Zwei deutsche Medtech-Branchenverbände schlagen Alarm. Die neuen EU-Verordnungen zu Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostik sind ihrer Meinung nach für die Verknappung von Medtech-Produkten und Labortests verantwortlich. Letzte Woche präsentierten sie ein Positionspapier, in dem sie Forderungen stellen - auch die Aktualisierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (MRA) mit der Schweiz.

«Besonders problematisch ist die Situation bei Medizinprodukten für Kinder, zum Beispiel Herzkatheter», schrieb die konservative EU-Abgeordnete Angelika Niebler in einer Mitteilung. «Hier gibt es jetzt schon das Problem, dass Firmen vom Markt gehen, weil sie sich die hohen Kosten nicht leisten können.»

Konkret geht es um die im Mai 2021 in Kraft getretene Medizinprodukte-Verordnung (MDR) sowie die Verordnung zur In-vitro-Diagnostik (IVDR), die ein Jahr später in Kraft trat. Sie regeln das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und Labortests in der EU.

Um den Zugang zum EU-Markt zu erhalten, müssen die Produkte zuerst zertifiziert werden. Neu wird nun nicht nur die Zertifizierung von neuen Produkten verlangt, sondern auch von «alten», also bereits zertifizierten Produkte wie Implantate, Katheter oder Herzschrittmacher.

Das sowie andere Faktoren wie Personalmangel oder Covid-19 führten dazu, dass die Zertifizierungsstellen überlastet sind und die fristgerechte Re-Zertifizierung kaum mehr möglich ist. Bereits im Juni 2022 hatten daher der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) und sein französisches Pendant SNITEM Alarm geschlagen.

Unterstützung aus EU-Parlament

Der konservative EU-Parlamentarier Peter Liese steht zwar grundsätzlich weiterhin hinter den beiden neuen Verordnungen. Eine Revision der Regeln sei notwendig gewesen, schrieb er in einer Mitteilung und verwies als Beispiel auf den Skandal um Brustimplantate in Frankreich vor knapp 15 Jahren. Aber auch er ist der Meinung, dass man «übers Ziel hinausgeschossen» sei.

Sowohl Niebler wie auch Liese unterstützen daher den BVMed und den Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH). Letztere kritisieren in einer gemeinsamen Mitteilung, die beiden Verordnungen seien «handwerklich schlecht gemacht, zu kompliziert und bürokratisch».

Sie verweisen zudem auf eine Studie der Boston Consulting Group. Laut dieser würden Unternehmen mittlerweile die US-amerikanische Zulassung ihrer Produkte in den Vereinigten Staaten priorisieren. Die beiden Verbände fürchten daher um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Medtech-Branche.

Abkommen mit der Schweiz

In ihrem am letzten Dienstag in Berlin präsentierten Positionspapier fordern sie daher beschleunigte Verfahren - beispielsweise für erfolgreiche Nischenprodukte.

Zudem verlangen sie die Abschaffung der auf fünf Jahre begrenzte Gültigkeit von Zertifikaten, und sie plädieren für die Möglichkeit der Selbstzertifizierung von In-vitro-Diagnostik-Produkten der niedrigen Risikoklasse wie etwa Schwangerschaftstests.

Die beiden Verbände appellieren auch an die Verantwortlichen in der EU, das Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) mit der Schweiz endlich zu aktualisieren. Wegen der ungelösten institutionellen Fragen weigerte sich die EU, das Abkommen zu aktualisieren. Damit verloren die Schweizer Medtech- und In-vitro-Diagnostik-Unternehmen ihren privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt. Sie müssen nun neu ihre Produkte auch in der EU zertifizieren lassen - und sind ebenfalls von den Engpässen bei den Zertifizierungsstellen betroffen.

Brüssel hat bereits nachgebessert

Wegen der angespannten Situation machte die EU-Kommission Anfang 2023 einige Verbesserungsvorschläge, so auch die Verlängerung der Übergangsfristen für die Zertifizierungen. Die Vorschläge wurden vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten in kürzester Zeit gutgeheissen.

Doch das scheint noch nicht zu reichen: Die entsprechenden Verordnungen müssten nun «so schnell wie möglich noch einmal grundlegend überarbeitet werden», forderte die EU-Abgeordnete Niebler.

Auch die Geschäftsführer der beiden Verbände, Marc-Pierre Möll (BVMed) und Martin Walger (VDGH), appellierten an ihrer Medienkonferenz am Dienstag in Berlin in Richtung Brüssel: «Jetzt ist die richtige Zeit, darüber zu reden.»

(AWP)