Für einmal lag die Mehrzahl der Ökonomen daneben mit Ihrer Prognose. Je nach Umfrage lag der Konsens der Erwartung bei 80 und mehr Prozent, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Leitzinsen erhöhen wird. Allerdings kann es dann auch anders kommen, da Veränderungen in der Einschätzung eintreten und es dann nicht mehr offensichtlich ist, in welche Richtung die Zinsentscheidung geht. cash.ch hat in der Vorschau hier darüber berichtet, welche Faktoren in diesem Fall zu einem Umstimmen bei der SNB führen könnten. Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, lag in diesem Falle mit seiner Einschätzung goldrichtig. Untenstehenden die Analysen der Ökonomen: 

Karsten Junius, Chefökonom Bank J. Safra Sarasin

«Sehr gute Entscheidung der SNB. Wie von uns erwartet, hält sie die Leitzinsen konstant, da die Inflationsgefahren klar zurückgegangen sind und die Wirtschaft sich schon abgeschwächt hat. Gleichzeitig hält sie die Spannung aufrecht, in dem sie eine Neigung zu höheren Zinsen signalisiert. Damit verhindert sie, dass als nächstes Leitzinssenkungen diskutiert und eingepreist werden. Im Finanzmarktjargon wäre das eine 'hawkish pause' statt einem 'dovish hike', zu dem sich die EZB entschieden hatte. Es ist auch gut, dass die SNB wie schon bei der ersten Zinserhöhung in diesem Zyklus unabhängig von der EZB agiert und allein gemäss den wirtschaftlichen Notwendigkeiten in der Schweiz entscheidet. Sie kann sich das auch leisten, da der Franken bereits sehr stark ist. Durch die Zinspause belastet sie die Wirtschaft nicht unnötig, was für die Schweizer Finanzmärkte positiv sein sollte.»

Philipp Burckhardt, Fixed Income Strategist und Portfolio Manager bei Lombard Odier IM

«Die SNB entschied sich heute gegen eine Straffung der Geldpolitik und scheint in diesem Zyklus am oberen Ende angekommen zu sein, auch wenn sie die Möglichkeit weiterer Schritte nicht ausschliesst. Sie trägt damit vor allem der Inflation Rechnung, die in den letzten Monaten deutlich abgeschwächt hat. Die neue Inflationsprognose wurde vor allem am längeren Ende leicht, aber gleichwohl bedeutend nach unten angepasst und liegt nun wieder innerhalb des Ziels der Preisstabilität. Auch die verhaltene Wachstumsprognose hat die SNB wohl in ihrem Entscheid bekräftigt. Damit signalisiert sie, dass im Dezember keine Zinserhöhung mehr folgen dürfte. Da es mehrere Monate dauert bis sich die aktuelle Geldpolitik vollumfänglich in der Wirtschaft entfaltet, kann die SNB nun ihren Fokus auf die Währung legen und weiter allmählich die Bilanz abbauen.»

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank

«Der SNB-Entscheid hinterlässt gewisse Fragezeichen, denn die Inflationsrisiken sind in der Schweiz noch nicht gebannt. Mit den zu erwartenden Miet- und Strompreiserhöhungen gibt es nach wie vor potenzielle Gefahren für die Teuerung. Es sollte auch bedacht werden, dass es zum 1. Januar 2024 höhere Mehrwertsteuersätze geben wird. Dies wird sich in den Teuerungsraten bemerkbar machen. Die SNB hätte aus unserer Sicht besser daran getan, hier Vorsorge zu betreiben und die Geldpolitik entsprechend deutlich auf restriktiv zu schalten. Und ganz grundsätzlich wäre ein Leitzins von 2 Prozent auch nicht übermässig hoch gewesen. Vermutlich hat bei der Entscheidung, den Leitzins konstant zu lassen, einmal mehr die Währung eine entscheidende Rolle gespielt. Gegenüber dem Euro war der Schweizer Franken mit Niveaus von etwas über 0.95 relativ stark. Die feste Währungsentwicklung wirkt dämpfend auf die Inflationsentwicklung. Klar ist aber auch, dass sich das wirtschaftliche Umfeld eintrübt. Dies dürfte ebenfalls ein Grund für das Stillhalten gewesen sein.»

Santosh Brivio, Senior Economist Migros Bank

«Angesichts der offiziellen Inflationsrate vermag der SNB-Marschhalt nicht gänzlich zu überraschen. Wie wir jedoch schon seit geraumer Zeit darauf hingewiesen haben, rückt zunehmend auch die gefühlte Teuerung in den Fokus. Höhere Krankenkassenprämien, höhere Preise an den Zapfsäulen, erneut steigende Strompreise oder kletternde Mieten – für viele Konsumentinnen und Konsumenten fühlt sich das gegenwärtige Umfeld überhaupt nicht wie eine preisliche Entspannungsphase an. Dass die SNB vor diesem Hintergrund nun stillhält, erachten wir daher auch als eine Anerkennung der geldpolitischen Grenzen. Denn die erwähnten Ursachen des Inflationsdrucks liegen oftmals ausserhalb des Einflussbereichs der Nationalbank-Politik. Kommt hinzu, dass mit jeder Zinsstraffung das zunehmende Risiko einhergeht, das Wirtschaftswachstum erheblich zu belasten. Wir erwarten zwar weiterhin keine Rezession für die Schweiz, rechnen aber vorerst mit einem kräftigen konjunkturellen Gegenwind. Diesem sollte die Schweiz aber insgesamt standhalten können. Gerade auch weil die Zinsschraube nicht mehr weiter angezogen wurde, erwarten wir für nächstes Jahr weiterhin keine Leitzinssenkung.»

Arthur Jurus, Head of Investment Office Private Wealth Management bei ODDO BHF Schweiz

«Die Schweizerische Nationalbank gab bekannt, dass sie ihren Leitzins bei 1,75 Prozent belassen würde. Diese Entscheidung wurde von der Hälfte der Anleger erwartet. Die Inflation, die derzeit bei 1,6 Prozent auf Jahresbasis liegt, bleibt jedoch anfällig für den aktuellen Anstieg der Energiepreise, die Mietpreisüberprüfungen im 3. und 4. Quartal 2023 und die weiterhin hohe Inflation im Ausland (25 Prozent der konsumierten Waren und Dienstleistungen). Die heutige Entscheidung bestätigt, dass die Politik der SNB nicht von der Politik der EZB abhängt, die ihren Zinssatz letzte Woche erhöht hat. Die Anleger rechnen immer noch mit einem Höchststand der SNB-Zinsen von 2 Prozent bis zum Jahresende. In ihrer Mitteilung erinnert die SNB daran, dass sie weitere Zinserhöhungen nicht ausschliesst. Wir rechnen mit einer Erhöhung im Dezember 2023 um 25 Basispunkte. Ausserdem erwartet die SNB eine stabile Inflation, die jedoch in diesem Jahr und 2024 durchschnittlich 2,2 Prozent betragen wird. Die Risiken für die Schweizer Wirtschaft bleiben bestehen, obwohl sie im Vergleich zu anderen entwickelten Volkswirtschaften sehr widerstandsfähig ist. Das grösste Risiko ist der Anstieg der Mietpreise, der in den nächsten sechs Monaten für eine zusätzliche Inflation von 0,3 bis 0,6 Prozentpunkten sorgen könnte.»

 

Thomas Daniel Marti
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