Nach einem fulminanten ersten Halbjahr erwarten Experten für die kommenden Monate kein weiteres Kursfeuerwerk beim Dax. «Man darf nicht vergessen: Der Dax war vor zweieinhalb Jahren bei 12'000 Punkten», sagt Jürgen Molnar, Stratege beim Broker RoboMarkets. Inzwischen liegt er doppelt so hoch, im Verlauf des Donnerstaghandels rückt er zwischenzeitlich auf ein neues Rekordhoch von 24'639 Zähler vor. Seit Jahresbeginn bedeutet das ein Plus von über 20 Prozent. Zu Aktienkäufen in den ersten Monaten 2025 ermutigte die Anleger vor allem das milliardenschwere Finanzpaket der Bundesregierung.

An anderen europäischen Aktienmärkten und an der Wall Street legten die wichtigsten Indizes in diesem Jahr um rund 4,5 bis 8,5 Prozent zu. «Für uns spielen die zusätzlichen Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur eine grössere Rolle als die wahrscheinlichen Schäden durch US-Präsident Donald Trump und seine Handelskriege», resümiert Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank.

Die Auswirkungen von Trumps erratischer Zollpolitik bleiben dennoch im Fokus der Börsianer dies- und jenseits des Atlantiks. Zwar dürfte die Verunsicherung rund um die US-Zölle im zweiten Halbjahr abnehmen, sagt Christian Curac von der Privatbank Fürst Fugger. «Die bevorstehende Frist für eine Einigung über Gegenzölle zwingt Washington und Brüssel, zeitnah Klarheit zu schaffen. Das verspricht Planungssicherheit.» Dennoch blicken Anleger mit Spannung auf die Auswirkungen der erhöhten Abgaben auf die Inflation. Ein starker Anstieg der Teuerungsrate in den USA ist bislang zwar ausgeblieben, doch laut den meisten Experten handelt es sich dabei nur um eine Verzögerung.

US-Geldpolitik als grösster Unsicherheitsfaktor

Dies würde die Wahrscheinlichkeit weiterer Zinssenkungen der US-Notenbank Fed verringern. Die Währungshüter versuchen, mit straffer Geldpolitik die Teuerungsrate auf den Zielwert von zwei Prozent zu drücken. Dabei achten sie auf die Preisentwicklung eines festen Warenkorbs, der auf die persönlichen Ausgaben der Konsumenten bezogen ist. Der darauf basierende PCE-Index legte im Mai zum Vorjahresmonat um 2,3 Prozent zu. Die Fed erwartet, dass die Rate bis zum Jahresende auf 3,0 Prozent steigt.

Viele Experten gehen dennoch davon aus, dass die Fed bis Ende 2025 die Zinsen ein- bis zweimal senkt. An den Terminmärkten werden sogar bis zu drei Schritte nach unten eingepreist. Berenberg-Ökonom Schmieding zeigt sich skeptisch: Problematisch sei nicht nur die Aussicht auf einen verzögerten Anstieg der Inflation, sondern auch Trumps Druck auf Fed-Chef Jerome Powell, die Zinsen so schnell wie möglich zu senken. Das sei kontraproduktiv. «Möchte man dann wirklich unter den Kollegen, unter den anderen unabhängigen Zentralbanken, derjenige sein, von dem alle sagen, der hat sich aber politisch weichklopfen lassen?»

Jens Klatt, Analyst beim Broker XTB, mahnte in diesem Zusammenhang zur Vorsicht. «Sollte sich die Fed hier weiter zurückhalten, könnte Trump eine weitere Eskalation, welcher Natur auch immer, auf den Weg bringen, und Unsicherheit schüren - mit dem Ziel, eine Flucht in sichere Häfen wie US-Schuldtitel zu initiieren, die dann den Zins drücken würde.»

Moderate Kursgewinne voraus

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die damit verbundenen Aussichten für die europäische Wirtschaft bereiten den Marktbeobachtern hingegen weniger Sorgen. Laut den EZB-Prognosen dürfte die Inflation im Euroraum ab dem dritten Quartal für 18 Monate unter dem Zielwert von zwei Prozent bleiben. Seit Mitte 2024 haben die Eurowächter die Zinsen achtmal gesenkt, während es bei der Fed in dieser Zeit drei Schritte nach unten gegeben hat. Auch gegenüber der Geopolitik zeigen sich Experten gelassen. «Es sieht bisher nicht so aus, als würde sich in der Ukraine etwas dramatisch ändern», sagte Schmieding. «Was Wirtschaft und Markt wirklich hätte stören können, wäre eine Sperrung der für die Öl- und Gaslieferungen wichtigen Strasse von Hormus im Zuge des Konflikts in Nahost - aber auch unter dem grösstmöglichen Druck, den man sich vorstellen kann, hat der Iran das nicht gemacht.»

Die meisten der von Reuters befragten Experten rechnen daher im zweiten Halbjahr mit einem Dax zwischen 24'000 und 25'000 Punkten. Die Kursgewinne bei den Aktien aus dem Rüstungs-, Bau- und Technologiesektor dürften sich dabei fortsetzen. «Europa hat einen starken Anreiz, in die Verringerung der Risiken von Lieferketten und Exportrouten ausserhalb der USA zu investieren, vom Wiederaufbau einer unabhängigen Militärindustrie bis hin zum Aufbau neuer Rohstoff- und digitaler Infrastrukturen», erläutert Raphael Gallardo, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Carmignac. 

(Reuters)