Nun steht er vor einer viel schwierigeren Aufgabe: Deutschland zu einer Militärmacht zu machen, die stark genug ist, um gemeinsam mit den europäischen Verbündeten Wladimir Putin abzuschrecken — womöglich ohne die Unterstützung der USA.

Der Koalitionsvertrag markiert eine tiefgreifende und historische Wende in der deutschen Verteidigungspolitik. Zum ersten Mal seit 1945 bekennt sich eine deutsche Regierung zu einer Führungsrolle bei der Verteidigung des eigenen Territoriums und dem der Bündnispartner. Sie nimmt die Verteidigungsausgaben praktisch von den Restriktionen der Schuldenbremse aus, bekennt sich klar zu den NATO-Verpflichtungen, sieht die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates sowie eine umfassende Verbesserung der deutschen Cyber- und Aufklärungsfähigkeiten vor. Darüber hinaus sind Massnahmen zur Vereinfachung des Beschaffungswesens und diesbezügliche Integrationsbestrebungen innerhalb der Europäischen Union vorgesehen.

«Deutschland ist wieder auf dem richtigen Weg», sagte Merz nach der Unterzeichnung. «Wir werden unseren Verpflichtungen im Bereich der Verteidigung nachkommen.» Das könnte jedoch leichter gesagt als getan sein.

Der deutsche Verteidigungs- und Sicherheitsapparat ist fragmentiert und bürokratisch schwerfällig. Wichtige Modernisierungsprojekte haben sich wiederholt verzögert, und geostrategische Fehltritte — wie die Zustimmung der Regierung zum Verkauf eines Hafenterminals in Hamburg an chinesische Investoren — haben Zweifel an der Fähigkeit des Landes aufkommen lassen, sich gegen hochentwickelte systemische Konkurrenten zu behaupten.

Auch die Skepsis gegenüber der Wiederbewaffnung ist gross, vor allem bei der jüngeren Generation, die bisher wenig Berührungspunkte mit der Bundeswehr hatte.

Die Dringlichkeit der Angelegenheit wird dadurch unterstrichen, dass der Koalition nur wenig Zeit bleibt, um ihre lange To-Do-Liste abzuarbeiten. Da deutsche Militärs davor warnen, dass Russland bis 2029 zu einem weiteren grossen Krieg bereit sein könnte, sieht sich Berlin mit einem sich schliessenden Zeitfenster konfrontiert, in dem es seine strategischen Ambitionen in reale Fähigkeiten umsetzen und eine glaubwürdige Abschreckung gegen einen möglichen russischen Angriff auf ein europäisches Land aufbauen muss.

Es steht viel auf dem Spiel. Scheitert Deutschland, droht es in einer Zeit wachsender Unsicherheit zum schwachen Glied in der europäischen Sicherheitsarchitektur zu werden. Bruno Kahl, Chef des Bundesnachrichtendienstes, warnte davor, dass Deutschland aufgrund seiner rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen im Vergleich zu seinen Verbündeten und Partnern nicht in der Lage sei, auf die sich ständig verändernden Sicherheitsbedrohungen zu reagieren.

Zentrale Details zu den deutschen Plänen bleiben vorerst offen. »Die wichtigsten Parameter — die künftige Grösse der Bundeswehr, die Wehrpflicht und die Höhe der Verteidigungsausgaben — werden nicht angesprochen, weil in diesen Punkten keine Einigung erzielt werden konnte«, so Professor Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Angesichts der Drohung der USA, ihre militärische Unterstützung für Europa zu beenden oder zurückzufahren, besteht eine grosse Herausforderung darin, genügend Truppen für den Einsatz an der Ostflanke der NATO zu finden. Deutschland hat 5.000 Soldaten für eine Brigade in Litauen zugesagt, und es ist keine leichte Aufgabe, »diese Menge an Personal schnell zu beschaffen«, so Aylin Matlé, Senior Research Fellow am Zentrum für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Dahinter verbirgt sich ein tiefer liegendes Problem. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 hat die Bundeswehr Schwierigkeiten, genügend Soldaten zu rekrutieren. Ende 2024 verfügte Deutschland über etwas mehr als 181.000 Soldaten, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Entgegen dem Rat vieler Verteidigungsexperten hat die Koalition angekündigt, die Wehrpflicht nicht wieder einzuführen — »zunächst«.

Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte die militärkritische Öffentlichkeit ein ernsthaftes Problem darstellen. In einer aktuellen Forsa/RTL-Umfrage gab nur jeder sechste Deutsche — und nur 9% der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren — an, im Falle einer ernsthaften Bedrohung für ihr Land kämpfen zu wollen. Zudem waren bei der letzten Bundestagswahl die Parteien, die bei den 18- bis 24-Jährigen den grössten Zuspruch erhielten, die Linke, die eine Aufrüstung strikt ablehnt, und die AfD, die für ihre russlandfreundliche Haltung bekannt ist, so die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen.

Gleichzeitig gibt es aber auch Menschen, die auf diese Weise Verantwortung übernehmen wollen. Dennis, ein 30-jähriger Unternehmer aus Berlin, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte, um seine Firma zu schützen, meldete sich nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine bei der Reserve der Bundeswehr. Nach nur drei Wochen Ausbildung wurde er Jäger — der niedrigste Dienstgrad in der Jägertruppe der Infanterie — und unterstützt nun die Katastrophenhilfe, während er an weiteren Lehrgängen teilnimmt.

Dennis ist in Ostdeutschland aufgewachsen und seine Eltern nehmen Russland als sehr mächtig wahr. Anfangs waren sie besorgt über seine Entscheidung, in die Reserve einzutreten. Doch mit der Zeit hätten sie seine Beweggründe verstehen können, sagt er. Für Dennis, der seine Wurzeln in Berlin geschlagen hat, war die Entscheidung zu dienen eine pragmatische.

»Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich sterben könnte — aber irgendjemand muss es ja tun«, sagt er. »Ich habe hier ein Haus und eine Familie, also könnte ich sowieso nicht weggehen. Ich kann mich genauso gut nützlich machen.»

(Bloomberg)