Im Frühjahr machte der alte Bundestag den Weg frei für ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen. Der Geldtopf soll die ärgsten Risse in Deutschlands maroder Infrastruktur kitten: Holprige Strassen, sanierungsbedürftige Schienennetze, veraltete Schulen und Krankenhäuser.
Fehlende Konkretisierung bei den Ausgaben
Sechs Monate später steht das Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens kurz vor der Verabschiedung, doch viel mehr als eine Ermächtigung für neue Ausgaben ist im Entwurf bisher nicht enthalten. Wo und wie die Mittel ausgegeben werden sollen, ist grösstenteils unklar. Das schürt Ungeduld und wirft Fragen auf, ob der Fonds die gewünschten Effekte wirklich erreichen kann.
«Bislang ist das Sondervermögen nur eine politische Absichtserklärung», sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. «Es gibt keine konkreten, absehbaren Projekte oder Pipelines.»
Mehr Transparenz über die Prioritäten des Bundes bei der Infrastruktur würde Unternehmen helfen, sich besser auf den erhofften Bau-Boom vorzubereiten, so Müller. Auch wenn er bis zum kommenden Jahr nicht mit konkreten öffentlichen Aufträgen aus dem Sondervermögen rechnet, würde eine Liste mit vorrangigen Projekten es Baufirmen zumindest ermöglichen, zielgerichtet in Maschinen und Arbeitskräfte zu investieren.
Bisher legt der Entwurf für das Sondervermögen lediglich fest, dass der Bund mit Mehrausgaben von 500 Milliarden Euro über 12 Jahre verteilt die Infrastruktur verbessern und damit Wachstum fördern will. Bund und Länder sollen in Verkehr, Energie, Gesundheitswesen, Katastrophenschutz, Digitalisierung und Bildung investieren können.
Wie solche Verbesserungen genau aussehen sollen, bleibt jedoch unklar. Darüber hinaus sind die Anforderungen, dass diese Investitionen über bereits geplante Projekte hinausgehen, bisher zu lasch, so die Kritik.
Kritik an mangelnden Zielen
Ohne konkrete Ziele fehlt dem Sondervermögen die Verbindlichkeit, Massnahmen zu priorisieren und die Mittel effizient einzusetzen, sagt Désirée Christofzik, Professorin für Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
«Wer keine messbaren Ziele vorgibt, kann später auch keinen Erfolg überprüfen», so Christofzik. «Das mag politisch durchaus erwünscht sein, schadet aber der Sache.»
Ähnlich sieht es der Bundesrechnungshof, der in einer Stellungnahme im Juni erklärte, der Entwurf habe es versäumt, klare Ziele zu definieren, anhand derer die Wirksamkeit des Sondervermögens später gemessen werden könne. Ausserdem sei der Investitionsbegriff zu breit definiert.
Infrastrukturkrise sichtbar
Dass Deutschlands Infrastruktur einer Generalsanierung bedarf, ist hingegen unbestritten. Besonders schmerzlich traten allgegenwärtige Mängel im September 2024 zutage, als der von Strassenbahnen befahrene Teil der Carolabrücke in Dresden nachts in die darunterfliessende Elbe krachte.
Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert erwartet allerdings erst einmal keinen Infrastrukturbooster durch das Sondervermögen, zumindest nicht für seine Stadt. Im Gegenteil, das Land Sachsen habe in Erwartung der Bundesmittel die eigenen Investitionsprogramme zurückgefahren. «Am Ende wird die Stadt Dresden schlechter dastehen als ohne das Sondervermögen», so Hilbert. Den Neubau der Carolabrücke werde die Stadt durch neue Schulden selbst finanzieren.
Streit um Mittelverteilung
100 Milliarden Euro, also ein Fünftel der Gesamtsumme, sollen die Länder aus dem Infrastrukturfonds direkt erhalten. Ein früherer Entwurf sah vor, dass die Landesregierungen wiederum 60% dieser Summe an ihre Kommunen weiterreichen. Diese Vorgabe fehlt im aktuellen Gesetzestext, ebenso wie die Anforderung, dass Investitionen zusätzlich zu bereits eingeplanten Ausgaben erfolgen müssen, wie es bei den Mitteln für den Bund der Fall ist.
Die To-Do-Liste ist indes lang. Und auch wenn die Gesamtsumme enorm wirkt — den tatsächlichen Finanzierungsbedarf wird sie wohl nicht stillen können. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln schätzte im vergangenen Jahr, dass sich die Kosten für eine Modernisierung der deutschen Infrastruktur bis 2034 auf mindestens 600 Milliarden Euro belaufen würden.
Der diffuse Ansatz beunruhige private Investoren, die sich durch die ehrgeizigen Ausgabenpläne ermutigt fühlten, Gelder nach Deutschland zu verlagern, sagte Deutsche-Bank-CEO Christian Sewing diese Woche auf einer Konferenz in Frankfurt.
«Wir müssen jetzt Pläne haben, wie viel in die Infrastruktur, wie viel in die Technologie und wie viel in die Netzwerke fliesst», sagte er. «Die Entscheidung, wohin das Geld fliesst, ist wichtig.»
Bürokratie bremst Projekte
Ein Teil des Problems sind konkurrierende Prioritäten zwischen mehreren Landes- und Bundesbehörden, aber Vorsicht ist auch aufgrund von Bedenken hinsichtlich der politischen Folgen eines Scheiterns geboten, zumal die dichten bürokratischen Strukturen in Deutschland Projekte behindern und verzögern können.
Der überall sichtbare Verfall kratzt am Vertrauen der Bürger in den Staat und erhöht den Druck auf die Koalition. In einer aktuellen Forsa-Umfrage für den Dachverband von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gaben 73% der Befragten an, dass die Regierung mit ihrer steigenden Arbeitsbelastung überfordert sei. Die Verbesserung der Infrastruktur wurde als wichtigste Aufgabe genannt, aber das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates hat laut der Umfrage in den letzten fünf Jahren stetig abgenommen.
Die Frustration zeigte sich auch bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen deutlich. Sowohl CDU als auch Sozialdemokraten verloren in der krisengeschüttelten Industrieregion an Unterstützung, während die AfD ihren Stimmenanteil fast verdreifachen konnte.
Politische Dimension
«Jeder Euro, den wir investieren, muss die grösstmögliche Wirkung haben», schrieb Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) Anfang September zur Berufung eines Expertenbeirats, der das Ministerium bei der Vergabe der Mittel beraten soll. «Die Gelder sind nun da, aber die Umsetzung ist kein Selbstläufer», so Klingbeil in dem Schreiben.
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betonte in dieser Woche erneut die Dringlichkeit, erste Erfolge sichtbar zu machen. «Wir alle spüren: Die Entscheidungen, die vor uns liegen, gehen nicht um Details, sondern sie gehen um sehr Grundsätzliches», sagte er zur Haushaltsdebatte im Bundestag. «Es geht um nicht mehr und um nicht weniger als um die Zukunft unseres Landes.»
Bisher drehen sich die Haushaltsdebatten allerdings hauptsächlich um Einsparungen bei den Ausgaben durch Kürzungen bei Sozialleistungen und eine Reform des Rentensystems. Darüber hinaus hat die Koalition seit Merz’ Amtsantritt mit Donald Trumps Zollpolitik zu kämpfen — um nur eine aussenpolitische Herausforderung zu nennen, die der Haushaltsplanung dazwischenfunkt.
Die potenziellen Vorteile aggressiverer Investitionen werden daher bisher kaum öffentlich diskutiert, obwohl das Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens bereits nächste Woche vom Bundesrat verabschiedet werden soll. Noch in diesem Jahr sollen 37 Milliarden Euro in die Infrastruktur fliessen.
Mehr Geld allein reicht nicht
Aber Geld allein wird den Investitionsstau kaum lösen können, der sich durch jahrzehntelanges Kaputtsparen der Infrastruktur angesammelt hat, sagt Carsten Kühl (SPD), Ökonom und ehemaliger Finanzminister von Rheinland-Pfalz.
«Mehr Geld kann man einfach geben, wenn der politische Wille da ist», so Kühl. Sicherzustellen, dass das Geld auch ausgegeben werden kann, sei hingegen eine viel schwierigere Aufgabe.
Hauptursache dafür sind bürokratische Hürden. So beanspruchen Planungs- und Genehmigungsverfahren laut einer Studie des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes beispielsweise beim Bau einer Fernstrasse rund 85% der Gesamtbauzeit.
Selbst bei Notfällen wie der eingestürzten Carolabrücke mahlen die bürokratischen Mühlen eher langsam. Gerade wurde der Abriss der Brücke fertiggestellt, der Wiederaufbau soll aufgrund aufwendiger Ausschreibungsverfahren erst im zweiten Quartal 2028 beginnen und dann bis 2031 abgeschlossen sein.
Beispiele für lange Bauzeiten
In Berlin wurde kürzlich nach zwölfjähriger Bauzeit ein 3,2 Kilometer langer Abschnitt der Stadtautobahn A100 eröffnet, dessen Planung ursprünglich in den 1990er Jahren begann. Der Baubeginn des nächsten Streckenabschnitts ist für frühestens 2035 geplant.
In Dresden ist man unterdessen um eine weitere Brücke besorgt. Die Nossener Brücke, an der bei einer Sonderprüfung mehrere Risse festgestellt wurden, soll 2026 abgerissen und neu gebaut werden.
«Ich würde mich freuen, wenn ich zumindest einen Teil der Kosten für diese Brücke aus dem Sondervermögen gefördert bekommen würde», sagt Hilbert. «Zukünftig wird das Sondervermögen aber nur einen Teil der Investitionen ersetzen, die mir vom Land fehlen werden.»
(Bloomberg)