Die deutsche Inflation ist 2022 trotz einer deutlichen Entspannung am Jahresende so hoch ausgefallen wie noch nie. Die Konsumentenpreise erhöhten sich um durchschnittlich 7,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Ein grösseres Plus hat es im wiedervereinigten Deutschland noch nicht gegeben. Die alte Rekordmarke für Westdeutschland von 7,6 Prozent aus dem Jahr 1951 wurde ebenfalls übertroffen. 2021 hatte die Inflation noch bei 3,1 Prozent gelegen. Für das laufende Jahr sagen die meisten Experten eine leichte Entspannung voraus. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) etwa rechnet mit 5,4 Prozent.

Hoffnung auf ein Abflauen der starken Teuerung macht der unerwartet starke Rückgang am Jahresende: Niedrigere Energiepreise und die staatliche Abschlagszahlung für Erdgas liessen dieKonsumentenpreise im Dezember nur noch um 8,6 im Vergleich zum Vorjahresmonat klettern. Im November war die Teuerungsrate auf 10,0 Prozent gefallen, nachdem sie im Oktober mit 10,4 Prozent auf den höchsten Stand seit 1951 geklettert war. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten für Dezember nur mit einem Rückgang auf 9,1 Prozent gerechnet. Von November auf Dezember sanken die Preise um 0,8 Prozent.

Kehrtwende geschafft?

"Mit dem deutlichen Rückgang dürfte nun die Kehrtwende bei der Inflation geschafft sein", sagte der Wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. "Solange es keinen neuen, heftigen Energiepreisschock gibt, dürften wir auf absehbare Zeit in Deutschland nun keine zweistelligen Inflationsraten mehr sehen." Die Inflation sei aber nur deshalb stark gefallen, weil der Staat im Dezember für viele Bürger die Abschlagzahlungen für Gas übernommen habe, warf Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ein. "Die Bürger werden wegen des zögerlichen Vorgehens der EZB noch lange unter einer hohen Inflation leiden, auch wenn die Gas- und Strompreisbremsen die Inflation in diesem Jahr drücken sollten."

Besonders stark verteuerte sich im Dezember erneut Energie als Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine: Sie kostete durchschnittlich 24,4 Prozent mehr als im Dezember 2021, nachdem es im November sogar plus 38,7 Prozent waren. Öl und in der Folge auch Benzin, Diesel und Heizöl kosteten zuletzt an den Weltmärkten deutlich weniger. Die Einmalzahlung zur Entlastung der privaten Haushalte für Erdgas und Fernwärme hatte dagegen nur einen leicht dämpfenden Effekt, da nicht alle von der Massnahme profitieren. Nahrungsmittel verteuerten sich diesmal um 20,7 Prozent, Dienstleistungen um 3,9 Prozent.

Kein Durchatmen

Entwarnung geben Experten aber trotz der zuletzt nachlassenden Teuerung noch nicht. "Das Schlimmste bei der Inflation haben wir wohl überstanden", kommentierte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, die Entwicklung. "Aber so richtig durchatmen können wir noch nicht." So habe sich im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen die sogenannte Kerninflation - bei der die Energie- und Lebensmittelpreise herausgerechnet werden - sogar beschleunigt, von 4,6 auf 4,9 Prozent. Das belege, dass mehr Unternehmen ausserhalb des Energiesektors ihre hohen Strom-, Heiz- und Spritkosten auf dieKonsumenten überwälzten.

Das könnte die Europäische Zentralbank (EZB) beunruhigen. Sie hat im vergangenen Sommer ihre jahrelange Nullzinspolitik beendet und den Leitzins in vier Schritten auf mittlerweile 2,5 Prozent angehoben. Sie dürfte in diesem Jahr noch mehrfach nachlegen, um die Inflationsrate näher in Richtung der angestrebten Zwei-Prozent-Marke zu bringen. 

(Reuters)