cash.ch: Der Schweizer Aktienmarkt hat mit einem Kursanstieg von nur 1,6 Prozent in diesem Jahr enttäuscht. Teilen Sie diese Meinung?

Wolf von Rotberg: Die 'bescheidene' Entwicklung ist dem sehr starken Franken geschuldet. Dieser drückt speziell auf die Umsätze und Gewinne der margenstarken Schweizer Gesundheitsunternehmen Alcon, Novartis, Roche, Sonova und Nestlé, die zusammen eine hohe Gewichtung im Swiss Market Index (SMI) haben. Gerade der Dollar dürfte sich nun aber etwas erholen und nicht mehr ein derartiger Gegenwind darstellen. Eine weitere Belastung stellen zudem die höheren Zinsen dar. 

Die Zinsen sind in den USA höher, und trotzdem bewegt sich der S&P 500 Richtung Rekordhoch. Haben die höheren Zinsen einen stärkeren Einfluss auf den Schweizer Aktienmarkt?

Der Schweizer Aktienmarkt ist ein sehr defensiver Markt - ein sogenannter 'Bond-Proxy', wo Dividenden ein wichtiger Faktor für die Gesamtrendite der Aktie sind. Entsprechend leiden die Schweizer Unternehmen sensibler auf Zinserhöhungen, als dies bei Firmen in anderen Regionen und Ländern der Fall ist.

Es macht den Eindruck, dass der Zinshöhepunkt praktisch erreicht ist. Führt dies nun zu einer besseren Performance am hiesigen Aktienmarkt? 

Das Wachstum wird sich in den USA im vierten Quartal 2023 und im ersten Quartal 2024 abschwächen. Insofern sollten die US-Zinsen ins Jahr 2024 hinein tendenziell nach unten laufen. In Europa ist die Situation mit der aktuellen Stagflation dagegen etwas komplizierter. Das ist ein Umfeld, wo es sinnvoll ist, in Schweizer Aktien übergewichtet zu sein. 

Wo erwarten Sie den SMI Ende 2023 und 2024?

Wir erwarten, dass der SMI gegen Ende Jahr Richtung 11'500 Punkte steigt und dann das Jahr 2024 bei rund 12'300 Punkten abschliessen wird. So gut die mittelfristige Prognose dabei ist: Es braucht im Moment etwas Geduld wegen der sich eintrübenden Konjunkturaussichten. So erwarten wir, dass sich der US-Aktienmarkt bis ins erste Quartal 2024 negativ entwickeln wird und der S&P 500 Index Ende Jahr einen Stand von 4'200 Punkten (aktuell 4'478 Punkte, Anm. der Redaktion) erreichen könnte. Dies auch, weil die Bewertungen in den USA sehr hoch sind. Ab der zweiten Jahreshälfte 2024 erwarten dann generell steigende Kurse an den globalen Aktienmärkten.

Die Kurse steigen nur, wenn auch die Gewinne wachsen. Geht das bei einer Konjunktureintrübung überhaupt?

Wir gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2024 erholt und sich dies positiv auf die Gewinne und somit die Aktienmärkte auswirken wird. Das Gewinnwachstum ist für den Schweizer Aktienmarkt aber weniger relevant als zum Beispiel für die US-Märkte, weil sich die Gewinne der Schweizer Unternehmen auch in Abschwüngen meist stabil entwickeln. Die Gewinnentwicklung schwankt hierzulande einfach weniger. Andererseits spielen die Bewertungen eine wesentlich grössere Rolle, und die Zinsen haben einen grösseren Einfluss, weshalb sich Schweizer Aktien einfach mehr wie Obligationenanlagen entwickeln.  

Ist die Dividende dabei ein wesentlicher Teil der Erfolgsstory an der Schweizer Börse?

Der wichtigste Teil ist das Einnahmenwachstum, das als Dividende ausbezahlt oder als Gewinn im Unternehmen reinvestiert werden kann. Wir haben über die letzten Jahrzehnte gesehen, dass Schweizer Unternehmen ein sehr stabiles Einnahmen- und Gewinnwachstum hatten. Sie schaffen es einfach, Mehrwert in Form von steigenden Einkommenswaschstumraten zu generieren. Dieser Gesamtertrag bei Schweizer Aktien belief sich über die letzten 10 Jahre auf 7 Prozent pro Jahr. Schweizer Aktien gehören wegen diesen defensiven Qualitäten in jedes Portfolio. 

Können die Schweizer Unternehmen diese Rendite auch in Zukunft abliefern?

Wir gehen nicht davon aus, dass sich an der globalen Marktführerschaft oder der Innovationskraft der Schweizer Unternehmen etwas ändern wird. Die Schweiz bleibt ein strukturell attraktiver Aktienmarkt. Dies gilt für Schweizer Anlegerinnen und Anleger umso mehr, weil der Franken langfristig eine starke Währung bleiben dürfte. 

Welche Qualitäten haben die Schweizer Gesundheitstitel?

Die Firmen in diesem Bereich sind defensiv und weisen andererseits ein hohes Gewinnwachstum aus, das schon fast als «growthmässig» bezeichnet werden kann. Die Wachstumsraten sind zwar nicht mit denen von Tech-Firmen zu vergleichen, aber die Schweizer Pharmafirmen leben ebenso von Innovation und generieren Gewinne, selbst wenn die Konjunktur zu stottern beginnt. 

Die Valoren von Roche oder Novartis waren in den letzten Jahren aber nicht gerade die Börsenüberflieger?

Uns ist wichtig, dass die Unternehmen gut aufgestellt sind. Entsprechend gehen wir davon aus, dass die Schweizer Pharmafirmen das egalisieren werden, indem sie das Gewinnwachstum wieder in den Griff kriegen. Dabei spielt ihnen die demographische Entwicklung in die Hände. Ein Risikofaktor der bleibt, ist der politische Druck in den USA die Preise für Medikamente zu senken.

Wie beurteilen Sie das Potenzial bei den Finanzwerten?

Im globalen Kontext sehen wir die europäischen Finanztitel positiv, weil die Bewertungen relativ günstig sind. Der Sektor sollte mittelfristig von den strukturell höheren Zinsen profitieren. Das dürfte zu dauerhaft höheren Erträge führen und die Banken erhalten damit nach zehn mageren Jahren ihr Geschäftsmodell zurück. In der Schweiz könnte die UBS darüber hinaus weiter von der Konsolidierung am Markt profitieren.

Sind die zinssensitiven Versicherungswerte attraktiv?

Auch die Versicherer werden wie die Banken von den höheren Zinsen profitieren. Allerdings gilt es gerade bei Rückversicherern, die Klumpenrisiken in Bezug auf den Klimawandel ständig im Auge zu behalten. Swiss Life und Zurich Insurance sind dagegen klassische Dividendentitel, die im Vergleich das Potenzial haben, die bereits erwähnte, langfristige Gesamtrendite von 7 Prozent pro Jahr abzuliefern. 

Thomas Daniel Marti
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