«Nie waren die Sorgen um die eigene Wettbewerbsfähigkeit grösser», sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Achim Dercks, am Dienstag in Berlin. Der Verband berief sich auf eine aktuelle Umfrage auf Basis der Antworten von knapp 3600 Betrieben. 52 Prozent der Firmen gaben dabei an, die Energiewende hin zur Klimaneutralität wirke sich bei ihnen negativ oder sogar sehr negativ auf das eigene Geschäft aus. Nur 13 Prozent machen eine positive oder sehr positive Wirkung aus. In der energieintensiven Industrie sehen sich sogar drei Viertel der Betriebe negativ oder sehr negativ betroffen.

Auf einer Skala von minus 100 bis plus 100 Punkten ergibt sich im Energiewende-Barometer der DIHK, das seit 2012 erhoben wird, derzeit ein Wert von minus 27 Zählern. «In den letzten beiden Jahren lag der Wert nur bei minus sieben, der bisherige Tiefstand von minus 13 im Jahr 2014 war die Folge von zusätzlichen Energie-Umlagen und Abgaben», so der Verband. «Während früher die Unternehmen auch Chancen in der Energiewende gesehen haben, überwiegen nun in der Einschätzung der gesamten Wirtschaft die Risiken», sagte Dercks. Weite Teile der Wirtschaft treibe stark die Sorge um, dass es auch mittel- und langfristig eine mangelhafte Energieversorgung geben könne. «Das ist eine insgesamt besorgniserregende Entwicklung.»

In der Industrie gab fast ein Drittel der Betriebe an, die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland oder die Einschränkung der Produktion im Inland zu planen beziehungsweise schon umzusetzen. «Dies ist eine Verdopplung gegenüber dem letzten Jahr», so die DIHK. Gut die Hälfte seien erst Planungen, der andere Teil bereits abgeschlossen oder laufende Massnahmen. «Eine Stärkung des Standorts ist vor dem Hintergrund dieser Zahlen dringend notwendig.» Dercks sprach von einem schleichenden Prozess. Die Industrie ziehe es verstärkt in die USA. Aber auch Frankreich habe wegen staatlicher Strompreishilfen eine Anziehungskraft.

Grosse Konzerne wandern am ehesten ab

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekräftigte in der ARD sein Plädoyer für einen Industriestrompreis, eine Subvention zur Dämpfung der Strompreise bis 2030. Seine Pläne richteten sich an rund 2500 energieintensive Firmen. Sie würden sonst nicht sofort abwandern, aber nicht mehr in Deutschland investieren. «Die Grundsatzfrage ist: Wollen wir in Zukunft in Deutschland energieintensive Industrie haben? Und ich sage: Ja.» Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind aber gegen das Konzept, das in etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr kosten würde.

Laut DIHK sind die Abwanderungstendenzen bei den grösseren Industrieunternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern am stärksten ausgeprägt. Hier planen oder verlagern in dieser Hinsicht bereits 43 Prozent. «Diese Unternehmen sind häufig eng verflochten mit dem Ausland und stehen in einem besonders ausgeprägten Standortwettbewerb.»

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 sind die Energiekosten deutlich gestiegen. Deutschland hat dies wegen seiner lange starken Abhängigkeit von Gas- und Öllieferungen aus Russland besonders zu spüren bekommen. Dercks sagte, fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit in der Energiepolitik seien das grösste Hemmnis. Drei Viertel der Unternehmen würden auch deswegen ihre Investitionstätigkeiten zurückfahren. Entscheidende Ursache für die jetzigen Probleme sei der Krieg in der Ukraine. «Das kann man der Ampel nicht ankreiden.» Viele richtige Massnahmen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP kämen vor Ort aber noch nicht richtig an. Dercks forderte eine Entlastung der Strompreise für alle Unternehmen und weniger Bürokratie. Zudem müsse Wasserstoff - ein Schlüssel für klimaneutrale Industrieprozesse - schnell verfügbar gemacht werden.

(Reuters)