger.
IDO steht für Initial Decentralized Exchange Offering. Dabei wird ein neuer Token auf einer dezentralen Tauschbörse emittiert...
Und hier gebe ich noch ein Beispiel: Jemand möchte für einen IDO, also einen neuen Coin, 30'000 Dollar sammeln. Dabei tut er sich vielleicht mit zwei Freunden zusammen, mit denen er schliesslich 95 Prozent der neuen Token aufkauft. Die restlichen 5 Prozent werden öffentlich verkauft. Nachdem das Hard Cap erreicht wurde, die Token also quasi komplett verkauft sind, wird der Coin auf einer dezentralen Tauschbörse gelistet. Was passiert jetzt? Die drei Freunde nehmen jeweils einen weitaus höheren Betrag in die Hand, und pumpen diesen in den eigenen Coin.
Mit dem Resultat, dass der Kurs explodiert.
Genau. Doch durch diese Manipulation haben die drei Freunde noch kein Geld verdient. Weil der Coin nun aber in jeder Top-Performer-Liste erscheint, erlangt er Aufmerksamkeit und die Leute bekommen FOMO. Das heisst, sie haben Angst etwas zu verpassen, und kaufen ihn weiter hoch. Wenn die drei Freunde jetzt noch ein gutes Storytelling bieten können, entwickelt das Ganze eine Eigendynamik. Am Schluss verkaufen sie ihre 95 Prozent, was dazu führt, dass am Ende ausser ihnen kaum einer Geld verdient hat. Das wird in Zukunft leider noch öfters passieren.
Es herrscht also viel Pump and Dump am Kryptomarkt. Auf was gilt es bei Token allgemein zu achten?
Die Technologie ist das Wichtigste. Zudem muss ein guter Coin für mich nicht bedeuten, dass er Profit erzielen muss. Ein technologisch sehr gut aufgebauter Coin ist zum Beispiel Aeternity. Der hat aber eine geringe Marktkapitalisierung. Man kann sagen: Ein guter Coin hat eine gute Technologie, ein profitabler Coin hat gutes Marketing und ein sehr guter Coin hat eine gute Technologie und gutes Marketing.