Nach der Rally der vergangenen drei Jahre dürften es Börsenanleger 2026 nach der Ansicht von Experten etwas ruhiger angehen lassen. Der deutsche Leitindex Dax eilte seit 2023 jedes Jahr um rund 20 Prozent nach oben und liegt mittlerweile über 24.000 Punkten. «Irgendwann sind dann auch mal Aktien gut bezahlt», meint Stratege Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets. Zudem nehmen Anleger viele Sorgen mit ins neue Jahr - etwa jene rund um die US-Zinsen, den Ukraine-Krieg und eine mögliche Blase bei Technologieaktien. «Die Unsicherheit bleibt uns 2026 erhalten. Also, wenn es eine Konstante gibt, dann diese», resümiert Christian Lips, Chefvolkswirt der Nord/LB. Von Reuters befragte Finanzexperten erwarten daher in einem Normalfall-Szenario, dass der Dax 2026 um maximal rund fünf Prozent steigt.

Die Entwicklung an den europäischen Aktienmärkten dürfte insgesamt stabil bleiben. Vor allem die Dominanz hoch bewerteter Schwergewichte im US-Index S&P 500 «veranlasst viele Anleger, verstärkt über die USA hinaus zu blicken», sagte Jason Paltrowitz, stellvertretender Geschäftsführer der US-Handelsplattform OTC Markets. Dabei spiele Europa - insbesondere Deutschland und Frankreich - auf der globalen Bühne eine zunehmend wichtigere Rolle. Grund dafür seien die breitere Neugewichtung der Weltwirtschaft und die höheren europäischen Verteidigungsausgaben. Diese dürften den Rüstungssektor auch dann langfristig stützen, wenn es zu einem Friedensabkommen im Ukraine-Krieg kommen sollte.

Finanz- und Gesundheitssektor mit Nachholpotenzial

Auch andere Sektoren zeigen laut Experten Aufholpotenzial. Zu den am häufigsten genannten gehören der Gesundheits- und der Finanzsektor. «Banken sparen extrem Kosten, wenn sie von der KI Investmentfonds-Prospekte erstellen lassen», sagt Lutz Welge von der Privatbank Julius Bär. Auch die Gesundheitsbranche profitiert dem Experten zufolge stark von der Künstlichen Intelligenz (KI) - etwa in der Medikamentenentwicklung und Diagnostik sowie beim Patientenmanagement. Solche Anwendungsbereiche böten europäischen Firmen die Chance, an den KI-Boom anzuknüpfen, ohne selbst KI-Spezialchips oder -Software entwickeln zu müssen.

«Die Frage ist auch: Haben die am stärksten gebeutelten Sektoren den Boden erreicht?», sagt ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Vor diesem Hintergrund könne es durchaus sein, dass im Chemie- und Automobilsektor wieder etwas Aufschwung einsetze - vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Aufwärtspotenzial sehen Experten auch bei Bauspezialisten wie Hochtief und Heidelberg Materials, sollte 2026 der Krieg in der Ukraine enden und die EU Wiederaufbauprogramme auflegen. RoboMarkets-Stratege Molnar führt das Ausmass vor Augen: «Dort sind Millionenstädte zerstört worden.» Zugleich verweist er darauf, dass die Aktien der Unternehmen 2025 angesichts des deutschen Konjunkturpakets bereits deutlich angezogen haben. Dies begrenze den Spielraum für weitere Kursgewinne.

US-Zwischenwahlen und Powell-Nachfolge im Blick

Im Fokus der Anleger stehen zudem nach wie vor die USA. Der von US-Präsident Donald Trump gestartete Handelskrieg sei zwar «mehr oder weniger vorbei», sagt Luca Paolini, Chefstratege beim Vermögensverwalter Pictet. Allerdings rücke mit den Zwischenwahlen im November eine neue Sorge für die weltgrösste Volkswirtschaft in den Vordergrund. Aktuelle Umfragen deuteten darauf hin, dass die Republikaner ihre Mehrheit im Kongress verlieren könnten. «Das heisst, Trump hat im Endeffekt keine Chance, die MAGA-Agenda umzusetzen. Und das ist nicht irrelevant, denn wir reden von Regulierung und potenziellen Steueränderungen», kommentiert Paolini.

Im Fokus steht zudem der künftige geldpolitische Kurs der US-Notenbank Fed. Die Amtszeit des scheidenden Fed-Chefs Powell endet im Mai. Trump hat angekündigt, Anfang 2026 einen Nachfolger zu nominieren. Als aussichtsreicher Kandidat gilt der Trump-Berater Kevin Hassett, der als Vertreter einer deutlich lockereren Zinspolitik wahrgenommen wird. Dies hat Sorgen über die Unabhängigkeit der US-Notenbank geschürt. Viele Marktbeobachter gehen jedoch davon aus, dass der neue Fed-Chef - in den Worten des ING-Ökonomen Brzeski - «ein ganz normaler geldpolitischer Experte sein wird». Angesichts der Entwicklung bei den Konjunktur- und Inflationsdaten sprechen die meisten Marktbeobachter von maximal ein bis zwei Zinssenkungen im kommenden Jahr. Mit Blick auf Trumps Versuche, die Fed zu beeinflussen, konstatiert Pictet-Experte Paolini: «Alle Präsidenten machen Druck auf die Federal Reserve, die Zinsen zu senken.» Der frühere Präsident Bill Clinton habe das Gleiche gemacht - «nur nicht im Fernsehen.» 

(Reuters)