Zwischen Fitnessstudio und «Cafe Roma» am unteren Ende der schicken Maximilianstrasse in München weist noch nichts auf den neuen Mieter hin. Nur in der Tiefgarage verraten die Plaketten mit den silbernen Buchstaben «GS» schon, wer hier im März einzieht: Goldman Sachs ist die erste der grossen Investmentbanken, die eine Präsenz in der bayerischen Landeshauptstadt eröffnet. Sie wird aber nicht die einzige bleiben. Morgan Stanley will im Sommer kommen, kleinere Häuser wie Perella Weinberg sind längst da. Die Dichte an Dax-Konzernen und Tech-Start-ups, grosse Versicherer und Finanzinvestoren - aber auch die nahen Berge sind Gründe, warum Investmentbanker in Deutschland plötzlich nicht mehr nur rund um den Frankfurter Opernplatz zu finden sind, sondern auch 400 Kilometer weiter südlich.

«Wir werden in München mit einem Team von rund 30 Bankern vertreten sein, die zum Teil aus Frankfurt dorthin wechseln, zum Teil aber auch aus London», sagt Wolfgang Fink, der bei Goldman Sachs das Geschäft in Deutschland und Österreich verantwortet, aber auch die kontinentaleuropäische Einheit leitet. «Die Stadt wird immer internationaler.» Tammo Bünnemeyer soll das Münchner Büro für Morgan Stanley aufbauen, er ist auf Technologiefirmen spezialisiert. «Hier sitzen - gemessen am Börsenwert - rund ein Drittel des Dax und mehr als zehn 'Unicorns'», also Start-ups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar, erklärt er seinen bevorstehenden Wechsel von Hessen nach Bayern. Hier winkt Geschäft mit Fusionen und Übernahmen, aber auch mit Börsengängen.

Siemens, Allianz und BMW sind Schwergewichte im Dax, EQT und General Atlantic zählen zu den grössten Tech-Investoren. Doch in München haben sich auch aufstrebende deutsche Softwarefirmen und viele Europa-Töchter von US-Internetkonzernen aus der Branche angesiedelt. «Und wir wollen da sein, wo unsere Klienten sind», sagt Fink. Gerade in der Technologie-Branche sind Goldman Sachs und Morgan Stanley neben J.P. Morgan die meistgesuchten Berater. Deshalb ziehen bei Goldman neben dem Team von Partner Tobias Köster, der sich um Finanzinvestoren kümmert, auch die Technologie-, Telekom- und Medien-Banker (TMT) um Macario Prieto nach München, die für die Branche in ganz Europa zuständig sind.

München profitiert vom Brexit

«Langfristig betrachtet ist diese Regionalisierung auch ein Ergebnis des Brexit, nach dem mehr Geschäft aus regulatorischen Gründen auf den Kontinent gewandert ist», erläutert Fink. «Der europäische Kontinent hat durch den Brexit insgesamt an Bedeutung gewonnen», sagt auch Bünnemeyer. Frankfurt und Paris, aber auch Amsterdam rangelten lange um die Rolle als grösster Nutzniesser. Dass davon München profitiert, ist bemerkenswert.

Die US-Investment-Boutique Perella Weinberg war ein, wenn nicht der Vorreiter des Trecks nach München. Kurz vor der Corona-Pandemie hatte sie 2020 im Ausgeh-Viertel Schwabing ihr Büro eröffnet - das einzige in Deutschland. Bis dahin hatten die Banker Europa von London aus bearbeitet, dann kam Paris hinzu. «In London und Paris gibt es eine hohe Konzentration von Unternehmen und Entscheidungsträgern – in Deutschland ist das stärker verteilt, hier ist man ständig unterwegs», sagt Dietrich Becker, Europa- Chef und Partner von Perella, im Gespräch mit Reuters. «Deshalb haben wir uns gefragt: An welchem Standort ist die höchste Konzentration von Kunden?» Die Antwort sei eindeutig gewesen: München.

«Hier arbeiten - und wohnen - viele Entscheidungsträger. Und es ist eine Stadt, wo man gut leben kann», sagt Becker. «München ist ein Super-Standort.» Mit Stefan Jentzsch und Johann von Wersebe sitzen zwei der Partner, also der höchstrangigen Banker, von Perella in München. Der ehemalige Deutsche-Bank-Finanzvorstand Marcus Schenck ist vor zwei Jahren von Perella Weinberg zum Rivalen Lazard gewechselt, ist aber in München geblieben. Auch die US-Investmentbanking-Boutique PJT Partners, die unter anderem die Software AG beim Verkauf an einen Finanzinvestor beraten hat, will Insidern zufolge bald nach München kommen.

Dass München Frankfurt bald als deutsche Bankenhauptstadt ablöst, ist aber nicht zu erwarten. Morgan Stanley beschäftigt am Main rund 600 Banker, in München dürfte es anfangs eine kleinere zweistellige Zahl sein. Bei Goldman Sachs ist das Grössenverhältnis ähnlich. Und der Freizeitwert der Stadt mit den Bergen und Seen spielt eher für gesetztere Banker eine Rolle. «Aus dem europäischen Ausland betrachtet, ist München sicher attraktiv», sagt Fink, selbst im nahen Österreich daheim. «Aber wenn man seine Karriere beginnt, fühlen sich viele Kolleginnen und Kollegen in Frankfurt schneller zuhause.» 

(Reuters)