Milliardeninvestoren gehen mehrheitlich davon aus, dass der Anstieg der Inflationsraten seinen Höhepunkt erreicht hat und dass die US-Notenbank Federal Reserve ihren Ton ändern werde - sprich, ihre Politik der Zinsstraffung lockern dürfte. 71 Prozent von Teilnehmern einer Umfrage von Bloomberg News erwarten steigende Kurse bei Aktien mit Renditen von im Schnitt 10 Prozent. Das wäre allerdings weniger als in den Markt-Erholungen 2009 und 2019. 

19 Prozent der Umfrageteilnehmer gehen von sinkenden Aktienkursen aus. Die eher informell gehaltene Umfrage von Bloomberg umfasst die Voraussagen von Unternehmen wie Blackrock, Goldman Sachs Asset Management oder Amundi. Sie spiegelt also die Meinungen der grössten Vermögensverwalter und Fonds des Planeten bezüglich der Inflationsentwicklung, den Auswirkungen des Ukraine-Krieges oder der Geldpolitik der wichtigsten Notenbanken. 

Sorgen wegen Inflation und Wachstumsschwäche

“Wir sehen vielleicht einer Rezession und sinkenden Gewinnen entgegen, doch das haben wir zum Teil schon 2022 eingepreist”, sagte Pia Haak, Anlagechefin von Schwedens grösstem Fondhaus Swedbank Robur. “Wir werden eine höhere Visibilität haben, wenn wir ins neue Jahr übergehen, und dies wird den Märkten hoffentlich helfen.” 

Trotz einer überwiegend positiven Erwartung bei den Aktien herrscht weiterhin grosse Unsicherheit. 48 Prozent der Antwortenden fürchten, eine hartnäckig hohe Inflation könnte den Aktienmarkt in den Abwärtstrend schicken. 45 Prozent sehen in einer schweren Rezession eine Gefahr für die Kursentwicklung. Die Kursgewinne dürften sich, wenn, eher in der zweiten Hälfte 2023 einstellen. Anfang 2023 seien neue Tiefstände durchaus nicht unwahrscheinlich. 

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Der MSCI All-Country World Index ist auf dem Weg zu seinem schlechtesten Jahr seit der Finanzkrise von 2008. Der weltweit beachtete US-Index S&P 500 wird das Jahr mit einer ähnlich schwachen Performance abschliessen. 

Europas Energiekrise und Anzeichen eines langsameren Wachstums sorgen am Aktienmarkt für weitere Besorgnis. Dies belastet die Unternehmensgewinne. Eine gewisse Entspannung kommt aus China, wo das Regime Teile seiner strengen Corona-Eindämmungsmassnahmen lockert. 

«Das genaue Gegenteil von 2022»

Anlagestratege Hideyuki Ishiguro von Nomura Asset Management erwartet indessen, dass 2023 “das genaue Gegenteil” von 2023 werde. Er begründet seine Prognose mit den tief gesunkenen Bewertungen. Der MSCI All-Country World Index handelt nahe einem 12-Monate-Kurs-Gewinn-Verhältnis, das dem langjährigen Durchschnitt entspricht. 

Bei der Frage nach unterschiedlichen Wirtschaftszweigen allerdings orientieren sich die Antworten an dem, was schon dieses Jahr immer wieder gesagt worden ist: In der Gunst des Marktes stehen Unternehmen, die ihre Gewinne und Margen auch in einem wirtschaftlich schwachen Quartal verteidigen können. Dividendenzahler und Versicherungen, Gesundheitsaktien und solche mit geringer Schwankungsanfälligkeit gehören zu den Top Picks der Multimilliarden-Fonds. Einige bevorzugen auch Banken sowie Schwellenländer, darunter Indien, Indonesien und Vietnam.

Allerdings erwarten - oder erhoffen - die grossen Vermögensverwalter auch einen Rebound bei den breitkapitalisierten Tech-Aktien. Der Ausblick für diesen Bereich des Aktienmarktes hat sich jüngst verbessert. Etwa die Hälfte der Teilnehmer in der Bloomberg-Umfrage gab an, selektiv bei Tech-Titeln wieder zu kaufen. Tiefe Bewertungen und die Erwartung von sinkenden Anleihenrenditen im nächsten Jahr rechtfertigten positive Erwartungen bei Unternehmen wie Apple, Amazon oder Alphabet, so die Fondsmanager. 

Einige sind vor dem Hintergrund der Aufweichung der Zero-Covid-Politik auch bullish beim China-Thema. Die Kursrückgänge haben die Bewertungen von China-Aktien unter das Mittel der vergangenen 20 Jahre fallen lassen, was sie diesbezüglich attraktiver macht als europäische und amerikanische Pendants. Investmentmanagerin Evgenia Molotova von Pictet Asset Management sagte, sie sei “bei diesen Levels” eine “selektive” Käuferin von China-Aktien. Molotova bevorzugt Versicherungen, Industriefirmen und Gesundheitsaktien aus dem Reich der Mitte.

Langsam oder schnell sinkende Inflationsrate?

Hauptaugenmerk der “Money Manager” bleiben aber Inflation und Wachstum. 70 Prozent der Antwortenden in der Umfrage sagten, besser als erwartete Nachrichten zu diesen beiden Aspekten wären ein Trigger für höhere Aktienkurse. Weitere Upside-Auslöser wären eine volle Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft und ein Waffenstillstand in der Ukraine. 

Die Betonung von Teuerung und Konjunktur als Dreh- und Angelpunkt der Börsenentwicklung deckt sich mit den neuesten Fondsmanager-Umfrage der Bank of America (BofA). Die Rezessionserwartung lag dort so hoch wie zuletzt im Apri 2020, während ein “Stagflations”-Szenario mit schwachen Wachstum und hoher Inflation die hauptsächliche Konsens-Betrachtung war. 

Bloomberg Economics schätzt, dass die Weltwirtschaft in einer der schwächsten Phasen der vergangenen Jahre eingetreten ist, wenn die Coronakrise und die Finanzkrise nicht mit betrachtet werden. Laut dem Weltwährungsfonds verschlechtert sich die Lage rapide. 

“Der Ausblick von heute aus gesehen wird von der Wahrscheinlichkeit, der Tiefe und der Länge einer Rezession beeinflusst”, sagte Fabiana Fedeli, Anlagechefin für Aktien, Multi-Asset und Nachhaltigkeit bei M&G. “Es gibt aber immer noch Gelegenheiten, wenn in Panik-Momenten Firmen verkauft werden, die starke Fundamentaldaten aufweisen und die in der Lage sind, den Sturm gut zu überstehen.” 

Eine nachhaltige Rally bei Risikoanlagen sei nicht wahrscheinlich, solange die Inflation nicht noch stärker nach unten tendiere, warnt Shoqat Bunglawal von Goldman Sachs. Der Leiter Multi-Asset-Lösungen in der Region EMEA und Asien-Pazifik bei der US-Investmentbank behält eine relativ defensive Ausrichtung bei seiner Anlagezuteilung bei. Auch Chefstratege für Asien-Pazifik bei Blackrock Ben Powell bleibt vorsichtig. Der Aktienmarkt spiegle immer noch nicht die vollen Konsequenzen einer strafferen Geldpolitik. 

“Wir haben 2022 den Blitz gesehen, der die geldpolitische Straffung verursacht hat - nun wird der Donner folgen, was heisst, der Schaden.” Womöglich seien schon Anzeichen einer Verlangsamung bei Exporten und im Häusermarkt zu erkennen, aber dies werde erst im neuen Jahr klarer, so Powell: “Der Markt muss dies noch etwas entschiedener einpreisen.” 

(Bloomberg/cash)