Die Aufträge für die deutsche Industrie sind im August so stark gesunken wie seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine nicht mehr. Das Neugeschäft fiel wegen ausbleibender Grossaufträge um 2,4 Prozent schwächer aus als im Juli, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das ist der kräftigste Rückgang seit März, dem ersten vollen Monat seit Kriegsausbruch. Auf den zweiten Blick fällt das Ergebnis nicht ganz so schlecht aus: Im Juli waren die Bestellungen mit 1,9 Prozent so kräftig gewachsen wie seit einem halben Jahr nicht mehr, womit der zuvor ermittelte Rückgang von 1,1 Prozent kräftig korrigiert wurden. Das Statistikamt begründete diese ungewöhnliche starke Revision mit "Nachmeldungen von Grossaufträgen aus dem Ausland im Bereich der Luft- und Raumfahrt". Regierung, Wirtschaft und Ökonomen sehen die exportabhängige Industrie wegen der sich weltweiten Konjunkturschwäche, Energiekrise und Materialmangel vor schwierigen Monaten.
"Die Industriekonjunktur zeigt vor dem Hintergrund des Kriegs und der hohen Gaspreise deutliche Bremsspuren", kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium die Entwicklung. "Der gedämpfte Ausblick für den restlichen Jahresverlauf spiegelt sich auch in einem abgekühlten Geschäftsklima und zurückhaltenden Exporterwartungen wider." Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht das ähnlich. "Die grosse Unsicherheit bei der Energieversorgung belastet die Betriebe, das Investitionsklima und die Nachfrage nach Industriegütern", sagte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen. Das schlage sich insbesondere in sinkenden Bestellungen aus dem Inland nieder. "Aber auch aus dem Ausland sind vorerst kaum Impulse zu erwarten, denn auch die Weltkonjunktur kühlt sich ab", sagte Zenzen.
Rezession erwartet
Die Bestellungen aus dem Inland nahmen im August um 3,4 Prozent ab, die aus dem Ausland um 1,7 Prozent. Während die Nachfrage aus der Euro-Zone um 3,8 Prozent nachgab, schrumpfte das Neugeschäft mit dem restlichen Ausland nur leicht um 0,4 Prozent. Die Aufträge für Investitionsgüter wie Maschinen, Fahrzeuge und Anlagen nahmen diesmal um 2,4 Prozent ab. Bei den Herstellern von Vorleistungsgütern gab es einen Rückgang von 4,2 Prozent. Die Bestellungen für Konsumgüter wuchsen hingegen um 5,2 Prozent.
Die Auftragsbücher der Industriebetriebe sind trotz der Flaute im Neugeschäft so prall gefüllt wie noch nie. Der Grund: Neben hohen Energiekosten führt die anhaltende Knappheit an Vorprodukten zu Problemen beim Abarbeiten. "Die noch hohen Bestände an nicht abgearbeiteten Aufträgen sind von Stornierungen bedroht und vermitteln nur eine Scheinsicherheit", warnte jedoch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Die deutsche Wirtschaft steht vor einem schwierigen Winterhalbjahr: Ich erwarte mehr denn je eine Rezession, selbst wenn eine Rationierung von Gas vermieden würde."
(Reuters)