cash.ch: Herr Veress, wie beeinflussen die aktuellen Herausforderungen die Vorsorgeplanung von Ihren Kunden?
Aron Veress: Wirtschaftliche Zyklen oder geopolitische Unsicherheiten hat es immer gegeben und wird es auch immer geben. Als man dachte, Corona sei vorbei, kam der Ukraine-Krieg und jetzt Trump. Immer auf sieben guten Jahre zu hoffen, ist also ein gefährlicher Ansatz. In unsicheren Zeiten sparen die Leute grundsätzlich weniger bewusst, also sie machen seltener Sparpläne und das ist ein bedauerlicher Effekt.
Wann ist denn der richtige Zeitpunkt zum Sparen?
Es gibt keine richtige Zeit. Der richtige Moment, um langfristig zu sparen, ist nicht, wenn ich gerade etwas mehr Geld habe, sondern heute. Was man unterschätzt, ist der Zinseszins-Effekt. Wenn ich wirklich Rendite-Potential habe, dann ist die lange Laufzeit ein unglaublich dankbarer Effekt.
Ihr Produkt basiert stark auf Fonds. Nach welchen Kriterien wählen Sie diese aus?
Es gibt zwei fundamentale Grundsätze. Das ist einerseits «Value for Money», also wir schauen uns an, was ein Fonds – inklusive aller Kosten – wirklich leistet. Auf Basis der Asset-Allokation und der Gebühren müssen die Fonds mindestens das Potenzial haben, die Inflation auszugleichen. Die Gesamtkostenbelastung bei aktiven Fonds sollte insgesamt nicht mehr als 1,5-2 Prozent betragen. Andererseits legen wir Wert auf Diversifikation und vor allem darauf, dass die Fonds täglich handelbar sind. Die Fonds sollen keine Klumpenrisiken bergen, deshalb würden Sie einen Bitcoin-Fonds nicht bei uns in der Palette finden.
Lassen Schweizer ihre Anlagen eher unberührt und bleiben im gleichen Produkt investiert?
Ich glaube, das ist weniger eine Frage der Nationalität, sondern eher der Kundengruppe. Ein Kunde, der eine Einmalzahlung tätigt, etwa für eine Lebensversicherung, hat ganz andere Bedürfnisse als ein junger Erwachsener, der gerade mit einem Sparplan startet. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Die Produkte dahinter – ob Einmalanlage oder langfristiger Sparplan – bringen jeweils ihre eigene Dynamik mit. Klassische Retail-Kunden mit langfristigem Sparverhalten sind eher träge, wenn es um Anpassungen geht.
Sie haben junge Erwachsenen erwähnt, für sie ist Altersvorsorge häufig ein Thema von morgen. Wie erreichen Sie diese Zielgruppe?
Wir haben dazu möglicherweise eine etwas kontroverse Haltung, aber unserer Erfahrung nach ist die Vorsorgelücke kein intuitives Problem. Viele hoffen darauf, dass die junge Generation das Problem von selbst erkennt und sich digital mehr Informationen beschafft und das Problem so verschwinden wird.
Welche Tipps würden Sie den Vorsorgeanfängern mitgeben?
Man sollte sich bewusst machen, dass eine Vorsorge frühzeitig nötig ist, und dafür benötigt es ein Stück weit Eigenverantwortung. Also, dass man sich im Vorfeld ein Bild macht und nicht ohne eine persönliche Einschätzung startet. Am entscheidendsten ist, dass man in jungen Jahren am Kapitalmarkt noch eher volatilitätsreichere Assets wählt, da man mit gutem Gewissen die Schwankungen in Kauf nehmen kann. Am Ende der Laufzeit empfiehlt es sich jedoch, die hohe Aktienquote zu reduzieren und Risiko herauszunehmen. Grundsätzlich sollte man einen langfristigen Ansatz verfolgen, da Vorsorgeprodukte in der Regel nicht kurzfristig konzipiert sind. Eine Vorsorge aufzulösen soll wirklich «Last Resort» sein, wenn ein Szenario im eigenen Lebensumfeld entsteht, worauf man nicht anders reagieren kann.
Stichwort Langfristigkeit: Es gab vor ein paar Jahren negative Schlagzeilen über Sie, als ein junger Schweizer bei Ihnen ein Säule-3a-Produkt abschloss und sein gesamtes investiertes Vermögen durch Gebühren und Stornoabzüge verloren hat...
Alle, die ein Produkt durch einen Berater beziehen, müssen sich bewusst sein, dass Beratung Geld kostet und dass man auch deswegen gute Beratung verlangen muss. Das, was der Berater als Honorar oder als Gegenleistung erhält, muss transparent zu quantifizieren sein. Weiter sind diese Produkte nicht für kurzfristige Dauer konzipiert, also wenn man eine Lebensversicherung als Vorsorgelösung angeboten bekommt, dann muss immer eine langfristige Planung dahinter stehen. Wenn man eine solche abschliesst, mit der Idee, in den nächsten zehn Jahren darauf zuzugreifen, ist das immer eine schlechte Entscheidung. Grundsätzlich soll die Haltung sein, immer für das Rentenalter zu planen.
Nebst der Vorsorgelücke ist der Gender-Pension-Gap auch ein Problem. Wo sehen Sie die Ursachen?
Das Problem ist in der Schweiz viel grösser, gleichzeitig aber medial weniger präsent als in vielen anderen Ländern. Das liegt natürlich daran, dass die klare Mehrheit der Männer im Vollzeitpensum arbeiten und bei den Frauen nur eine Minderheit. Dabei arbeiten die Frauen in der Regel nicht aus dem Grunde weniger, weil sie weniger arbeiten wollen, sondern weil sie einen unbezahlten Job zu Hause erbringen. Das schweizerische Vorsorgemodell führt dann dazu, dass Frauen in der zweiten Säule viel weniger einzahlen und damit das Problem wie ein Schneeball-Effekt mit jedem Jahr grösser wird.
Unternimmt Ihr Unternehmen etwas gegen diese Ungleichheit?
Es gibt viele Versicherungsinstitute, die immer wieder versuchen, Frauen dazu zu animieren, früher zu sparen, was nicht grundsätzlich falsch ist. Das ist aber auf jeden Fall nicht der Ansatz, den wir wählen. Wir haben letztes Jahr zum ersten Mal ein Produkt namens «Prosperity Duo» lanciert, wo ganz explizit der Versorger für die andere Person spart. Also, wenn ich für mich 200 Franken zur Seite lege, dann müsste in dem Duo-Produkt das gleiche für den Ehepartner gelten.
Sie haben nun öfters von «guter Beratung» gesprochen - wie definieren Sie eigentlich diese?
Das ist natürlich ein Thema, das uns sehr beschäftigt, weil wir derzeit mit 400 ungebundenen Vermittlern und mit einer Handvoll gebundenen Vermittlern zusammenarbeiten. Ein guter Berater muss die Bedürfnisse von Kunden evaluieren. Also nicht nur immer den 3A-Sparplan zu verkaufen, sondern identifizieren, welche Probleme es in der Familienkonstellation oder Lebenssituation des Kunden gibt und welches Produkt Abhilfe schaffen kann.
Wie wird die Seriosität eines Beraters geprüft?
In der Schweiz wurden diesbezüglich jahrelang nur begrenzt Anstrengungen unternommen und es war lange Zeit möglich, ohne bei der Finma eingetragen zu sein, Versicherungspolicen zu vermitteln - was wir nie gemacht haben. Ich begrüsse es sehr, dass die FINMA nun die Qualität in der Beratung gezielt steigern will. Sowohl die Aufsicht als auch die Versicherungsinstitute prüfen Vermittler beim Onboarding in Bezug auf persönliche Integrität und Qualifikation weitestgehend und man hat auch angefangen, konsequent jenen Beratern nachzugehen, bei denen Beschwerden aufkommen. Diese Schritte werden sicherlich dazu führen, dass es künftig einen deutlich seriöseren Vermittlermarkt in der Schweiz geben wird.
Aron Veress ist CEO von Liechtenstein Life und Experte für Digitalisierung im Finanzwesen. Er promovierte an der Universität Liechtenstein mit Schwerpunkt auf Asset Management und war Research Fellow der Georgetown University im Bereich der Vorhersagbarkeit von Kapitalmärkten.
1 Kommentar
"Dabei arbeiten die Frauen in der Regel nicht aus dem Grunde weniger, weil sie weniger arbeiten wollen, sondern weil sie einen unbezahlten Job zu Hause erbringen."
Tja, ob Herr Veress schon von der Studie 2023 zum Thema Leaky Pipeline (weshalb der Frauenanteil auf den verschiedenen Karrierestufen abnimmt) , die an der Universität Zürich und an der ETH zusammen mit Unis im Norden bei Studentinnen durchgeführt wurde, gehört hat? Diese Studie wurde betitelt mit «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen.»
Die Studie war breit abgestützt und wissenschaftlich anerkannt, wurde jedoch in der Folge von woken Mit- und GutmenschInnen zerfetzt, weil sie nicht ins zeitgenössische Frauenbild passt, welches die Frauen in die Erwerbsarbeit prügeln will.
Mittlerweile ist ja bekannt, dass Finanzplattformen für Frauen, auch seriöse, nicht sehr florieren, weil Frauen einfach nicht so auf Finanzen aus sind wie Männer. Ich könnte hier einige Links nennen, verzichte aber, da ich möchte, dass mein Kommentar publiziert wird.
Aber Herr Veress sieht das Ganze wohl zu stark durch die Versicherungsbrille. Ja, Frauen legen mehr Wert auf Versicherungen als auf Kapitalanlagen.