Der EZB-Rat um Notenbankchefin Christine Lagarde beschloss am Donnerstag, den am Finanzmarkt massgeblichen Einlagensatz, der Leitzins im Euroraum, um einen Viertelpunkt auf 2,00 Prozent nach unten zu setzen. Diesen erhalten Geldhäuser, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken. Seit die Währungshüter Mitte 2024 auf einen Lockerungskurs umgeschwenkt waren, ist dies bereits die achte Zinssenkung.

Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:

Daniel Hartmann, Chefökonom Bantleon: 

«Die Abwärtskorrektur zur Inflationsprognose der Headline-Inflationsrate liegt mit je drei Zehnteln (2,0 Prozent statt 2,3 Prozent bzw. 1,6 Prozent statt 1,9 Prozent) in den Jahren 2025/2026 am oberen Rand der Erwartungen. Dafür hat die EZB aber das Niveau für 2027 konstant bei 2,0 Prozent gehalten. Ausserdem wurde die Prognose für die Kernrate nahezu unverändert gelassen (nur der Wert für 2026 wurde leicht von 2,0 Prozent auf 1,9 Prozent abgesenkt). Schliesslich haben die Währungshüter trotz höherer Risiken auch die BIP-Prognosen beibehalten (0,9 Prozent, 1,2 Prozent, 1,3 Prozent). Hier geben sich die Notenbanker in meinen Augen vergleichsweise entspannt. Man spricht davon, dass die Wirtschaft widerstandfähiger gegenüber globalen Schocks geworden ist. Ein verstärkten Hinweis gibt es auch bei den Löhnen, deren Wachstum sich zuletzt klar (»visibly«) verlangsamt hätte. Insgesamt ein ausgewogenes Statement mit abwechselnd taubenhaften und falkenhaften Nuancen.»

Stefan Gerlach, Chefökonom EFG International: 

«Das grösste Risiko geht von der abrupten Kehrtwende in der US-Handelspolitik aus. Die jüngsten Zollankündigungen lösten Marktturbulenzen aus – der Dollar gab nach, die Energiepreise fielen und die Anleger begannen, eine globale Konjunkturabkühlung einzupreisen. Dies hat die Inflation im Euroraum gedämpft, bedroht nun aber das Wachstum und spricht für eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Dennoch sollte das Risiko eines starken Abschwungs nicht überbewertet werden. Die Trump-Regierung hat bereits einige Zollmassnahmen verschoben und Ausnahmen gewährt. Viele sehen die Zölle als Verhandlungstaktik, die nach Abschluss neuer Vereinbarungen wahrscheinlich wieder zurückgenommen wird. Die EZB könnte im Herbst erneut die Zinsen senken, dürfte aber kaum noch weiter gehen.»

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank: 

«Sollte die Kerninflationsrate vorerst im Bereich der 2-Prozent-Marke verharren und die EZB die geldpolitischen Zügel weiter locker, würde der reale Leitzins in den negativen Bereich fallen. Damit wären die europäischen Währungshüter aber bereits wieder in einem sehr expansiven Zone. Wäre dies in Anbetracht des noch immer hohen Anstiegs von Dienstleistungspreise gerechtfertigt? Vermutlich nicht. Gerade deshalb könnte die EZB zunächst eine Pause im Zinssenkungszyklus einlegen und derweil die Inflationsentwicklung zunächst verfolgen. Auch die EZB stösst in dieses Horn. Die meisten Messgrössen der zugrunde liegenden Inflation würden darauf hin deuten, dass sich die Inflation nachhaltig im Bereich des mittelfristigen Zielwerts des EZB-Rats von 2 Prozent einpendeln werde. Eine Inflationsrate von 2 Prozent spricht gegen weitere deutliche Zinssenkungen.»

Lena Dräger, Kiel Institut für Weltwirtschaft:

«Die Zinssenkung stellt eine Fortsetzung des geldpolitischen Kurses der EZB von einer restriktiven zu einer neutralen Geldpolitik dar. Angesichts der weiter verhaltenen Wachstumsdynamik in der Eurozone und einer Inflationsrate, die zuletzt wieder moderat gefallen ist, ist ein solcher Schritt gut begründbar. Bei anhaltend hoher wirtschaftlicher Unsicherheit erhält sich die EZB bei einem Zinsniveau von zwei Prozent zudem die Option, den Zins in beide Richtungen anpassen zu können. 

Grosse Unsicherheit besteht derzeit in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone. Einerseits hat sich die europäische Wirtschaft im ersten Quartal 2025 robuster gezeigt als erwartet, und insbesondere die angekündigten deutschen Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung wecken Hoffnungen auf zukünftige Nachfragesteigerungen und damit eine wirtschaftliche Erholung. Andererseits stagniert die Wirtschaft aktuell weiter, und gerade die exportorientierten Sektoren leiden unter dem anhaltenden Zollchaos in den USA. Die kommenden Monate werden deutlicher zeigen, ob sich die Wirtschaft in der Eurozone in eine eher positive oder eher negative Richtung entwickelt. Mit der aktuellen Zinsentscheidung behält die EZB die Instrumente, mit einer Zinsanpassung entsprechend reagieren zu können.»

Jörg Assmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft:

«Die heutige Entscheidung der Europäischen Zentralbank, die Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte zu senken, ist angesichts der schwachen wirtschaftlichen Erwartungen angemessen. In einem von hoher Unsicherheit geprägten Umfeld sendet die EZB mit diesem Schritt ein wichtiges Stabilitätssignal an die Märkte. Die jüngsten Inflationsdaten zeigen eine Stabilisierung der Preisdynamik nahe am Zielwert der EZB. Mit einem Zinssatz von 2,0 Prozent ist die EZB am unteren Ende des neutralen Zinsniveaus angekommen. Zusätzlich könnte der Zollkonflikt deflationär in Europa wirken, gleichzeitig den Euro aber wieder schwächen. Basierend auf der aktuellen Datenlage erwarte ich keine weiteren Zinssenkungen bis zum Herbst. Die kommenden Monate bleiben aber von hoher geopolitischer Unsicherheit geprägt und werden weiter eine flexible und datenabhängige Geldpolitik erfordern.»

David Zahn, Head of European Fixed Income bei Franklin Templeton:

«Die EZB hat die Zinsen um 25 Basispunkte auf 2,00 Prozent gesenkt, da die Inflation auf 1,9 Prozent zurückgegangen ist und damit erstmals seit über einem Jahr unter dem Zielwert liegt. Der nachlassende Preisdruck und das schwächere Wachstum haben diese Entscheidung unterstützt, doch bleibt die geldpolitische Haltung weiterhin vorsichtig. Eine Pause über den Sommer ist sehr wahrscheinlich, da die EZB die Handelsrisiken und die Widerstandsfähigkeit der Binnenwirtschaft bewertet. Längerfristig werden die Haushaltskonsolidierung und externe Belastungen die geldpolitischen Aussichten in Richtung einer neutraleren Haltung lenken.»

Mark Wall, Chefökonom Deutsche Bank:

«Die EZB senkte den Leitzins erwartungsgemäss um weitere 25 Basispunkte auf 2,00 Prozent. Die neuen Prognosen der EZB-Mitarbeiter zeigen eine deutliche Herabstufung der Gesamtinflationsprognose für 2026, jedoch nicht für die Kerninflation. Die Gesamtinflation wird 2027 wieder das Zielniveau erreichen. Der Optimismus der EZB, ein anhaltendes Unterschreiten des Ziels zu vermeiden, beruht auf dem Glauben an die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft, die durch Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben sowie günstige Finanzierungsbedingungen unterstützt wird. Diese EZB-Erklärung signalisiert nicht unbedingt das Ende des Lockerungszyklus der EZB. Der Handelskrieg ist von Natur aus unvorhersehbar. Das Unterschreiten der Inflation könnte sich verschärfen und anhalten.»

(Reuters/cash)