Die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz unterstützt die Forderung der Ukraine nach Kriegsreparationen, hat aber noch keine offizielle Position zur Beschlagnahme von Vermögenswerten des russischen Staates eingenommen. Das Thema sei komplex, und einige Mitglieder der Regierungskoalition seien stärker überzeugt als andere, heisst es in Regierungskreisen.

Die Differenzen innerhalb der Koalition in Berlin ähneln denen innerhalb der gesamten internationalen Gemeinschaft. Wenn Berlin sich einigen könnte, würde dies den Diskussionen in der Europäischen Union neuen Schwung verleihen und Druck auf die USA ausüben, damit diese als Vergeltung für die russische Invasion eingefrorene Vermögenswerte wie zum Beispiel die Zentralbankreserven beschlagnahmen.

Aussenministerin Annalena Baerbock will Russland für die in der Ukraine verursachten Schäden zahlen lassen. Die ehemalige Co-Vorsitzende der Grünen, die sich seit langem für eine härtere Gangart gegenüber dem Kreml einsetzt, besteht darauf, dass die Beschlagnahme zumindest einiger der eingefrorenen Vermögenswerte eine Option sein müsse, berichten mit den Diskussionen vertraute Personen.

Finanzminister Christian Lindner nehme hingegen eine vorsichtigere Haltung ein. Der Chef der Liberalen sei besorgt, dass die Beschlagnahme russischer Zentralbankguthaben einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und die europäischen Staaten und ihre Verbündeten in ein juristisches Minenfeld führen könnte, so die Personen.

Möglichkeit der Beschlagnahme von Vermögenswerten

Die EU und ihre G7-Partner haben russische Zentralbankguthaben in Höhe von 300 Milliarden Euro eingefroren. Die EU hat ausserdem laut lückenhaften Schätzungen rund 19 Milliarden Euro an Vermögenswerten sanktionierter russischer Geschäftsleute blockiert. Deren rechtlicher Status ist derzeit nicht eindutig genug, um sie verwerten zu können.

Die Details der Diskussionen zeigen, dass die Möglichkeit der Beschlagnahme von Vermögenswerten über eine theoretische Debatte hinausgeht und sich in Richtung Umsetzung bewegt, aber es bleiben grosse Hürden. Scholz möchte, dass jeder Schritt mit Verbündeten koordiniert und rechtlich abgesichert wird, sagten die Personen.

"Das sind dramatische Zerstörungen. Das wird Milliarden kosten, und es wird die ganze Weltgemeinschaft in Anspruch nehmen, dort vernünftige Lösungen zu entwickeln", hatte Scholz im August gegenüber Reportern erklärt. "Das wird eine grosse, grosse Aufgabe, die mit ‘Marshallplan’, glaube ich, nur geringfügig beschrieben ist. Die ist grösser."

Auch die EU sucht laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "legale Wege", um russisches Vermögen zu beschlagnahmen und für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Beim letzten Gipfeltreffen erörterten die Staats- und Regierungschefs Optionen dafür, wie aus den nach dem Treffen veröffentlichten Schlussfolgerungen hervorgeht.

Sie forderten die Kommission auf, einen detaillierten Plan vorzulegen, betonten aber auch, dass jedwede Beschlagnahme von Vermögenswerten im Einklang mit dem Völkerrecht stehen müsse. Sie wiesen darauf hin, dass die Verfolgung von Kriegsverbrechen ein Anliegen der gesamten internationalen Gemeinschaft sei, ein Hinweis darauf, dass die EU eine gemeinsame Basis auch mit den USA suchen sollte.

Beschlagnahme von Zentralbankguthaben aus Russland

EU-Vertreter haben bereits zuvor erklärt, dass die Union den grössten Teil der gesamten Finanzhilfe für den Wiederaufbau der im Juni offiziell als Beitrittskandidat anerkannten Ukraine bereitstellen wird. Die Summe könnte mehr als 500 Milliarden Euro betragen und wird wahrscheinlich eine kontroverse Debatte darüber auslösen, wie das Geld beschafft werden soll.

In den USA haben Kongressabgeordnete die Regierung von Präsident Joe Biden gedrängt, die Beschlagnahme einiger russischer Vermögenswerte zu erwägen, indem sie ein Gesetz einbrachten, das dies in bestimmten Fällen zulässt. Die US-Regierung hat sich diesen Bitten bisher widersetzt, weil sie befürchtet, dass andere ausländische Zentralbanken davon abgehalten werden könnten, Vermögenswerte in den USA zu parken.

Die Beschlagnahme von Zentralbankguthaben aus Russland wäre ein aussergewöhnlicher Schritt, aber keine Weltpremiere. Im September beschloss die US-Regierung, die Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich unter Kontrolle eines internationalen Gremiums zu stellen, damit die Taliban keinen Zugriff darauf erhalten. Ein solches Verfahren könnte eine Blaupause für die Verwendung russischer Vermögenswerte sein.

Der Kreml hat das Einfrieren seiner Reserven als rechtswidrig bezeichnet und erklärt, er werde jeden Versuch bekämpfen, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen und für andere Zwecke zu verwenden.

"Wir sprechen hier von einem internationalen Akt des Diebstahls, der gegen alles verstösst", sagte Sprecher Dmitri Peskow am 31. Oktober.

(Bloomberg)